Wer die Wale hat, hat die Qual: fangen und ihr Fleisch nach Asien verkaufen oder schützen und den Touristen den Besuch der Giganten schmackhaft machen? Die meisten Isländer sehen die Tiere lieber im Meer als auf dem Teller.
Isafjördur - Eben noch lag das Meer wie Blei im lang gezogenen Fjord vor dem Krabbenfischerstädtchen Isafjördur. Doch jetzt kräuselt sich die Oberfläche, ein Fellknäuel taucht auf, linst aus Knopfaugen auf die bunten Kajaks und verschwindet wieder. War das etwa . . .? „Ja, ein Seehund“, bestätigt Sigrún Auđarsdóttir, die Chefin der morgendlichen Kajaktour. Sie stammt hier aus den Westfjorden, einer Gegend, die selbst für isländische Verhältnisse als einsam und abgeschieden gilt. Und sie liebt ihre Heimat: die monumentalen Tafelberge, die tief ins Land geschnittenen Fjorde und die nahezu intakte Natur. Im Winter studiert sie Biochemie in Reykjavik, im Sommer arbeitet sie in Isafjördur als Guide für Kajak- und Mountainbiketouren.
Noch ein paar Mal guckt der Seehund aus dem Wasser. Doch bis die Besucher, die man warm und wasserdicht ins Kanu gepackt hat, zum letzten Erscheinungsort gepaddelt sind, taucht das Kerlchen schon wieder ganz woanders auf.
Da sind die Eiderenten, die den Fjord bevölkern, dankbarere Fotomotive. Und eine Einnahmequelle der hiesigen Landwirte, die die berühmten feinen Daunen der ausschließlich im Salzwasser lebenden Enten ernten. Sie stellen auf ihrem Land hohe Stäbe auf, um Raubvögel zu vertreiben, damit die Enten in Ruhe brüten können. Aus deren Nestern entfernen sie nach und nach die Daunen und ersetzen sie durch Heu. Das stört wohl weder die Enten noch ihren Nachwuchs, erzählt Sigrún, die Tiere seien standorttreu und würden bis zu 50 Jahre alt. Neben Seehunden und Eiderenten leben Fische, Krabben und Muscheln im Fjord. Giganten der Meere trifft man hier nicht.
Um Wale zu sehen, muss man nach Vögeln Ausschau halten
Doch kaum hat das Expeditionsschiff den idyllischen Hafen mit bunten Häusern vor schroffen Hängen verlassen und im offenen Meer vor der Nordküste Fahrt aufgenommen, kommt die Meldung von der Brücke: „Buckelwal backbord. Steuerbord ein Zwergwal.“ Wie hat der Kapitän die bloß entdeckt? Jens Ruminy grinst. „Um Wale zu sehen, muss man nach Vögeln Ausschau halten. Wo die sind, ist Fisch, und wo Fisch ist, ist Futter für den Wal“, sagt der Tourguide.
Der gebürtige Münchner lebt seit fast 20 Jahren mit seiner isländischen Frau und den Kindern in Reykjavík – wenn er nicht gerade Dienst auf dem Schiff tut. Und der sieht als Nächstes eine kleine Walkunde für die Gäste vor: „Finnwale sind mit 32 Kilometern pro Stunde die Schnellschwimmer, Schweinswale mit 1,50 Metern die Zwerge und Blauwale mit bis zu 30 Metern die Riesen“, referiert er. Zustimmendes Nicken, ja, hat man schon gehört. Überraschte Gesichter erntet Ruminy, als er erzählt, dass sich im Stammbaum der Wale Nilpferde und Urrinder finden.
Húsavík gilt als Hauptstadt der Walbeobachtung
Etwa zehn Wal- und zahlreiche Delfinarten leben um Island oder schwimmen regelmäßig hier vorbei, darunter die großen: Blau-, Buckel-, Finn- und Pottwal. Besonders gern kommen sie nach Húsavík. Das Meer ist hier bis zu 200 Meter tief, und mehrere Flüsse münden und spülen Plankton hinein. Das lockt hungrige Meeresbewohner, weshalb der Ort als Hauptstadt der Walbeobachtung gilt. Davon profitieren viele der rund 2300 Einwohner.
