Wer musste bei der ersten Liebe zwischen Vada und Thomas in dem Film „My Girl“ nicht weinen? Foto: imago images/Mary Evans/Rights Managed via www.imago-images.de

Die erste große Liebe ist für die meisten Menschen etwas Besonderes und prägt unsere späteren Beziehungen. Aber warum ist das so? Und was macht die erste Beziehung mit uns?

Stuttgart - Das erste Mal verliebt sein, die ersten Schmetterlinge im Bauch, der erste Kuss und der erste Sex – an ihre erste Beziehung können sich die meisten Menschen ziemlich gut erinnern. Sogar dann, wenn diese schon lange zurückliegt. Und das hat gute Gründe. Denn wenn etwas zum ersten Mal in unserem Leben geschieht, brennt es sich stärker in unser Gedächtnis ein.

 

Das zeigen verschiedene psychologische Studien. Wissenschaftlich nachgewiesen ist auch, dass wir uns vor allem an diejenigen Ereignisse erinnern, die mit starken Emotionen verbunden sind – so wie die erste Liebe. Und diese intensiven Erlebnisse hinterlassen Spuren in unserem Gehirn.

Der erste Sex löst meist euphorische Zustände aus

Vor allem in der Pubertät, in der die Hormone ohnehin verrücktspielen und sich durch den biologischen Reifungsprozess auch das Gehirn von Jugendlichen verändert, lösen der erste Kuss oder der erste Sex meist euphorische Zustände aus. Und die mögliche Bandbreite an Gefühlen – vom Schweben auf Wolke sieben bis zum tiefen emotionalen Fall nach einer Enttäuschung – prägt unser Gefühlsleben nachhaltig. Im Positiven oder im Negativen, je nachdem, wie die erste Beziehung verlaufen ist.

„Die Erfahrungen aus der ersten Paarbeziehung sind, ebenso wie Bindungserfahrungen aus der Kindheit, Teil des Sozialisierungsprozesses“, erklärt der Paartherapeut und Buchautor Carsten Müller. „Dabei geht es darum, Beziehungs- und Bindungserfahrungen zu sammeln, und darum, Dinge auszuprobieren. Zum Beispiel auch, wie die Kommunikation in einer Partnerschaft funktioniert.“

Basis für spätere Beziehungen

Experten zufolge bildet eine erste Beziehung, die wir als positiv empfunden haben, eine solide Basis für spätere Partnerschaften. Denn die erste Beziehung verrät uns viel über uns selbst und über den Umgang mit dem Partner: Wir erleben, dass wir von jemandem außerhalb der eigenen Familie geliebt werden; wir lernen unsere Bedürfnisse und die des Partners besser kennen und erfahren, was es heißt, Kompromisse in einer Beziehung zu schließen. Das formt nicht nur die Persönlichkeit und lässt uns emotional reifen.

Eine glückliche erste Liebe stärkt auch das Selbstbewusstsein und gibt uns das Gefühl, liebenswert zu sein. Ist die erste Beziehung hingegen eher unglücklich verlaufen, kann das zu Selbstzweifeln und Ängsten vor der nächsten Partnerschaft führen. Diese Ängste lassen sich mit einer neuen Liebe aber oft überwinden.

„Auch, wer in der ersten Beziehung schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann später gute machen“, erklärt Carsten Müller. Dazu sei es wichtig, mit dem neuen Partner über Wünsche und Erwartungen an das Beziehungsleben zu sprechen. „Wir müssen uns die Frage stellen, was wir brauchen, um glücklich zu sein“, so Müller. „Und diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.“

Gradmesser für Zufriedenheit

Obwohl Frischverliebte sich meist nicht vorstellen können, eines Tages wieder von ihrem Partner getrennte Wege zu gehen, ist die erste Beziehung in den häufigsten Fällen nicht von Dauer. Trotzdem prägt uns die erste Beziehungserfahrung und hilft uns herauszufinden, was wir von der nächsten Beziehung erwarten und wonach wir tatsächlich suchen. Und das stellt die Weichen für unser zukünftiges Beziehungsleben.

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„Oft ist die erste Partnerschaft ein Gradmesser für Zufriedenheit“, sagt Carsten Müller. „Wer schon mal eine Beziehung hatte, zieht bei der nächsten oft Vergleiche: Was war vielleicht besser oder schlechter?“

Was wir in der ersten Beziehung besonders genossen und geschätzt haben, wünschen wir uns auch für die nächste Partnerschaft. Und Eigenschaften des Partners, die uns besonders gestört haben, versuchen wir beim nächsten Auserwählten eher zu vermeiden.

„Wenn ich zum Beispiel in der ersten Beziehung betrogen wurde, hat Vertrauen für mich einen anderen Stellenwert“, sagt Carsten Müller. „Dann fällt es mir vielleicht schwerer, meinem nächsten Partner Vertrauen entgegenzubringen. Gleichzeitig braucht es für eine neue Partnerschaft aber auch einen Vertrauensvorschuss.“

Deshalb, so Müller, sei es wichtig, in einer Beziehung auch über vergangene Partnerschaften zu sprechen, um für die neue Beziehung ein „eigenes Werte- und Normensystem aufzubauen, das ich gegebenenfalls auch wieder verändern oder anpassen kann“.

Idealismus trifft Realität

Die erste Liebe hat oftmals auch einen sehr unromantischen Zweck: Sie hilft uns, Idealvorstellungen und Realität miteinander abzugleichen und uns von übertrieben romantischen Vorstellungen auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.

Denn wenn der Alltag in eine Beziehung einkehrt, ist die rosarote Brille meist schnell verschwunden. Dann erkennen wir, dass Liebe wenig mit einer Hollywood-Schnulze zu tun hat, sondern dass in einer Beziehung reale Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Erfahrungen aufeinandertreffen, die alle ihre Stärken und Schwächen haben.

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Aber Vorsicht: Wurde die erste Liebe unfreiwillig beendet, beispielsweise aufgrund eines Umzugs oder weil die Eltern mit der Beziehung nicht einverstanden waren, neigen wir dazu, die Beziehung und den Partner zu idealisieren. Unser Herzensmensch erscheint uns geradezu perfekt. Und in diesem Fall haben es nachfolgende Partner möglicherweise ziemlich schwer, den überhöhten und idealistischen Ansprüchen gerecht zu werden.

Doch ganz gleich, ob die erste Liebe als positiv oder eher negativ empfunden wurde – sie bleibt uns im Gedächtnis. Und es sei auch „legitim“, die erste Beziehung rückblickend als bereichernd zu empfinden, meint Carsten Müller. Auch dann, wenn es bereits einen neuen Partner gebe.

„Es gab ja in der Beziehung auch schöne Momente, sonst wäre man mit der jeweiligen Person nicht zusammen gewesen. Und man muss auch keine Andenken oder Fotos wegwerfen, nur weil man mit jemandem nicht mehr zusammen ist“, so der Paartherapeut. „Schließlich sind all das Erinnerungen und die sind ein Teil unseres Lebens.“