Eine der Aufgaben: Wie verhält sich der Hund gegenüber Kindern. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Rund 60 sogenannte Listenhunde warten im Tierheim darauf, adoptiert zu werden. Sie alle müssen in einem Wesenstest beweisen, dass sie nicht gesteigert aggressiv sind. Das Ergebnis überrascht.

Stuttgart - Umzingelt von zwölf Menschenbeinen. Das ist eine Position, die sich kein Hund freiwillig aussuchen würde. Clara, die Kampfhundmischlingsdame erträgt die missliche Lage geduldig. „Das ist die Situation im Aufzug“, sagt Albrecht Hauer. Er bildet vierbeinige Ordnungshüter aus. Auf dem Übungsgelände der Polizei in Stuttgart-Vaihingen müssen sich unter dem kritischen Blick der dortigen Hundekenner Kampfhunde und Kampfhundmischlinge einem Wesenstest unterziehen. „Ziel ist es, zu widerlegen, dass das Tier gesteigert aggressiv ist“, erklärt Stefan Kinkelin, der beim Amt für öffentliche Ordnung jene Abteilung leitet, die für alle angezeigten Vorfälle mit Hunden zuständig ist. In Baden-Württemberg gelten die drei Rassen American Staffordshire-Terrier, Bullterrier und Pitbull-Terrier als gefährlich und müssen getestet werden.

Der zweieinhalbjährige Brody, ein Staffordshire-Terrier-Mix, wartet seit einem halben Jahr im Tierheim auf einen Menschen, der ihn gern hat. Bevor Martin Pechmann vom Tierschutzverein mit ihm zum Test antritt, untersucht ihn die Amtsveterinärin. „Wir schauen nach, ob das Tier Narben oder abgeschliffene Zähne hat“, erklärt Kinkelin. Beides sind typische Zeichen dafür, dass das Tier für Hundekämpfe missbraucht worden ist. Solche Kämpfe sind in Deutschland verboten.

Hund muss Alltagssituationen meistern

Danach geht es an der kurzen Leine auf die große Wiese. Dort begegnen Brody nacheinander ein Wanderer mit Hut und Stock, ein stolpernder Jogger, ein Passant, der einen Regenschirm aufspannt sowie ein Spaziergänger mit Babypuppe im Buggy – und dann wird er auf Kommando noch von einem Diensthund angebellt. Das alles sind gestellte, typische Alltagssituationen. Aus der Ferne beobachtet das Team, wie sich Brody verhält: Neugierig ist er, wie es Hunde eben sind. Dann kommt Hauer mit einer Metallschüssel und schüttelt sie kräftig vor der Schnauze des Prüflings, damit die Gegenstände darin heftig scheppern. Der Hund weicht zurück. Kein Knurren, kein Zähne fletschen, keine zurückgezogene Schnauze oder gar ein sich versteifender Körper – auch nicht beim Defilee von Rad – und Mofafahrer sowie einem Pkw.

Eine der Testaufgaben dürfte für den ungefähr fünfjährigen Perry besonders schwer gewesen sein: Dabei wird das Tier im Gelände angebunden und allein gelassen. Perry wurde von seinem Besitzer kurzerhand ausgesetzt als er Knieprobleme bekam. Kürzlich wurde er operiert und kann wieder normal gehen. Wie verhält er sich, wenn jetzt ein Mann mit einem anderen Hund vorbeikommt? Perry meistert die Situation wie alle acht Tiere, die Pechmann und seine beiden Mitarbeiter an diesem Tag zum Wesenstest gebracht haben. Zwischen 50 und 60 solcher sogenannter Listenhunde warten im Tierheim oder auf Pflegestellen. Das sind etwa dreimal so viele wie es vor vier Jahren noch waren. 95 Prozent sind Mischlinge. Pechmann hat ein Patenschaftsprojekt gegründet, weil er diesen Hunden ersparen möchte, ihr ganzes restliches Leben im Tierheim verbringen zu müssen. Seit 2001 nach mehreren brutalen und sogar tödlichen Beißattacken durch Kampfhunde gelten in Deutschland sogenannte Rasselisten, je nach Bundesland sind sie unterschiedlich.

Kampfhundportale in den sozialen Netzwerken

Pechmann betont jedoch, dass gerade diese ursprünglich als Wach-und Begleithunde gezüchteten Tiere besonders auf den Menschen fixiert und freundlich sind. „Im Grunde sind sie die idealen Familienhunde“, sagt er. „Das Problem ist nicht das Tier, sondern der Mensch“, betont auch Kinkelin. Das gilt für jeden Hund. Kampfhunderassen waren wegen ihres bulligen Aussehens, ihrer Kraft sowie wegen ihrer Geschichte als Gladiatoren bei blutigen Hundekämpfen in zweifelhaftem Milieu lange ein Statussymbol. Aktuell scheint es so, als wären sie die neuen Modehunde. In den sozialen Netzwerken finden sich unzählige einschlägige Seiten, auch mit Kaufangeboten. Viele Tiere landen dann früher oder später im Tierheim. So wie der blutjunge Panci. Seine Besitzer gaben ihn mit sechs Monaten ab, als er kein ganz so niedlicher Welpe mehr war und zum ersten Mal zum Wesenstest gemusst hätte. Bella dagegen wurde als Gebärmaschine für eine illegale Zucht missbraucht und schließlich von der Polizei beschlagnahmt.

„Es gibt auch Leute, die sind völlig ahnungslos. Die denken, sie hätten einen Labrador-Boxermischling adoptiert, dabei ist es ein Kampfhundmischling,“ berichtet Kinkelin. Die Mitarbeiter des städtischen Vollzugsdienstes haben ein geschultes Auge. Wenn ein Tier Merkmale eines Listenhundes hat, wird sein Halter darauf angesprochen. Im Zweifel wird sogar ein DNA-Test gemacht. Wenn dabei herauskommt, dass das Tier von einer der als gefährlich eingestuften Rassen abstammt, muss es zum Wesenstest und der Besitzer wird fortan in Stuttgart mehr als 600 Euro Hundesteuer pro Jahr bezahlen müssen. Das ist fast sechsmal so viel wie für einen nicht gelisteten Hund. „Damit versucht die Stadt die betreffenden Rassen hier rauszuhalten“, sagt Pechmann. Jede Gemeinde bestimmt den Steuersatz selbst.

Ein Leben an der Leine

Hinzu kommt, dass das Tier auch nach bestandenem Wesenstest für alle Zeiten an der kurzen Leine gehalten werden muss. „Nur auf privatem, eingezäuntem Gelände darf es sich frei bewegen“, zitiert Kinkelin die Bestimmungen. „Heute werden diese Hunde zunehmend auch von vernünftigen Menschen adoptiert“, sagt Pechmann, der regelmäßig mit seinen Schützlingen trainiert. Und Kinkelin berichtet aus der Statistik seiner Abteilung: „In den vergangenen fünf Jahren hatten wir sechs oder sieben Vorfälle mit Kampfhunden, aber 800 Meldungen pro Jahr mit Vorfällen, die durch nicht gelistete Hunde verursacht wurden.“ Die Meldungen reichen dabei vom Streunen über das Beißen eines anderen Hundes bis zum Angriff auf Menschen. Beim Wesenstest für Kampfhunde liegt die Durchfallquote fast bei null Prozent berichtet er: „Vor fünf Jahren fiel einmal einer durch.“