Bei Daimler soll es künftig mehr Leiharbeiter geben, dafür aber weniger Werkverträge Foto: dpa

Der Koalitionsvertrag ist bei Werkverträgen hinter den Erwartungen geblieben. Unternehmen wie Daimler werden nun selbst aktiv, um Werkverträge aus der rechtlichen Grauzone zu holen.

Der Koalitionsvertrag ist bei Werkverträgen hinter den Erwartungen geblieben. Unternehmen wie Daimler werden nun selbst aktiv, um Werkverträge aus der rechtlichen Grauzone zu holen. 15 Mitarbeiter wollen klagen.

Stuttgart - Christian Müller (Name geändert) spürt die Veränderung am eigenen Leib. „Das Klima zwischen den Werkvertraglern und den Daimler-Mitarbeitern ist kühler geworden“, sagt er. Werkverträge sind in den vergangenen Jahren immer stärker in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Die Firmen missbrauchen Werkverträge zunehmend, um den Tariflohn der Stammbelegschaft zu umgehen, und beschäftigen Mitarbeiter nur zum Schein als Werkvertragler. In Wirklichkeit seien die Betroffenen in den regulären Arbeitsalltag eingebunden, was sich zum Beispiel darin äußern kann, dass die Werkvertragler Anweisungen von der Stammbelegschaft bekommen.

„Werkverträge gibt es nicht nur bei Daimler“, sagt Wolfgang Nieke, Betriebsratschef in Untertürkheim. „Vielmehr ist es so, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Großunternehmen eigene Tätigkeiten an fremde Dienstleister ausgelagert haben.“ Das sei ein Weg, um aus tariflichen Regelungen auszuscheren und sich die Dienstleistungen woanders günstiger einzukaufen und das eigene Personal zu reduzieren.

Daimler hat auf die zunehmende Kritik reagiert und bemüht sich nun, Werkverträge aus der Grauzone zu holen: Menschen wie Christian Müller werden strikt von den Daimler-Beschäftigten getrennt, Juristen überprüfen die Verträge, potenziell kritische Beschäftigungsverhältnisse werden in Leiharbeitsverträge umgewandelt.

Der Betriebsrat des Stuttgarter Autobauers hat erkämpft, dass insgesamt über 2500 Mitarbeiter, die bisher über einen Werkvertrag bei Daimler waren, künftig als Leiharbeiter beschäftigt werden. Der Konzern will die Zahl nicht kommentieren, da es sich bei den Umwandlungen um einen laufenden Prozess handle. Nach Angaben des Betriebsrats sind in Sindelfingen bereits rund 1000 von 1400 Werkvertraglern umgewandelt worden. In der Zentrale stehen 1000 Mitarbeiter kurz vor der Umwandlung, in der Entwicklung in Untertürkheim kommen weitere 130 Werkvertragler hinzu.

„Der Vorteil an der Umwandlung von Werkverträgen in Leiharbeit besteht darin, dass wir dort als Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht haben“, sagt Nieke. „Bei den Leiharbeitern wissen wir, in welcher Tätigkeit, zu welchem Entgelt und zu welchen Bedingungen die Menschen eingestellt werden.“ Bei den Werkverträgen dagegen sei der Betriebsrat völlig außen vor.

„Die Umwandlung von Werkvertragsverhältnissen in Leiharbeitsverhältnisse ist zu begrüßen“, sagt auch Nils Schmid (SPD), Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, „sie führt die Beschäftigen näher an den Betrieb heran.“

Christian Müller ist kein Zeitarbeitsvertrag angeboten worden. Nun soll Müller seine Arbeit für Daimler sobald wie möglich von den Räumlichkeiten des Dienstleisters aus erledigen. Gründe nennt ihm sein Arbeitgeber nicht. Auch den Stuttgarter Nachrichten gegenüber teilt das Unternehmen erst nach mehreren Tagen mit: „Zu Ihrer Anfrage werden wir keine Stellungnahme raussenden.“

