Beatrix Köhnlein hat während des Lockdowns ihre Kreativität neu entdeckt: Herausgekommen sind Corona-Damen. Foto:  

Das Museum im Waldenbucher Schloss dokumentiert in seiner jüngsten Ausstellung die Veränderungen im Alltag durch die Corona-Pandemie. Dafür haben die Besucher selbst Geschichten und Exponate beigesteuert.

Waldenbuch - Wie sehr die Corona-Epidemie unseren Alltag verändert hat, zeigt sich schon an der Sprache. Plötzlich prägen Begriffe wie „Alltagshelden“ und „Maskenpflicht“, „systemrelevant“ und „Risikogruppe“ die alltägliche Kommunikation. Auch wenig technikaffine Menschen wissen mittlerweile was Zoom ist und meistern souverän Videokonferenzen. Alltägliche Begriffe wie Klopapier und Desinfektionsmittel werden zum Synonym für Hamsterkäufe.

Diese und andere Wörter hat man im Museum der Alltagskultur im Waldenbucher Schloss gesammelt – im Corona-Alphabet. Gesammelt wird aber noch mehr: Geschichten aus der Corona-Zeit, Fotos und Objekte, die Menschen mit der großen Krise verbinden.

Nach zwei Monaten Zwangspause hat das Museum im Schloss Ende Mai wieder geöffnet. „Uns war klar, dass wir nicht einfach aufschließen können und da weitermachen, wo wir vor der Krise aufgehört haben“, sagt der Museumschef Markus Speidel. Als Museum, das die Veränderungen des alltäglichen Lebens der vergangenen Jahrhunderte bis in unsere Zeit dokumentiert, müsse man auch die ganz aktuellen Entwicklungen aufgreifen.

Leere Autobahnen am Ostermontag

Bereits während der Schließzeit hatte die Museumsleitung die Menschen aufgerufen, ihre Geschichten und Exponate einzuschicken. Daraus hat Markus Speidel mit seinem Team eine kleine Ausstellung gemacht. Sie zeigt die „neue Normalität“ – auch das ein in unserer Sprache neu aufgetauchter Begriff.

Zu sehen ist der Tagesplan eines neunjährigen Mädchens, das sich in den Wochen ohne Schule und Freizeitaktivitäten eine eigene Tagesstruktur geschaffen hat. „Mama, bitte leiser reden“ – diese handschriftliche Notiz stammt von einem Kind, das sich beim Homeschooling durch die Videokonferenz der Mutter gestört fühlte. Ein Foto zeigt eine Beerdigung während der Hochphase des Lockdowns: Weniger als ein Dutzend Trauernde durfte teilnehmen. Verblüffend sicher für spätere Generationen: ein Foto der komplett leeren Autobahn 81 am Ostermontag. Kreativ war ein Metzger, der mit einer Wurstrutsche dafür sorgte, dass seine Kunden sich an den geforderten Abstand hielten. „Es scheint vielen ein Bedürfnis zu sein, ihre Erlebnisse mitzuteilen“, sagt Markus Speidel. Deshalb hat er ein „Amt für Corona-Angelegenheiten“ eingerichtet. Jeden Freitagnachmittag öffnet es. Jeder darf vorbeikommen und seine ganz persönliche Geschichte erzählen.

Geschichten werden wissenschaftlich aufgearbeitet

Inspiriert hat diese Aktion auch Beatrix Köhnlein aus Steinenbronn. „Mir hat die Corona-Krise geholfen, meine Kreativität wiederzuentdecken“, hat sie Speidel erzählt und zum Beweis einige Kunstwerke mitgebracht, die während des Lockdowns entstanden sind: Aus Igelbällen fertigte Köhnlein Figuren. „Corona-Damen“ nennt sie sie – erinnern sie doch optisch an das Corona-Virus. „Ich bin Künstlerin, habe aber lange Zeit eine Sperre gehabt, konnte nichts schaffen“, erzählt Köhnlein. Doch als es während der Kontaktbeschränkungen nichts anderes zu tun gab, habe sie wieder angefangen. „Das ging ganz von selbst. Nun möchte sie ihre Corona-Damen gerne für einen guten Zweck verkaufen oder versteigern und sucht Personen oder Institutionen, die ihr Interesse signalisieren.

Die Geschichten, Fotos und Objekte, die im Amt für Corona-Angelegenheiten eingegangen sind, sind auch Thema mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten. „Wir überlegen noch, wie wie sie zu einer Dokumentation zusammenfassen können“, sagt Speidel. Darin sollen auch die Anmerkungen auf den Zetteln einfließen, die die Besucher überall im Museum aufhängen. Im Wohnzimmer mit Nierentisch aus den 1950er Jahren hat eine Besucherin notiert: „Das Wohnzimmer als zentraler Raum – kenne ich aus meiner Kindheit und ist auch jetzt wieder verstärkt so.“ Mehr als 300 solcher Notizen haben die Besucher bereits hinterlassen.