Pisa-Ergebnisse, Fernunterricht, Kitamisere, Rückkehr zum G9 – als Schulbürgermeisterin und Kultusministerin stand Susanne Eisenmann früher oft im Epizentrum bildungspolitischer Debatten. Aber nach der verlorenen Landtagswahl 2021 zog sie sich von allen Ämtern zurück. Was macht sie heute?
Es ist nasskalt. Auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt kuscheln sich Menschen in Daunenjacken und an Glühweintassen. Susanne Eisenmann kommt im dünnen Wollmantel zum Gespräch. Kein Schal, keine Mütze. Ihr sei fast nie kalt, sagt die 59-Jährige. Auch in ihrer Zeit als Schulbürgermeisterin und später Kultusministerin stand Susanne Eisenmann oft im kalten Wind der Debatten über Pisa-Ergebnisse, Fernunterricht oder die Rückkehr zum G9. Aber nachdem sie als CDU-Spitzenkandidatin 2021 die Landtagswahl verloren hatte, zog sie sich aus der Politik zurück, lehnte alle Anfragen ab, ihre Partei oder die bildungspolitische Arbeit der grün-schwarzen Koalition zu kommentieren. Auch für dieses Interview stellte die 59-Jährige die Bedingung, nur über ihr Leben jenseits der Tagespolitik sprechen zu wollen.
Frau Eisenmann, wie geht es Ihnen?
Mir geht es sehr gut, auch gesundheitlich. Ich habe vor gut einem Jahr eine neue Hüfte bekommen, was lange überfällig war. Zuvor war jede Bewegung schmerzhaft. Jetzt kann ich wieder alles machen.
Was zum Beispiel?
Spazieren, Joggen, draußen sein. Außerdem haben mein Bruder und seine Familie seit zwei Jahren einen Labradormischling, ein bezauberndes Tier. Der Hund ist bei meinem Mann und mir, wenn die Familie im Urlaub ist oder er sonst mal betreut werden muss. Das ist ideal: Wir haben einen Hund, aber nicht die Gesamtverantwortung für ihn.
Sie wollten 2021 Ministerpräsidentin werden. Es klappte nicht, Sie zogen sich nach 30 Jahren aus der Politik zurück. Fielen Sie in das berühmte Loch?
Nein, ich war ja vorbereitet. Schon frühzeitig hatte ich für mich entschieden: Wenn das Wahlergebnis so ausfällt, übernehme ich Verantwortung und höre auf. Der Grund war nicht, dass ich verloren habe. Mal gewinnt man, mal verliert man, so ist das in der Demokratie, und das ist völlig in Ordnung. Aber schon in den Wochen vor der Wahl wurde deutlich, dass niemand Mitverantwortung übernehmen will und dass die Niederlage somit Streit in der CDU auslösen würde. Diese ganzen Diskussionen hätten der Partei Schaden zugefügt, das wollte ich nicht.
Hatten Sie sich überlegt, womit Sie Ihre Tage füllen?
Einen konkreten Plan B hatte ich nicht. Das war auch nicht notwendig. Nachdem ich angekündigt hatte aufzuhören, wurde ich von verschiedenen Organisationen angesprochen, ob ich sie beraten oder mit ihnen Projekte verwirklichen will. Das habe ich dann ohne Druck, Hektik und Anspannung auf mich zukommen lassen. Für mich war nur klar: Ich will nicht mehr diesen Termindruck von morgens 7 bis nachts, nicht mehr fremdbestimmt sein. Und ich wollte mich keinen Anfeindungen mehr aussetzen, aus der eigenen Partei nicht, aber auch nicht von außen.
Ihnen hat man früher Spitznamen wie Rambo und Eisenhammermanngegeben. Wie fanden Sie das?