Groteske Arbeitsabläufe

Dass die Firmen zunehmend sensibel werden, wirkt sich auf Christian Müller bisweilen in grotesken Arbeitsabläufen aus. So erhält er beispielsweise seine Anweisungen inzwischen so beiläufig, dass es wie ein Zufall wirkt: Die Daimler-Mitarbeiter schicken Auftragsmails für ihn an eine andere Person – und senden ihm lediglich eine Kopie davon zu. Niemand soll sagen können, ein Daimler-Mitarbeiter hätte ihm einen Auftrag erteilt. Das ist für Unternehmen das Vertrackte an Werkverträgen: Sie enthalten eine Menge juristischer Fallstricke, die zu hohen Kosten durch Nachzahlungen von Löhnen und Sozialbeiträgen führen können.

Würde ein Daimler-Mitarbeiter Müller einen Auftrag erteilen, wäre dies ein Indiz dafür, das Müller nur scheinbar eigenständig eine vorher definierte Dienstleistung erbringt, in Wirklichkeit aber in die betrieblichen Abläufe vor Ort eingebunden ist.

Betriebsrat fordert: Auch andere Unternehmen sollen ihre Verträge prüfen

Weil die Kritik an der Beschäftigungsform immer lauter geworden ist, hat die Regierung das Thema im vergangenen Jahr zum ersten Mal in den Koalitionsvertrag geschrieben. Demnach sollen Betriebsräte bei Werkverträgen künftig zwar ein Informationsrecht haben, dürfen den Einsatz von Werkvertragsfirmen aber weiterhin nicht verbieten. „Das Beispiel Daimler zeigt, wie wichtig es ist, dass die Politik endlich klare Rahmenbedingungen für den Einsatz von Werkverträgen schafft und den Betriebsräten echte Mitbestimmungsrechte zugesteht“, sagt Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, unserer Zeitung. Das Thema Werkverträge hat im vergangenen Jahr ordentlich am Image des Autobauers gekratzt.

Die erfolgreiche Klage auf Festanstellung zweier Werkvertragler aus der IT-Abteilung bei Daimler hat bisher 15 Kollegen ermuntert, ebenfalls vors Gericht zu ziehen. Auch eine umstrittene Fernsehreportage sorgte für Wirbel: Sie zeigte auf, dass manche Werkvertragler bei Daimler von ihrem Lohn nicht leben können. Daimler wehrt sich juristisch gegen die Dokumentation.

Zitzelsberger kritisiert im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte: „Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag reichen dafür bei weitem nicht aus.“

Trotzdem ist Bewegung in die Sache gekommen, sagt Nieke. Auch die Sozialcharta, die Daimler – übrigens nicht im Konsens mit dem Betriebsrat – verkündet habe, sei ein Schritt nach vorn. Dort definiere der Konzern, was er von Werkvertragsfirmen erwarte, so Nieke. „Allerdings verlangt Daimler von Werkvertragsfirmen lediglich, dass sie die unterste Entgeltgrenze an ihre Beschäftigten zahlen, dies ist weit weg von Equal Pay (gleiches Geld für gleiche Arbeit).“ Ohne die Debatte wäre aber überhaupt keine Sozialcharta entstanden. „Aus diesem Krisenmanagement schließe ich, dass Daimler sehr wohl erkannt hat, dass in diesem Bereich Dinge nicht Ordnung sind. Ich glaube, da verändert sich im Moment etwas.“

Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm fordert nun auch andere Unternehmen auf, ihre Verträge zu überprüfen: „Ich bin mir sehr sicher, dass dies kein reines Daimler-Problem ist“, sagt Klemm. „Das Unternehmen steht nur besonders im Fokus der Medien.“ Tatsächlich sei er überzeugt, dass man bei genauem Hinsehen nicht nur in der Autoindustrie, sondern auch in anderen Branchen sehr viele merkwürdige Vertragskonstruktionen finden würde. „Natürlich habe ich die Erwartung, dass überall genau geprüft wird, was rechtmäßig ist und was nicht.“ Bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung handle es sich schließlich um Sozialversicherungsbetrug. „Hier ist auch der Gesetzgeber gefordert“, sagte Klemm.