Seit das polare Meereis immer schneller schmilzt, ist um die Arktis ein internationaler Wettlauf ausgebrochen. Foto: dpa

Vor fast 170 Jahren verschwanden die Schiffe der Franklin-Expedition auf der Suche nach der legendären Nordwestpassage. Eines der Wracks hat Kanada jetzt gefunden – und will damit auch seine Ansprüche auf die Arktis und ihre Rohstoffe untermauern.

Vor fast 170 Jahren verschwanden die Schiffe der Franklin-Expedition auf der Suche nach der legendären Nordwestpassage. Eines der Wracks hat Kanada jetzt gefunden – und will damit auch seine Ansprüche auf die Arktis und ihre Rohstoffe untermauern.

Ottawa - Das letzte Lebenszeichen von Sir John Franklin gab es am 26. Juli 1845. Walfänger sichteten den Kapitän und seine zwei Expeditionsschiffe „Erebus“ und „Terror“ vor der Küste Grönlands. Danach verschwand Franklin im Polarmeer, und außer seiner Mannschaft bekam ihn kein Mensch je wieder zu sehen. Seitdem gelten Franklin, seine 129 Mann Besatzung und die Schiffe als verschollen. Es gilt bis heute als eine der größten Tragödien der Expeditionsschifffahrt.

Franklin sollte im Auftrag der damaligen britischen Königin Victoria die legendäre Nordwestpassage finden. Jene Wasserstraße in der Arktis, die auf gut 6000 Kilometern den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Franklin hatte die doppelwandigen Segelschiffe mit mächtigen Dampfturbinen ausstatten lassen, hatte Proviant für sieben Jahre dabei und die besten Seeleute. Doch in jenem Sommer verlor sich seine Spur auf immer im Eis.

Fast 170 Jahre später lässt die kanadische Regierung mit bisher beispiellosem Aufwand nach den Wracks der Franklin-Expedition suchen – der Klimawandel und das schmelzende Eis machen es möglich. Unterwasserarchäologen suchen den arktischen Meeresboden ab. Mit Erfolg: Eines der beiden Wracks haben sie bereits gefunden. Von der Entdeckung des ersten Expeditionsschiffes im eisigen Wasser nahe Pond Inlet im Norden der Provinz Nunavut erhoffen sich die Experten nun neue Aufschlüsse über den Verbleib des zweiten Schiffes sowie den Verlauf und das Scheitern der Expedition.

Den Kanadiern geht es dabei um historische Neugier – aber nicht nur. Die verschollenen Schiffe waren und sind Schiffe Ihrer Majestät, der Königin von England, die zugleich auch Königin von Kanada ist. Werden sie gefunden, untermauert das die Ansprüche Kanadas auf die Arktis. In einem Vertrag haben beide Länder vereinbart, dass sie für diesen Fall in den Besitz Kanadas übergehen. Auch die kanadische Umweltministerin Leona Aglukkaq macht kein Geheimnis aus ihren politischen Motiven: Bei der Aktion gehe es unter anderem um die Sicherheit der nordischen Seefahrt, den Umweltschutz – vor allem aber um die Souveränität in der Arktis.

Seit das polare Meereis immer schneller schmilzt, ist um die Arktis ein internationaler Wettlauf ausgebrochen. Mehrere Nationen rivalisieren um das Polargebiet, darunter die Anrainer Kanada, Russland und die USA. Klimaforscher schätzen, dass die Arktis schon in 25 bis 40 Jahren komplett eisfrei sein könnte – und das weckt Begehrlichkeiten. Nach Schätzungen der US-Behörde für Kartografie lagern nördlich des Polarkreises bis zu 30 Prozent der bisher unentdeckten Gas- und 13 Prozent der unentdeckten Erdölvorkommen der Welt, dazu Rohstoffe und Edelmetalle wie Kupfer, Gold oder Diamanten sowie reiche Fischgründe.

