Rainer Bubeck hat alle Hände voll zu tun: Die Reben müssen jetzt zügig an die Drahtrahmen gebunden werden. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Das extreme Wetter mit langer Trockenheit, Hitze und heftigen Regengüssen hat den Rhythmus in der Landwirtschaft und im Weinbau verschoben. Doch die Rekorde sind nicht nur gut.

Stuttgart - Selbst die älteren Bauern können sich kaum an ein so extremes Frühjahr erinnern wie das aktuelle. Der wärmste Mai seit den Wetteraufzeichnungen 1951 freute zwar die Freibadbesucher, bei den Wengertern ist die Begeisterung aber nicht so groß wie angesichts der fast südländischen Temperaturen zu erwarten wäre. Auch die Landwirte blicken mit gemischten Gefühlen zum Himmel. Weitere Unwetter oder gar Hagel – von dem der Raum Stuttgart weitgehend verschont blieb – können sie keinesfalls gebrauchen.

„Das Wetter hat die Zeiten ganz verschoben“, sagt Bernd Munk, der Vorstandsvorsitzende der Weinmanufaktur Untertürkheim. Normalerweise blühen die Reben im Juni. Aber in diesem Jahr sind sie jetzt um diese Zeit schon so groß wie Erbsen. Die Faustregel „100 Tage nach der Blüte kommt die Ernte“ bedeutet 2018, dass die Lese bereits im August beginnen könnte. „Ich glaube allerdings eher an Anfang September“, meint Munk.

Gedränge an den Rebstöcken

Rainer Bubeck, der Aufsichtsratsvorsitzende des Collegium Wirtemberg, vermutet schon, dass der Sommerurlaub ausfallen muss und rät den Kollegen: „Man sollte jetzt schon umbuchen, wenn man was geplant hat.“ Die frühe Ernte fällt genau in den Zeitraum, in dem die Weinbauern sonst noch einmal Kraft tanken, bevor es richtig los geht. Aber schon jetzt herrscht Hochbetrieb im Weinberg, die Wengerter sind sozusagen im Wettlauf mit dem Wachstum der Reben. Die schießenden Triebe müssen an die Drahtrahmen gebunden werden. „Wir kommen da fast nicht hinterher. Es ist das ideale Wachstumswetter“, sagt Bubeck. Die Entwicklung von Reben und Trauben ist im Vergleich zu einem durchschnittlichen Jahr zwei bis drei Wochen voraus. „Wir sind gar nicht so glücklich mit solchen frühreifen Jahren“, bemerkt Bubeck. Der Grund: Die Trauben hängen jetzt schon so dicht, dass sie sich gegenseitig beschädigen – und austretender Saft wird bei den hohen Temperaturen zu Essigsäure. „Deshalb müssen wir jetzt schon Trauben entfernen.“ Ein Arbeitsschritt, der eigentlich erst später käme. Positiv dagegen ist, dass die Essigfliege Sonnenschein hasst und die Trauben deshalb von ihr bisher verschont blieben.

Bangen wegen der Kirsch-Essigfliege

Spannend bleibt es bis zum Schluss, denn kurz vor der Ernte droht noch Schaden durch die erst vor einigen Jahren eingeschleppte japanische Kirschessigfliege. Die beginnt ihr zerstörerisches Werk während der Reifephase der Trauben, die normalerweise im August ist. Anders als die Essigfliege, die nur an beschädigte Früchte geht, frisst sie die Trauben an – und zwar ausschließlich die roten Sorten: Portugieser, Dornfelder, Trollinger, Schwarzriesling und Lemberger. „Da hilft nur spritzen“, weiß Munk, denn diesen Wettlauf mit dem Insekt müssen die Wengerter gewinnen, wenn sie ihre Trauben retten wollen. Nach dem furiosen Start in die Weinsaison wäre jetzt „Regen auf Zeit“, das heißt feuchte Wurzeln für die Rebstöcke und Wärme von oben für die Trauben, das Tüpfelchen auf dem i, betont Munk. „Dann wird es bei Weißen und Roten ein guter Jahrgang – sowohl bei der Qualität als auch bei der Menge.“

Glücksfall: gute Böden

Auf den Äckern sind Wachstum und Ernte ebenfalls ihrer Zeit voraus: „Die Wintergerste ist schon eingebracht. Das ist drei Wochen vor der Zeit “, berichtet Michael Gehrung, der landwirtschaftliche Obmann für Plieningen. Der lange Winter, dann von Ende März bis weit in den Mai Trockenheit und danach die Unwetter haben den Feldfrüchten zu schaffen gemacht. Gehrung präsentiert einen Acker, auf dem drei Chargen Mais wachsen. Zwischen den schon stattlichen Pflanzen links und rechts, stehen auf einem Teilbereich des Ackers Maispflanzen, die kaum halb so hoch sind. Die wurden zwei Wochen später ausgesät. „Wenn es ausreichend geregnet hätte, hätten sie aufgeholt und wären jetzt genauso groß“, erklärt er. Andererseits haben die Landwirte um Stuttgart Glück: Die schluffigen Lehmböden speichern die Feuchtigkeit gut.

„Ein Unwetter allerdings hat den Mais komplett niedergewalzt. Aber er ist glücklicherweise wieder aufgestanden – das hat mich gewundert“, berichtet Gehrung. Seinen Getreidepflanzen habe das feucht-warme Wetter der letzten Wochen geschadet. Sie sind von Pilzen und Rost befallen. Lukas Dreyer ist auf Gemüseanbau spezialisiert und betreibt in Möhringen den Demeterhof Reyer. Wegen der langen Trockenheit hatte er Mehrkosten, denn Gemüse und Salat musste er bewässern. Dann kamen die heftigen Regengüsse. „Da sind uns ein paar Reihen frisch gesäte Möhren weggeschwommen. Wir haben trotzdem nur leichte Verluste“, lautet seine Bilanz.

Schwimmende Möhren

Auch Obst gibt es in diesem Jahr üppig. Ende August – und damit ebenfalls zwei Wochen früher als sonst – werden schon die Elstar-Äpfel geerntet. Bei den Beeren war die Blütezeit schnell vorüber und obwohl einheimische Ware deshalb früh auf dem Markt war, griff der Einzelhandel auf Importe zurück, ärgert sich der Präsident des Landesbauernverbands, Franz-Josef Müller. „Und jetzt werden in manchen Märkten Kirschen aus der Türkei verkauft, obwohl hier die Bäume vollhängen.“