Kein Heiliger, aber eine Integrationsfigur: Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Foto: dpa

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer zählte zu denjenigen, die dem NS-Regime widerstanden – von Anfang bis zum bitteren Ende und unter Einsatz des eigenen Lebens. Vor 75 Jahren ist er hingerichtet worden

Stuttgart - Es ist der 9. April 1945, 30 Tage vor Kriegsende. Der NS-Staat steht unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Die Macht des „Führers“ beschränkt sich längst nur noch auf Akte der Zerstörung und Selbstzerstörung. Dorthin aber fließt alle Energie. Das letzte Projekt heißt totaler Untergang. Mit dem „1000-jährigen Reich“ soll untergehen, was von Deutschland noch übrig ist – besonders dasjenige Deutschland, das sich der NS-Herrschaft widersetzte und die Personen, die dafür standen. Adolf Hitler schickt sie gnadenlos in den Tod.

Auf seinen Befehl hin werden an diesem 9. April im oberpfälzischen KZ Flossenbürg sieben Männer zur Hinrichtung geführt, die in Verbindung mit dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 und dem Widerstand stehen: Admiral Wilhelm Canaris, Chef der Spionageabwehr, und enge Mitstreiter. Außerdem der 39-jährige Theologe Dietrich Bonhoeffer. Am Morgen müssen sie sich entkleiden, dann werden sie gehenkt. Als letzter Bonhoeffer. Sein Schwager Hans von Dohnanyi, Vater des späteren Hamburger Regierenden Bürgermeisters, erleidet am selben Tag das gleiche Schicksal im KZ Sachsenhausen. Im KZ Dachau wird am Abend der Hitler-Attentäter Georg Elser aus dem schwäbischen Hermaringen ermordet. Der 9. April ist ein dunkler Tag in der Geschichte, aber auch ein Tag der aufrechten Haltung gegen das NS-Regime.

Bonhoeffer liebte das Leben – und nahm das Ende in den Blick

Bonhoeffer, führender Kopf der oppositionellen „Bekennenden Kirche“, war sich der Todesgefahr, in der er schwebte, seit langem bewusst. Als er Anfang April vom KZ Buchenwald nach Flossenbürg verlegt wurde, ahnte er, was ihm bevorsteht. Dabei hatte es kurzzeitig so ausgesehen, als könnte er mit dem Leben davonkommen; Irrtümlich wurde er ins etwa 140 Kilometer entfernte Schönberg gebracht. Als der Fehler auffiel, beeilten sich Hitlers Schergen, ihn nach Flossenbürg zu schaffen, wo ihm und den Männern um Canaris von einem SS-Standgericht der Prozess gemacht wurde. Es zählt zu den beschämenden Kapiteln deutscher Rechtsgeschichte, dass die Urteile bis 1996 formal Gültigkeit besaßen.

Bonhoeffer stand im Leben und hing am Leben. Er schwärmte von Italien, überhaupt von der Welt, in die es ihn in jungen Jahren hinauszog; 1943, mitten in den Kriegswirren verlobte er sich. Gleichzeitig stellte er sich auf das eigene Ende ein; er sah darin eine Art Übergang. Einem Mitgefangenen hinterließ er eine Botschaft an den englischen Bischof George Bell: „Für mich ist dies das Ende, aber auch der Anfang.“

Ein Frühstarter und Früherkennender

Der irdische Anfang Bonhoeffers liegt in Breslau. Dort wird er am 4. Februar 1906 mit seiner Zwillingsschwester Sabine geboren, als Kinder Nummer sechs und sieben – von insgesamt acht! Seine Mutter, Paula, bildet das Zentrum der großbürgerlichen Familie. Der Vater, Karl Bonhoeffer, ist ein bekannter Professor für Psychiatrie. Er stammt aus Schwäbisch Hall, wo die Bonhoeffers seit Generationen Ansehen genießen. Früh entwickelt Dietrich einen Zugang zum Glauben; mit seinen zwei jüngeren Geschwistern spielt er „Verbrecher mit Bekehrung“; vor dem Zubettgehen denken sie „an die Ewigkeit“, wie Ferdinand Schlingensiepen in seiner detailreichen Biografie schreibt, die anlässlich von Bonhoeffers 100. Geburtstag 2006 erschienen ist.

Genauso intensiv denkt er ans Diesseits. Bonhoeffer ist ein Frühstarter: Mit 17 macht er in Berlin Abitur. Anschließend studiert er Theologie (unter anderem in Tübingen). Mit 21 ist er promoviert mit 24 habilitiert, mit 25 Privatdozent. Eine Karriere im Zeitraffer, zwei Aufenthalte in Barcelona und in den USA eingeschlossen. Vor allem aber ist Bonhoeffer ein Früherkennender: Von Beginn an tritt er in Opposition zu den Nazis. Im Radio erklärt er am 1. Februar 1933 unerschrocken: „Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gott.“ Die Sendung wird abgebrochen. Zwei Monate später, unter dem Eindruck der beginnenden Judenverfolgung, denkt er bereits darüber nach, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Von Bonhoeffer stammen die frühesten schriftlichen Zeugnisse von Judendeportationen in Deutschland. Am 18. Oktober 1941 schreibt er an oppositionelle Militärs: „Die Massendeportation beginnt in Berlin.“

Aus der sicheren USA kehrte er zurück

Sein Weg in den Widerstand ist vorgezeichnet. Bonhoeffer, der sich für ein konsequentes Leben in der Nachfolge Jesu Christi entschieden hat, steht in diesem Deutschland. Er kann nicht anders. Im „Tun des Gerechten“ ist er kompromisslos. Eine „einzigartige Verknüpfung von Theologie und politischem Handeln“, so nennt es Schlingensiepen.

Nach eineinhalb Jahren als Auslandspfarrer in London übernimmt Bonhoeffer die Leitung eines Predigerseminars in der „Bekennenden Kirche“ und bildet junge Pastoren aus. Als das Seminar geschlossen wird, setzt die Tätigkeit im Untergrund fort. 1939 folgt Bonhoeffer einer Einladung in die sichere USA; korrigiert jedoch nach wenigen Wochen seinen Entschluss und kehrt zurück, weil er seinen Platz an der Seite der bedrängten Christen in Deutschland sieht. In seiner unvollendet gebliebenen „Ethik“ wirbt er für „das Wagnis der freien, auf eigenste Verantwortung hin geschehende Tat, die allein das Böse im Zentrum zu treffen vermag“.

Seine Kraft wirkt in der Evangelischen Kirche bis heute

Über seinen Schwager Hans von Dohnany knüpft er Kontakte zum militärischen Widerstand und erhält eine Anstellung beim Nachrichtendienst der Wehrmacht. Offiziell mit dem Ziel, seine Auslandskontakte für die Spionageabwehr einzusetzen. In Wirklichkeit nützt er die Kontakte, um für Unterstützung des Widerstands zu werben. Am 5. April 1943 wird er verhaftet. Es folgt eine fast zweijährige Haft in Berlin-Tegel. Seine Briefe werden später unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ publiziert.

In die Allgemeinherzensbildung eingegangen ist Bonhoeffers Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ vom Silvesterabend 1944. Die in einer Zeit massiver äußerer Bedrängung geschriebenen Zeilen verströmen bis in die Gegenwart hinein Kraft. Bonhoeffers Kraft zeigt sich auch in Sätzen wie diesem: „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.“ Die Evangelische Kirche profitiert davon bis heute.