Eine der hauptberuflichen Walbeobachterinnen ist Charla Basran, eine Forscherin aus Kanada. Sie führt die in rote Overalls vermummten Touristen auf ein Schlauchboot mit einer Art Böcken in der Mitte. Auf denen sitzt man wie auf einem Pferd und hält sich vorne fest. Besser ist das, denn die flotte Fahrt hinaus aufs offene Meer gleicht einem Höllenritt. Wellen spritzen übers Boot, der Regen peitscht ins Gesicht. Gegen Rückenschmerzen – den Tipp gab es vorab – hilft aufstehen, um die Stöße abzufedern. Dann plötzlich ein Blas, das hör- und sichtbare Ausatmen eines Wals. Alle Beobachtungsboote düsen hin, drosseln den Motor und dümpeln dann auf den Wellen. Fotos und Handys im Anschlag, versucht jeder, den perfekten Augenblick zu erwischen. Mehrmals schaut der Rücken des Wals heraus, schön gebogen, grau und mächtig mit eindrucksvoller Rückenflosse. Dann folgt die riesige Schwanzfluke, erhebt sich gen Himmel – und weg ist der Wal. „Das dauert jetzt etwa sieben Minuten, dann muss er wieder atmen“, prophezeit die Walexpertin. Sie soll recht behalten. In der Wartezeit erzählt sie, dass im Süden von Snæfellsnes eine Schule Pilotwale strandete und dass man bis heute rätselt, warum. U-Boot-Signale wären eine Ursache, doch „die sollten dort nicht sein!“, weiß Charla. Es sind nicht die einzigen Gefahren für die Wale: Blei, Schweröl, Plastik und immer wieder Fangnetze, in denen die Tiere ertrinken, dezimieren die Bestände. Und der Walfang? Charla Basran sagt, dass die meisten Isländer zwar gerne Wale gucken, aber kein Walfleisch essen.
Walfleisch wird an Touristen und ins Ausland verkauft
Walfang betreibe vor allem eine größere Firma mit Beziehungen zur Regierung. Das Fleisch werde ins Ausland verkauft und an die Touristen im Land. Das bestätigt Jens Ruminy, der sich auch als Politologe mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Man frage sich in Island schon, weshalb Mitteleuropa und die USA immer meinten, dem kleinen Land etwas vorschreiben zu müssen. „Die Isländer sagen: Wir dürfen, können und setzen die Regeln für den Walfang. Bevormundung brauchen wir nicht.“
Angesehen sei der Walfang freilich nicht in der Bevölkerung. Auch weltweit stieß das isländische Fischfangkonglomerat auf Störfeuer: In Europa hielt der Zoll die Container fest, bis die Anschlussschiffe nach Japan verpasst waren. Ägypten verweigerte die Durchfahrt durch den Suezkanal und viele Häfen in Afrika ließen den Walfleischtransport nicht anlanden. So lagerte der Wal oft Jahre im Gefrierhaus, bis man ihn losbekam. Auch deshalb, so Ruminy, seien seit Jahren keine Finnwale mehr gefangen worden, obwohl Island eine Quote gehabt hätte.
Informationen
Anreise:
Mit Icelandair ab Frankfurt, München, Berlin und Hamburg direkt nach Reykjavík, www.icelandair.com
Schiffsreisen:
Touren mit dem Expeditionsschiff bietet Iceland ProCruises, Tel. 040 / 2 86 68 71 60, Preis für eine Woche „Höhepunkte Islands“ ab 1570 Euro pro Person, www.icelandprocruises.de Weitere Anbieter für Island-Kreuzfahrten: Ponant (https://de.ponant.com), Hapag-Lloyd Cruises (www.hl-cruises.de).
Tierbeobachtung
: Kajaktouren in Isafjördur bietet Borea Adventures, www.boreaadventures.com/day_tours/Calm_Water_Kayaking/ Whale-Watching in Húsavík kann man buchen bei Gentle Giants, www.gentlegiants.is
Allgemeine Informationen:
Isländische Touristeninfo, www.visiticeland.com