Die Zahl der Schüler an den Technischen Gymnasien ist übersichtlich – ein landesweiter Trend. Foto: Mauritius

„Technik ist heute kein Renner mehr“, sagt der Leiter der Werner-Siemens-Schule in Stuttgart. Gerade noch zwei Eingangsklassen hat die berufliche Schule für ihr Technisches Gymnasium zusammengebracht. Weshalb ist das landesweit einzigartige Profil Elektro- und Informationstechnik kaum noch gefragt?

Stuttgart - Unsere Schülerzahlen sind seit Jahren rückläufig“, sagt Thomas Wolf. Der Abteilungsleiter der beruflichen Werner-Siemens-Schule in Stuttgart meint damit das dreijährige Technische Gymnasium. Mit dem landesweit einzigartigen Profil Elektro- und Informationstechnik bringt die berufliche Schule gerade noch anderthalb Eingangsklassen zusammen. Ergänzt durch eine halbe Klasse mit dem Profil Umwelttechnik, das vor fünf Jahren dazukam, könne man gerade noch zweizügig fahren. Früher waren es drei Züge. Laut Regierungspräsidium sind die Schülerzahlen insbesondere in diesem Schuljahr und insbesondere an den beruflichen Gymnasien mit technischen Profilen in Stuttgart deutlich rückläufig.

Landesweit hingegen sinken die Schülerzahlen auch an beruflichen Gymnasien mit anderen Profilen, etwa Wirtschafts- oder Ernährungswissenschaften, die in Stuttgart stabil bis steigend sind. Die landesweiten Rückgänge seien „nicht auf eine sinkende Nachfrage zurückzuführen, sondern hängen mit der demografischen Entwicklung zusammen“, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums. Im Land schrumpft die Zahl der beruflichen Gymnasiasten seit zwei Jahren.

„Ein Rückbau der beruflichen Gymnasien steht für uns nicht zur Debatte“, betonte Kultusministerin Susanne Eisenmann auf Anfrage. „Die beruflichen Gymnasien sind auch deshalb unabdingbar, weil sie in unserem Schulsystem für Durchlässigkeit und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg sorgen.“ Eine Veränderung der Profile im Technischen Gymnasium sei ebenfalls kein Thema. „Da wir uns wohl bundesweit auf einen Ingenieur- und Fachkräftemangel einstellen müssen, ist ein Rückbau der Technischen Gymnasien abwegig“, so Eisenmann.

Werner-Siemens-Schule lockt Realschüler mit Erlebnistagen

In Stuttgart jedenfalls scheinen die Zeiten, in denen nur die besten Schüler einen Platz auf einem der beruflichen Gymnasien bekamen, vorbei zu sein. „Seit drei Jahren hat sich das zugespitzt“, sagt Thomas Wolf und meint das sinkende Schülerinteresse – und das trotz Topausstattung in einem gerade mal vor drei Jahren für 48 Millionen Euro sanierten Schulzentrum Nord.

Über die Gründe der nachlassenden Nachfrage könne man nur spekulieren. „Es heißt immer, das Abi bekommt man auf dem Kaufmännischen Gymnasium leichter“, sagt Wolf, „dieses Gerücht lässt sich nicht aus der Welt schaffen.“ Doch die Werner-Siemens-Schule hält mit Erlebnistagen zu „Technik in Aktion“ und anderen werbewirksamen Formaten dagegen. „Wir haben 60 Realschulen angeschrieben, bei 15 waren wir persönlich“, um für die Aktion zu werben. Doch nur sieben Klassen nutzten das mehrstündige Schnupperangebot. Dabei hätte die Schule „locker doppelt so viele“ bedienen können, so Wolf.

Rainer Klaus, Rektor der Werner-Siemens-Schule, meint zu diesem Trend: „Technik ist heute kein Renner mehr.“ Das sei „bis in den Unibereich zu spüren“. Dennoch versichert er: „Wir haben keinen Leerstand“ – da man die großen Berufsschulklassen mit bis zu 33 Schülern beim Laborunterricht in den integrierten Fachräumen teile. Im Unterschied zu der zunehmend gefragten dualen Ausbildung habe die Werner-Siemens-Schule „im Vollzeitbereich nicht so viele Bewerber, wie wir gern hätten“, räumt Klaus ein. Er führt das auch auf die höhere Übergangsquote auf die allgemeinbildenden Gymnasien zurück, als Folge des Wegfalls der verbindlichen Grundschulempfehlung. „Wir haben in Stuttgart seither durchgängig zehn Prozent mehr Übertritte auf die allgemeinbildenden Gymnasien“, bestätigt Karin Korn, Chefin des Schulverwaltungsamts. In deren oberen Klassenstufen gebe es allerdings „einen Schwund“.

In den beruflichen Gymnasien in Stuttgart sind 166 Schulplätze unbesetzt

Dennoch blieben beim zentralen Bewerberverfahren für die beruflichen Gymnasien im Juli 2018 in Stuttgart laut Regierungspräsidium 17 Bewerber ohne Schulplatz – 15 davon wollten auf ein Sozial- und gesundheitswissenschaftliches Gymnasium. Im RP geht man allerdings davon aus, dass die meisten im Nachrückverfahren zum Zug gekommen sind.

Insgesamt aber seien 166 der 1095 Schulplätze in den Eingangsklassen der beruflichen Gymnasien in der Landeshauptstadt unbesetzt. Das mag auch am Ausbau liegen. Denn vor fünf Jahren wurden landesweit 100 neue Klassen eingerichtet, fünf davon bekam Stuttgart ab. Je eine Technikklasse mit dem neu geschaffenen Profil Umwelttechnik ging an die Werner-Siemens- und an die Steinbeisschule. Letztere kam, wie die Wilhelm-Maybach-Schule, als neuer Gymnasialstandort hinzu.

Dabei sei der Ausbau der Gymnasien vor wenigen Jahren wegen der Lehrerversorgung schwierig gewesen, so Karin Korn. Einen Engpass gibt es allerdings auch aktuell. „Wir haben einen Bedarf von vier bis fünf Stellen, vor allem in Elektrotechnik und Informatik“, sagt Rainer Klaus. Eine Vertretung sei „praktisch unmöglich“. Also müsse man improvisieren: „Die Kollegen machen richtig satt Überstunden.“ Laut RP gibt es „einen erheblichen Bedarf an Lehrkräften in den Fachrichtungen Energie- und Automatisierungstechnik, Informationstechnik sowie Maschinenbau“. Der Unterricht sei aber „durch Umschichtungen gesichert“. Zudem sei für Dezember 2018 eine Sonderausschreibung geplant, um Direkteinsteiger aus der Industrie für den Schuldienst zu gewinnen.

Wird gymnasiale Oberstufe der Gemeinschaftsschule Konkurrenz für berufliche Schulen?

Dass den beruflichen Schulen in Stuttgart schon bald weitere Konkurrenz durch die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe für die Gemeinschaftsschulen ins Haus stehen könnte, erstaunt Klaus – insbesondere das Argument, dass deren Schüler nach der mittleren Reife einen Systemwechsel nicht vertragen könnten.