Die britische Schauspielerin Naomi Ackie überzeugt auf ganzer Linie als Whitney Houston. Foto: CTMG

Die Geschichte einer großen Sängerin erzählt Kasi Lemmons in „Whitney Houston – I wanna dance with somebody“ – und geht dabei wunderbar differenziert zu Werke.

Die Bedeutung von amerikanischen Rock- oder Popstars lässt sich an der Schlichtheit des Beinamens messen. Bruce Spingsteen ist „The Boss“. Aretha Franklin „The Queen“. Und Whitney Houston einfach nur „The Voice“. Ihr drei Oktaven umfassender Stimmumfang verwandelte so manchen Song in eine schwindelerregende Achterbahnfahrt. Mit dem typischen lang gezogenen Tremolo hielt Houston die Melodie in der Luft, um sich dann wieder kraftvoll in die Tiefen zu stürzen. Auch diejenigen, denen Titel wie „I will always love you“ eigentlich zu sentimental waren, mussten vor der Qualität dieser Stimme kapitulieren.

Gerade einmal 48 Jahre alt war Whitney Houston, als sie 2012 in der Badewanne ertrank infolge von Drogenkonsum. Seitdem wird ihr Leben vornehmlich vom Ende her betrachtet und als Tragödie gelesen. Daran grundsätzlich etwas ändern möchte nun Kasi Lemmons („Harriet“) mit ihrem Film „I wanna dance with somebody“. Die Regisseurin und ihr Drehbuchautor Anthony McCarten („Bohemian Rhapsody“) haben sich vorgenommen, Houstons Biografie nicht als weitere, weibliche Leidensgeschichte zu erzählen, sondern aus der Perspektive ihrer musikalischen Leistung und Triumphe, ohne die Schattenseiten zu verschweigen.

Die Mutter ist eine strenge Lehrerin

Die Filmhandlung setzt in den frühen 80ern ein, als die junge Whitney (Naomi Ackie) noch als Solistin im Gospelchor der baptistischen Kirchengemeinde in New Jersey und Background-Stimme in der Band ihrer Mutter Cissy Houston (Tamara Tunie) sang. Die Mutter ist eine unnachgiebige, kritische Lehrerin, die versucht, die regelmäßig ausbrechende Stimme der Tochter zu zähmen. Als der legendäre Produzent Clive Davis (Stanley Tucci), der Talente wie Janis Joplin oder Pattie Smith entdeckt hat, den Club betritt, täuscht Cissy Stimmprobleme vor. Sie überlässt der Tochter den Eröffnungssong „Greatest Love of all“, mit dem Whitney den Saal rockt und einen Plattenvertrag bei Arista Records ergattert.

Von hier aus geht die Karriere steil nach oben. Nur vier Jahre später kann Houston mit ihrem zweiten Albums sieben Nummer-eins-Hits in Folge vorweisen – einen mehr als die Beatles. Regisseurin Lemmons zelebriert diesen Aufstieg bis hin zu Whitneys legendärer Interpretation der Nationalhymne beim Super Bowl 1991 mit groß angelegten Konzert- und Studioszenen. In den insgesamt 22 Songs von „Home“ über „Saving all my Love“ und „How will I know“ bis zu „I didn’t know my own Strength“ ist stets Houstons Originalstimme zu hören.

Der Vater veruntreut hohe Summen

Der Film widmet sich auch Houstons komplexem Beziehungsgeflecht. Neben der Mutter als künstlerischer Mentorin und dem rigiden Vater, der das Management an sich reißt und hohe Beträge veruntreut, kann die Sängerin auf zwei Menschen bauen: zum einen den Produzenten Davis, den Stanley Tucci mit hinreißendem Understatement und Herzenswärme verkörpert; zum anderen Whitneys Freundin Robyn Crawford (Nafessa Williams), mit der sie in jungen Jahren zusammenlebte, bis sie die lesbische Liebesbeziehung aufgab, um ihre Karriere nicht zu gefährden.

Dennoch blieben die beiden enge Freundinnen und Geschäftsparterinnen, was immer wieder Spekulationen auslöste, bis Houston schließlich den Musiker Bobby Brown (Ashton Sanders) heiratete. Der turbulenten Ehe widmet sich der Film mit sichtbarem Differenzierungsvermögen, ohne dem gewalttätigen Brown die alleinige Schuld für Houstons zunehmenden Drogenkonsum zuzuweisen.

Die Sängerin ist willensstark und kompetent

Mit ihrer Mischung aus grandiosen Musikszenen und biografischer Erzählung bewegt sich Lemmons innerhalb der Konventionen des Genres, in dem schon viele Musikerinnen-Porträts vom Aufstieg und Fall großer Talente berichtet haben. Ob Billie Holiday, Whitney Houston oder Amy Winehouse – die biografischen Zutaten scheinen sich zu gleichen: eheliche Gewalt, väterliche Habgier, Leistungsdruck und Drogenkonsum. „I wanna dance with somebody“ wendet sich davon nicht ab und findet den Mut, am Sterbebett des Vaters nicht eine rührselige Versöhnung zu vollziehen, sondern einen endgültigen Bruch. Lemmons weigert sich strikt, Houston als Opfer zu stigmatisieren, sie arbeitet in Konfliktsituationen deren Willensstärke und Kompetenzen klar heraus.

Dass dies auf der Leinwand funktioniert, ist vor allem der herausragenden Performance der britischen Schauspielerin Naomi Ackie zu verdanken. Sie überzeugt als glamouröse Diva auf der Bühne ebenso wie im aggressiven Ehestreit, in melancholischen Momenten und seelischen Zusammenbrüchen. Könnte man die schauspielerische Bandbreite wie einen Stimmumfang messen – Naomi Ackie käme sicherlich auch auf drei Oktaven.

Whitney Houston: I wanna dance with somebody. USA 2022. Regie: Kasi Lemmons. Mit Naomi Ackie, Stanley Tucci, Nafessa Williams. 144 Minunten. Ab 12 Jahren.

Whitney Houston

Leben
 Geboren am 9. August 1963 in Newark, ist sie umgeben von erfolgreichen Sängerinnen: ihrer Mutter Cissy, ihrer Cousine Dionne Warwick und ihrer Patin Darlene Love. Whitney wird nur 48 Jahre alt.

Karriere
 Sie hat über 200 Millionen Platten verkauft und ist die einzige Künstlerin mit sieben Nummer-eins-Hits in Folge in den USA zwischen 1985 und 1988, darunter„Saving all my Love for you“ (1985) und „I wanna dance with somebody“ (1987).