Der Dekan Rainer Kiess lehnt die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ab. Foto: Caroline Holowiecki

Durch die Württembergische Landeskirche geht ein Ruck. 80 Prozent der Dekane appellieren für eine Öffnung in Richtung Homo-Ehe. Einer, der sich offen dagegen ausspricht, ist der Dekan Rainer Kiess aus Bernhausen. Dabei beruft er sich allein auf die Bibel.

Filder - Ein Regenbogen an prominenter Stelle im Büro eines Gegners der Homo-Ehe. Da muss Rainer Kiess selbst lachen. Seit vier Jahren hängt das bunt bemalte Leinentuch direkt vor seiner Nase. Pfarrer aus dem Kirchenbezirk Bernhausen haben dem Dekan das Werk mit dem Titel „Gemeinschaft“ zum 60. Geburtstag geschenkt. Gesichter sind drauf, Häuser, abstrakte Figuren und eben dieser Regenbogen über einem Kreuz. An einen Wink mit dem Zaunpfahl glaubt Rainer Kiess nicht. Angesichts der aktuellen Debatte in der Landeskirche könnte aber, wer will, ins Bild etwas hineininterpretieren.

Nachdem die Herbstsynode einen Kompromiss in Sachen Homo-Ehe abgelehnt hat, rumort es. Mehr als 80 Prozent der Dekane wollen sich damit nicht abfinden und fordern eine kirchliche Amtshandlung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. In der vom Pietismus geprägten Prälatur Stuttgart haben fast alle der 13 Dekane einen Appell unterschieben. Bis auf zwei. Einer, der den Wunsch nach Veränderung nicht mitträgt, ist Rainer Kiess. „Grundsätzlich sehe ich mich nicht in der Lage, einer Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares entsprechend einer Ehe zuzustimmen“, sagt er.

„Als Seelsorger zerreißt’s einen, wenn man die Leute ablehnen muss“

Dies begründet er mit der Bibel. Als Theologe sehe er sich ans Bibelwort gebunden, „und ich finde keinen Text, der mir das Recht gibt, gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu erteilen“. Um seinen Protest zu untermauern, fängt er bei Adam und Eva an, bei der Schöpfungsgeschichte. Rütteln lässt er, selbst seit 37 Jahren verheiratet, daran nicht. Ob das konservativ sei? Allenfalls im lateinischen Wortsinn, entgegnet er: conservare, bewahren. Gleichwohl betont Rainer Kiess, „andere Theologen können zu anderen Ansichten kommen“.

Petra Dais unterschreibt das sofort. Die Stuttgarter Pfarrerin ist Prälaturbeauftragte des Bündnisses „Kirche & Homosexualität“. Sie spricht von Diskriminierung. „Als Seelsorgerin zerreißt’s einen, wenn man die Leute ablehnen muss.“ Eine Rechtfertigung übers Bibelwort will sie nicht gelten lassen und plädiert dafür, Jahrhundertealtes ins Jetzt zu übertragen. „Wir haben mittlerweile andere wissenschaftliche Erkenntnisse und eine andere rechtliche Situation. Es ist unerhört, dass wir die Rechtssituation in Deutschland nicht ernst nehmen“, sagt sie.

Auch der Stuttgarter Stadtdekan Søren Schwesig unterscheidet zwischen zeitbedingten und zeitlosen Textstellen und verweist darauf, dass etwa der Ausspruch Paulus’, die Frau schweige in der Gemeinde, heutzutage in der Evangelischen Kirche überholt sei, ebenso die Ablehnung Jesu gegenüber der Scheidung. Die Frage nach der Segnung Homosexueller sei für ihn keine Bekenntnisfrage, sondern eine ethische.

„Ich kann diese Lebensform nicht teilen“

Rainer Kiess bleibt bei seiner Bibelauslegung und hat für etwa 46 000 Evangelen und 30 Pfarrer in seinem Kirchenbezirk gesprochen. Viele teilten seine Ansicht, „diese Menschen sollen in unserer Kirche auch eine Stimme haben“. Der 64-Jährige berichtet zwar von Kritik, aber verhaltener. Zwei Personen hätten ihn konfrontiert, darunter ein Betroffener. Er versichert, offen für diese Gespräche zu sein. Auch lehne er Menschen, die anders denken und anders orientiert seien, keinesfalls ab.

Nichtsdestotrotz stellt er klar: „Ich kann diese Lebensform nicht teilen.“ Der Landesbischof Frank Otfried July will sein „Einigungswerk“ fortsetzen. Petra Dais glaubt an einen Umschwung, auch Søren Schwesig ist überzeugt: „Ja, das wird kommen.“ In der Regenbogen-Initiative, die auf Gleichberechtigung pocht, waren im Dezember 30 Kirchengemeinden organisiert, neue sollen laut Petra Dais bald folgen. Pfarrer, die bislang Schwule und Lesben gesegnet hatten – aus seelsorgerischen Gründen –, hätten bekundet, es weiterhin zu tun.

Für den Dekan Rainer Kiess steht indes fest, dass er sich gegen ein Ja zur Homo-Ehe wehren würde. „Ich würde drauf drängen, dass ich und andere die Gewissensfreiheit haben, es nicht zu tun.“ Die Freiheit des Gewissens sei etwas „genuin Protestantisches“, dafür würde er kämpfen. Dass 80 Prozent seiner Kollegen dies aktuell ebenfalls tun, das spricht er ihnen nicht ab.