Mit einer Performance gibt Julia Römpp im Werkstatthaus die Initialzündung für das Entstehen einer Installation. Im Hintergrund eine Vernissagen-Teilnehmerin, die spielerisch mitwirkt Foto: Georg Linsenmann

Im Werkstatthaus im Stuttgarter Osten entsteht derzeit eine Installation, an der Besucher kreativ mitbauen können.

S-Ost - Eine Vernissage ist eine Vernissage. Die Eröffnung einer Ausstellung eben. Eine Einladung, in einem leicht ritualisierten Rahmen fertige Kunstwerke im solitären Arrangement eines ganz bestimmen Raumes zu betrachten. Garniert mit einer eventuell inspirierenden Vernissagenrede. Und nicht zuletzt mit Häppchen und einem Getränk, was nicht nur die Stimmung weiter heben, sondern auch anregende Gespräche in der Kunstkulisse befördern kann. Letzteres war durchaus gegeben in der aktuellen „Vernissage“ im Werkstatthaus. Ansonsten aber war im oberen Foyer der alten Villa Hauff an der Gerokstraße alles auf den Kopf gestellt.

Viel freier Platz in der Mitte

Nichts zu sehen von „Handlauf in Rot“, wie die Installation von Julia Wenz und Anne Römpp titelt. Stattdessen Schubladen und Kisten mit Material aus der in Stuttgart-West befindlichen Atelier-Gemeinschaft der beiden Künstlerinnen, hübsch ordentlich an den Seiten platziert. Viel freier Platz also in der Mitte – und schon diese Leere ruft angesichts des umgebenden Materials danach, in irgendeiner Form bespielt zu werden. Damit zu beginnen, ist denn auch der eigentliche Zweck dieser sehr speziellen Vernissage, die sich an den Nullpunkt des Schöpferischen begibt.

Dafür bieten die beiden Künstlerinnen ihr „performatives alter Ego“ auf, wie Wenz sagt. Ein „anderes Ich“, dem nicht das bildnerische Gestalten Medium des kreativen Ausdrucks ist, sondern die tänzerisch-performative Entwicklung. Julia Römpp ist dieses alter Ego – und was die Studentin der Theaterwissenschaft mit ihrer Performance in den folgenden knapp zwei Stunden in Bewegung setzt, das ist so sprechend, sinnfällig und faszinierend, dass die Vernissagen-Besucher ab einem gewissen Zeitpunkt wie von alleine intervenieren, individuell agieren und mitmachen und so den Anfang setzen für eine Installation, die erst in sechs Wochen, beim Sommerfest des Werkstatthauses, ihre finale Gestalt gefunden haben soll.

Der Nullpunkt des Kreativen ist hier der Schlaf. Und ein Erwachen in der Mitte des Raumes, das dem ersten Erscheinen auf der Welt gleicht. Und es ward Licht! Ein Raum, weiße Wände, eine blanke, gewölbte Decke: Was ist das? Eine Leerraum ist das in seiner ersten Form. Ein Raum, der erst einmal be-griffen sein will, mit den Augen erkundet, was Römpp mit zeitlupenhafter Bewegung in Szene setzt. Ein stummes Geschehen, so hochgespannt, dass das Publikum nicht anders kann, als diesem magischen visuellen Abtasten gebannt zu folgen.

Greifen und be-greifen als Geschwisterpaar

Dann kommt der Tastsinn ins Spiel, der Boden, die Fugen zwischen den Linoleumflächen. Die Treppe: eine Sensation, die per Katzensprung, dann mit schlangengleichen Bewegungen erkundet sein will, wobei greifen und begreifen nicht nur begrifflich ein Geschwisterpaar bilden. Schließlich kommt das gelagerte Material ins Blickfeld. Papier, Perlen, ein Knäuel Draht und damit die Leuchten-Traverse in der Raumachse. Und nachdem die Performerin das Knäuel mit dem einen Ende über die Traverse geworfen hat, beginnt die materiale, gestalterische Inbesitznahme des Raumes, bei der immer mehr Materialien aus dem Fundus ins Spiel kommen.

Auftakt zu einem Prozess, in den sich nun das Publikum mehr und mehr einbringt. Zunächst eine junge Frau, die auf höchst eigene, fantasievolle Weise am bereits vorhandenen Gebilde weiterwerkelt, von Römpp Verworfenes transformiert, Neues hinzufügt und sich so in immer neue Ideen hineinspielt. Das animiert immer mehr, sich an dieser fortschreitenden Metamorphose zu beteiligen.

Kein Wunder, denn Römpps Performance führt ganz unmittelbar in die Kinderstube der Kreativität. Macht leicht, hell und frei, auch nur teilnehmende Beobachter. Eine Ebene, die sich in zwei kleinen Kindern spiegelt, die schon eine Weile ganz selbstverständlich mitspielen. Buchstäblich. Sie machen ihr eigenes Ding. Sammeln Federn ein, lassen diese flattern, schicken eine Kleberolle auf Reisen und sind doch unmerklich verwoben mit dem sonstigen Geschehen. Ohne Chaos-Tendenz auch dann nicht, als ein „Mitspieler“ Gegenstände zum Klingen bringt. Die fröhlichen Dreikäsehochs agieren im Umgang mit dem Material mit einer Zartheit und Feinheit, die sie aus der allgemeinen Atmosphäre subkutan aufzunehmen scheinen. Selbst dann noch, als die Performance beendet ist und die meisten schon ihr Gläschen Wein goutieren. Kein Wunder, dass es die beiden Künstlerinnen, so Wenz, „schon längst in den Fingern kribbelt“! Jetzt aber ist erst einmal Vernissage.