Frauen und Männer werden im politischen Handeln unterschiedlich bewertet. Er gilt als führungsstark, sie als eiskalt und berechnend. Er als meinungsstark, sie als rechthaberisch. Manche Beschreibung war schon verletzend. Ich rede mit Experten, informiere mich, bilde mir eine Meinung, zu der ich stehe, auch wenn es Gegenwind gibt. So bin ich eben. Das ist etwas, was ich bei vielen Politikern quer durch alle Parteien vermisse.
Sie haben sich für das Gespräch ausbedungen, nichts zur aktuellen Politik oder der CDU sagen zu wollen. Warum?
Egal, ob in der Politik oder im Sport – ich finde es nicht gut, wenn man von der Seitenlinie aus ins Spielfeld brüllt, was die dort anders oder besser machen sollen. So sehe ich meine Rolle nicht. Und ich bin froh, viele aufgeheizte Diskussionen nur noch als Beobachterin verfolgen zu können. Aber natürlich bin und bleibe ich ein politischer Mensch. Was mir Sorge macht, ist, dass die Respektlosigkeit immer weiter zunimmt und das Niveau der Diskussionen rapide gesunken ist. Im Internet und generell. Das ist ein Problem, weil so immer weniger kompetente Leute bereit sind, sich zu engagieren. Und es führt auch dazu, dass immer mehr Politikerinnen und Politiker kein Rückgrat und keine klare Haltung mehr haben.
Sie sind heute Vorsitzende der Stiftung des früheren Daimler-Chefs Edzard Reuter und seiner Frau Helga. Wie kam das?
Edzard Reuter rief mich gleich in der Woche nach der Wahl an und fragte, ob ich mich mit ihm und seiner Frau treffen wollte. Die beiden sind in hohem Alter und wollten sich vom Vorsitz zurückziehen. Ich habe sofort zugesagt. Seither arbeiten wir konstruktiv und intensiv zusammen.
Die Stiftung fördert Projekte, die sich um Integration und interreligiösen Dialog bemühen. Muss privates Geld richten, was die Politik nicht hinbekommt?
Die Idee, der Staat müsse alles richten, fand ich immer falsch. Gesellschaft lebt auch davon, dass Menschen Verantwortung übernehmen und privates Geld einsetzen. Ich denke, dass Stiftungen im Bereich Soziales, Kultur, gesellschaftlicher Zusammenhalt eine immer größere Rolle spielen werden. Sie können dazu beitragen, auf Probleme hinzuweisen und Diskussionen anzustoßen, und Lösungen anbieten.
Das Thema Zuwanderung macht vielen Menschen Angst, die AfD bekommt Zulauf. Was müsste sich ändern?
Deutschland muss jenen helfen, die dringend Hilfe brauchen, das ist klar. Aber die unkontrollierte Zuwanderung ist ein Problem. Darüber muss ohne Polemik und Rassismus diskutiert werden, denn die Leute haben das Gefühl, der Rechtsstaat wird der Lage nicht mehr Herr. Die, die man abschieben sollte, erwischt man nicht, aber die, die hier geregelt arbeiten und integriert sind, werden teilweise abgeschoben.
Neben der Stiftung sind Sie Vorsitzende des Trägervereins der Waldschule.
Das ist auch eine Aufgabe, die an mich herangetragen wurde. Ich kenne die Waldschule noch aus meiner Zeit als Schulbürgermeisterin. Außerdem gehen meine Nichten, die Töchter meines Bruders, auf die Schule.
Was ist Ihre Aufgabe?
Die Schule hat knapp 900 Schüler und beinhaltet eine Grundschule, eine Realschule mit sogenanntem Aufsetzer und ein Gymnasium. Es ist eine private Schule, und der Trägerverein hat alle Aufgaben, die bei einer öffentlichen Schule die Kommune hat: Wir tragen die finanzielle und organisatorische Verantwortung. Zum Beispiel unterschreibe ich Arbeitsverträge oder verhandle mit der Stadt und Banken über Bauprojekte.
Zeigt Ihnen die Praxis Dinge, die Sie als Kultusministerin nicht erkannt haben?
