Die WGV-Versicherung wächst am Stammsitz Stuttgart und hat erweitert Foto: Leif Piechowski

Im seit Jahren schwelenden Steuerstreit zwischen Stuttgart und dem Finanzamt Ravensburg liegt eine Lösung auf dem Tisch. Die Landeshauptstadt würde demnach rückwirkend rund 29 Millionen Euro Gewerbesteuer der WGV-Versicherungsholding erhalten und ginge auch künftig nicht leer aus.

Stuttgart - Das Finanzgericht Stuttgart wird den Streit um die Gewerbesteuerzuteilung der WGV-Versicherungsholding AG voraussichtlich nicht mehr aufrufen. Die Streitparteien hätten am kommenden Dienstag vor Professor Kay-Michael Wilke erscheinen müssen. Der Richter hatte ihnen vor Weihnachten aber eindringlich zu Verhandlungen geraten – und unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen eingeschärft, das Steuergeheimnis zu wahren. Zuvor hatte Wilke nach Aktenlage einen Beschluss gefasst und die bisher allein nach Ravensburg geflossene Gewerbesteuer im Millionenumfang neu verteilt.

Wilkes Vorschlag soll nun, zumindest für die vergangenen zehn Jahre, angewandt werden. Das bedeutet, dass Stuttgart statt bisher null Prozent Gewerbesteuer der seit 2004 in Ravensburg angesiedelten WGV-Holding 44,8 Prozent erhalten wird. In Ravensburg bleiben 55,2 Prozent. In Euro geht es dabei für Stuttgart laut Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp um rund 29 Millionen Euro. Dazu kommen noch 6,2 Millionen Euro Zinsen, die von Stuttgart aber offenbar nicht komplett eingefordert werden. Die Rede ist von noch etwa drei Millionen Euro.

Rapp informierte am Montag den Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung über den Vergleichsvorschlag. Für Ravensburg bringt die Einigung erhebliche Einschränkungen für den Haushalt. Zwar wurden Rücklagen gebildet, die 30 Millionen Euro Rückzahlung würden aber rund vier Jahre deutlich spürbar sein, bis der Finanzausgleich Entlastung bringe, hatte Rapp bei einer Bürgerversammlung vorgerechnet.

Für die Zukunft, zumindest bis 2025, soll das von Wilke ermittelte Steuerverhältnis umgedreht werden. Von diesem Jahr an erhielten also Stuttgart 55,2 und Ravensburg 44,8 Prozent der künftigen Steuersumme.

In Stuttgart wird Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) den Verwaltungsausschuss des Gemeinderates an diesem Mittwoch über den Vorschlag informieren. Als Drucksache Nummer 54/2015 kursiert er im Rathaus. Der Gemeinderat wird wohl frühestens am 12. Februar entscheiden. Föll sagte am Montag, es sei „richtig, dass „Einigungsgespräche stattfinden, schließlich hat das Gericht diese angeregt“. Man habe zusammengefunden. „Der Beschluss des Gerichts hat uns dabei Orientierung gegeben“, so der Finanzbürgermeister.

Stuttgarts Klage richtete sich nicht gegen die Stadt Ravensburg, sondern gegen das dortige Finanzamt, das die von der WGV vorgenommene Vereitlung der Steuer gebilligt hatte. „Wir haben uns an den Einigungsgesprächen nicht beteiligt“, sagt der stellvertretende Amtsleiter Roland Eberhart. Das Finanzamt werde „eine Einigung der drei betroffenen Parteien umsetzen, denn sie bindet uns“.

„Wir haben am Freitag viereinhalb Stunden verhandelt und den Einigungsvertrag bereits unterzeichnet. Der Modus ist in Ordnung. Uns liegt daran, dass wir Rechtssicherheit erhalten“, kommentierte WGV-Vorstandsvorsitzender Hans-Joachim Haug die Lösung. Der Gewerbesteuer-Hebesatz liegt in Stuttgart höher als in Ravensburg. Daher müsse die 1921 von Württembergischen Städten (allerdings ohne Stuttgart) als Gemeindeversicherer gegründete Gesellschaft einen siebenstelligen Steuerbetrag nachzahlen. „Dazu kommen jeden Monat rund 25 000 Euro Zinsen“, sagt Haug, und nennt damit eine weitere Motivation für die Lösung.

In Ravensburg wird die vorläufige Einigung gefeiert: „OB Rapp hat sehr gut verhandelt, wir waren ständig über den Stand der Gespräche informiert“, sagt August Schuler, Vorsitzender der CDU-Fraktion, die mit 14 Sitzen vor den Grünen (9) rangiert. Deren Chef Manfred Lucha nennt die Steuersache eine „filigrane, komplexe und hoch sensible Sache“. Nach anfänglichen Vorwürfen aus Ravensburg gegen Stuttgart werde das Thema nun aber nicht vor Gericht, sondern „innerhalb der kommunalen Familie verhandelt“.

Als Motivation für die Einigung gilt auf beiden Seiten die Ungewissheit über eine höchstrichterliche Entscheidung. Stuttgart hatte die rechtliche Zulässigkeit der Holding-Konstruktion angezweifelt und gedroht, das Verfahren bis zum Bundesfinanzhof zu treiben, was Jahre dauern würde. Und der Ausgang ist ungewiss. Ravensburg, aber auch der Landeshauptstadt könnte am Ende weniger als der vom Finanzgericht vorgeschlagene Anteil zugesprochen werden. „Der Antrag, das für Dienstag terminierte Verfahren zu verlegen ist bei uns eingegangen“, sagt Gerichtssprecherin Petra Karl.