Die Öffnung der Nordwestpassage ist auch für Reeder attraktiv. Sie verkürzt den Seeweg zwischen Rotterdam und Tokio um rund 5000 Kilometer. Vergangenen Herbst durchquerte erstmals ein großes Frachtschiff die Passage.

Kanada betrachtet die Nordwestpassage als nationales Gewässer, die USA und viele andere Nationen dagegen als eine internationale Schifffahrtsroute. Die Amerikaner unterqueren die Passage regelmäßig mit ihren Atom-U-Booten, ohne Kanada zu fragen. Russland hat 2007 auf dem Meeresboden unter dem Nordpol symbolisch die Nationalflagge hissen lassen, um seinen Anspruch deutlich zu machen. „Franklins Tragödie in der Arktis und die Suchexpeditionen nach ihm sind ein völkerrechtlicher Grund, mit dem Kanada Anspruch auf die Arktis erheben kann“, erklärt John Geiger von der Kanadischen Geografie-Gesellschaft, die an der Seite der Nationalparkbehörde an der Suche teilnimmt.

Seit dem Fund der „Titanic“ 1985 gab es um Schiffswracks nicht mehr so viel Aufregung wie um die „Erebus“ und die „Terror“. Die kanadische Regierung ist zum sechsten Mal in sieben Jahren zur Suche aufgebrochen. Mit dabei sind der Eisbrecher „Sir Wilfried Laurier“, das Forschungsschiff „Martin Bergmann“ und das Kreuzfahrtschiff „One Ocean Vogayer“. Erstmals nimmt auch die kanadische Marine teil und sendet das Patrouillenboot „HMCS Kingston“. Bezahlt wird die Expedition von der Regierung, unterstützt von Geschäftsleuten wie dem Gründer des Blackberry-Konzerns, Jim Balsillie, und dem Ölkonzern Shell.

Die Schiffe haben Unterwasserkameras, Sonargeräte, Echolot, Satellitenempfänger und Messboote an Bord. Unbemannte U-Boote sollen das Meer dabei wie ein Rasenmäher „abgrasen“. Aus den Signalen wollen die Forscher Unterwasserkarten erstellen, denn noch immer sind große Teile des Polarmeeres nicht kartografiert.

Die Forscher suchen derzeit eine Fläche von mindestens 1200 Quadratkilometern ab – so viel wie bei allen vorherigen Expeditionen zusammen. Anhaltspunkte für die Eingrenzung des Suchgebietes bieten Überlieferungen der lokalen Inuit-Ureinwohner und eine handschriftliche Aufzeichnung der Franklin-Mannschaft, die in einer Steinpyramide auf der King-William-Insel gefunden wurde. Aus der Notiz lässt sich schließen, dass Franklins Schiffe im Herbst 1846 unweit der Nordspitze der Insel im Treibeis stecken geblieben waren und ihre Fahrt danach nicht fortsetzen konnten. Der Kapitän hatte noch einen arktischen Winter an Bord der „Erebus“ durchgehalten, bis er wohl im Juni 1847 an Kälte, Skorbut und einer Bleivergiftung starb. Sein Grab wurde nie gefunden. Der Rest der Besatzung kam ein Jahr später beim Versuch um, sich zu Fuß zu retten.

Wo sich das zweite Wrack befindet, ist bisher unklar. Manche Experten sind davon überzeugt, das Schiff sei vielleicht Tausende Kilometer abgetrieben und an einem anderen Ort gesunken. Auch viele Inuit, Kanadas Ureinwohner, vertreten diese Meinung. „Meine Großeltern haben mir schon als Kind Geschichten über die Schiffe erzählt, die sie wiederum von ihren Großeltern erfahren haben“, berichtet Louie Kamookak, ein Historiker aus Gjoa Haven. Noch heute finden die Inuit regelmäßig Glasflaschen oder Metalldosen, die von den Franklin-Schiffen stammen sollen.