Sie können von einer einzelnen Schule – noch dazu einer privaten – nichts Generelles ableiten. Aber ich kann zum Beispiel sehen, dass kleinere Klassen ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. Allerdings wusste ich das auch schon als Ministerin, hatte aber nicht die finanziellen und personellen Mittel, das möglich zu machen.
Ist Ihnen der Verlust der Macht, der Abtritt von der großen Bühne gar nicht schwergefallen?
Nein, diese Entscheidung habe ich nie bereut. Ich werde häufig gefragt, ob ich nicht wieder aktiv in der Politik werden will, aber das ist kein Thema. Ich beobachte teils amüsiert, teils entsetzt, wie viele an ihrem Amt und ihrem Dienstwagen kleben. Aber Macht ist in der Demokratie nur geliehen.
Also nicht mal eine klitzekleine Midlife-Crisis gehabt, Angst, dass Sie als Frau in den 50ern beruflich keiner mehr will?
Nee, keine einzige Sekunde! Ich habe kein Problem mit dem Alter. Und ich hatte immer Dinge und Menschen, die mir über die Politik hinaus wichtig waren. So habe ich auch nie den Bezug zum Alltag verloren.
Hat sich Ihre Rolle in der Familie seit 2021 verändert?
Ich lebe in einer großen Patchworkfamilie. Mein Mann Christoph Dahl hat fünf Kinder in die Ehe gebracht, mittlerweile gibt es vier Enkel zwischen einem und zwölf Jahren. Wir hatten immer eine gute Beziehung, aber jetzt kann ich auch bei Einladungen dabei sein. Oder ich habe Zeit, nachmittags mit meinen Nichten auf den Weihnachtsmarkt zu gehen oder ins Musical „Tarzan“.
Was macht das mit einer langjährigen Paarbeziehung, wenn einer plötzlich mehr Zeit hat?
Bei meinem Mann und mir hat sich nichts verändert. Aber wir sind ja beide voll beschäftigt.
Sie sitzen also nicht zu Hause und warten, dass er heimkommt?
Nein! Aber das war bei uns nie der Fall, weil wir beide sehr aktiv sind, unsere Freiräume brauchen. Um dann die Zeit zu genießen, die wir zusammen sind. Dann tauschen wir uns darüber aus, was wir erleben, diskutieren, was uns umtreibt. Daran hat sich nichts geändert, wir haben eine sehr hohe gemeinsame Zufriedenheit.
Wie feiern Sie Weihnachten?
Heiligabend sind wir bei meinem Bruder, mein Vater ist auch dabei. Der große familiäre Kraftakt für meinen Mann und mich ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Da kommen alle zu uns. Wir sind dann 22 Personen und zwei Hunde. Das ist immer ein großer Spaß. Es gibt Pasta mit selbst gemachten Soßen, jeder isst, wenn er Hunger hat.
Und die Geschenke haben Sie schon?
Kein einziges. Aber ich habe zumindest eine Ahnung, und das ist das Wichtigste.
30 Jahre in der Politik
Weg in die Politik
Nach dem Germanistik- und Linguistikstudium wurde Susanne Eisenmann 1991 Referentin des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger. Sie promovierte, zog mit 29 in den Stuttgarter Gemeinderat ein, war von 2005 bis 2015 Bürgermeisterin für Kultur, Schule und Sport. 2016 übernahm sie im grün-schwarzen Kabinett der Landesregierung das Kultusministerium. Nachdem sie sich als CDU-Spitzenkandidatin in der Landtagswahl 2021 nicht gegen Winfried Kretschmann durchsetzen konnte, verließ sie nach 30 Jahren die politische Bühne.
Privat
Die Stuttgarterin (Jahrgang 1964) ist mit Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung, verheiratet. Er brachte fünf Kinder mit in die Ehe. Sport und Literatur sind ihre Hobbys. Neben dem VfB schätzt sie Bücher etwa von Umberto Eco und Gabriel García Márquez.