Milch macht müde Männer munter - steht aber auch im Verdacht, Prostatakrebs zu begünstigen. Foto: dpa

Mit interaktiver Grafik - Milch ist umstritten - von den einen als gesund gepriesen, von den anderen verteufelt. Ernährungswissenschaftler Gerhard Rechkemmer klärt die Frage, ob Milch Fettleibigkeit, Krebs und Hautkrankheiten auslöst.

Herr Rechkemmer, Milch als Nahrungsmittel wird im Moment häufig kritisiert und für viele Zivilisationskrankheiten verantwortlich gemacht – zu Recht?
Das sind zum Großteil aus alternativ-medizinischen Kreisen gestreute Falschinformationen, für die es keine wissenschaftliche Grundlage gibt.
Ein häufiger Vorwurf lautet, Milch verursache Fettleibigkeit– gibt es dafür Anhaltspunkte?
Wenn ich über meinen Milchkonsum mehr Kalorien aufnehme, als ich an Energie verbrauche, wird das als Fett gespeichert. Das gilt aber für jedes Lebensmittel. In der Realität ist es so, dass die Hälfte der Studien keinen Zusammenhang zwischen Milchverzehr und Gewicht feststellen konnte – und die restlichen sogar darauf hindeuten, dass Milch in geringem Maße vor Übergewicht schützt.
Wie sieht es mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes aus?
Ein vermehrter Verzehr von Milch und Milchprodukten erhöht weder das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch für Schlaganfälle. Stattdessen findet man bei Menschen, die viele Milchprodukte zu sich nehmen, sogar ein verringertes Risiko für Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2.
Wurde bei Akne ein Zusammenhang gefunden?
Bei Akne gibt es einen Zusammenhang, wobei das nur für Menschen gilt, die genetisch hinsichtlich Akne vorbelastet sind. Bei diesen Personen kann es durch einen hohen Milchkonsum dazu kommen, dass sich das Krankheitsbild verstärkt.
Widersprüchliches konnte man über Krebs und Milch lesen, was stimmt?
Milch und Milchprodukte verringern das Risiko von Dickdarmkrebs ab 200 Milliliter Milch pro Tag, den stärksten Effekt gab es bei 500 bis 800 Millilitern pro Tag. Das Brustkrebsrisiko steigt nicht mit dem Milchkonsum, sondern wird durch Milchprodukte sogar verringert. Nur für den Prostatakrebs könnte das Risiko erhöht sein durch Milchkonsum. Dafür gibt es Hinweise, diese werden aber noch nicht als überzeugend klassifiziert.
Trotzdem beunruhigend für Männer – ab welcher Menge?
Es gibt von den Ernährungsgesellschaften Richtwerte – 250 Milliliter Trinkmilch pro Tag werden empfohlen werden. Milchprodukte insgesamt sind eine wichtige Quelle für Kalzium. Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung liegt bei 1000 Milligramm Kalzium pro Tag. Wenn man diese Empfehlung mit Milchprodukten erreichen will, dann braucht man neben den 250 Milliliter Milch zum Beispiel noch zwei Scheiben Hartkäse und ein Joghurt von 150 Gramm.
Das Prostatakrebs-Risiko wäre damit noch nicht erhöht?
Nein, erst ab 1,25 Liter Trinkmilch oder 140 Gramm Hartkäse pro Tag.
 
Die beliebtesten Milchprodukte | Create infographics
 
Lange wurde behauptet, dass Milch die Knochen schützt – heute hört man manchmal das Gegenteil, was stimmt?
Man sollte insbesondere in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter ausreichend Kalzium zu sich nehmen. Zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr besteht die höchste Knochendichte. Es ist wichtig, dass die Knochen zu diesem Zeitpunkt gut mineralisiert sind, denn danach beginnt der Abbau. Je stärker der Knochen ist, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es im späteren Leben zur Osteoporose kommt. Milch ist in unseren Breiten ein wichtiger Kalziumlieferant.
Trotzdem gibt es in westlichen Gesellschaften, in denen verhältnismäßig viel Milch getrunken wird, mehr Osteoporose als in Ländern, in denen weniger Milch getrunken wird.
Wenn man Stadtbewohner aus Milch trinkenden Gesellschaften mit Stadtbewohnern aus Gesellschaften, in denen wenig Milch getrunken wird, vergleicht, unterscheidet sich die Osteoporose-Rate nicht. Es liegt wahrscheinlich daran, dass in traditionelleren Gesellschaften mehr körperlich gearbeitet wird. Wir wissen heute, dass die körperliche Aktivität, sei es durch Arbeit oder Sport, sehr wichtig ist, um Osteoporose vorzubeugen.
Man liest immer wieder, dass Milchprodukte den Körper übersäuern und so dem Körper und den Knochen Kalzium entziehen würden.
Das ist falsch. Milch und Milchprodukte sorgen weder dafür, dass Säure gebildet wird, noch können Lebensmittel den pH-Wert im Körper überhaupt beeinflussen. Auch wenn man im Urin unterschiedliche Säuregehalte messen kann – im Körper wird der pH-Wert konstant gehalten. Die Säureausscheidung hat außerdem kaum Einfluss auf den Kalziumstoffwechsel. Milch ist weiterhin ein gutes Lebensmittel, um Kalzium aufzunehmen und die Knochen zu stärken.
Aber man kann auch ohne Milch seinen Kalziumbedarf decken?
Natürlich ist Kalzium auch in anderen Lebensmitteln vorhanden – zum Beispiel in grünem Gemüse, Ölsaaten, Nüssen, Mandeln. Auch über Mineralwässer kann ich eine hohe Kalziumzufuhr haben. Aber die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich. Kalzium aus Milchprodukten ist in der Regel gut bioverfügbar, während Kalzium aus Vollkorngetreide häufig weniger gut aufgenommen wird. Man muss dann entsprechend mehr von den Produkten zu sich nehmen.
Milchkritiker behaupten, es könne nicht gesund sein, wenn wir die Babynahrung eines anderen Säugetiers zu uns nehmen.
Dass wir als Menschen Organismen zu uns nehmen, die fremd sind, ist ja nichts Besonderes – ansonsten müssten wir uns ja als Kannibalen ernähren. Wir nutzen nicht nur Milch von Kühen, die für uns nicht vorgesehen ist, sondern wir essen auch Früchte von Pflanzen, die diese für ihre Fortpflanzung gebildet haben. Die Bienen sammeln den Honig auch nicht für uns, sondern für ihre Nachkommen.
Aber Säugetiere müssen als Kind ja besonders versorgt werden – gibt es Anhaltspunkte, dass Substanzen aus der Milch, die dafür sorgen, dass Kälber gedeihen, für Menschen schädlich sind?
In der Kuhmilch kommt der Wachstumsfaktor IGF (Insulin-like Growth Factor) vor, den es auch in der Muttermilch gibt, dort allerdings in geringeren Mengen. Man weiß aus epidemiologischen Untersuchungen, dass die Menschen, die in der Kindheit und Jugend Milch konsumieren, größer werden – ob das auf den IGF oder einfach auf die gute Ernährung durch Milch zurückzuführen ist, ist bislang nicht geklärt.
Das spricht aber dafür, dass diese Wachstumsfaktoren auch beim erwachsenen Menschen einen Effekt haben könnten.
Wobei Körpergröße nicht mit einem Risikofaktor für Erkrankungen gleichzusetzen ist. Aus heutiger Sicht ist die Konzentration der Hormone in der Kuhmilch zu gering, um sich auf den Körper des Menschen gesundheitsschädlich auszuwirken.