Online-Händler Amazon Foto: dpa

Bei den Kunden hui, bei den Mitarbeitern pfui – so ist das landläufige Image von Amazon. Doch wie sieht es bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen tatsächlich aus? Fragen und Antworten zum neuen Werk in Pforzheim.

Pforzheim - Die Maschinerie läuft auf Hochtouren. Rund zwei Millionen Päckchen verschickt Amazon derzeit in die deutschen Haushalte – täglich. Mehr als 600 Lastwagen setzen sich dafür Tag für Tag in Bewegung. Bei den Kunden steht der weltgrößte Online-Händler hoch im Kurs: Angebot, Lieferservice und Preis gelten als vorbildlich.

Auch in Pforzheim. Hier hat Amazon im September ein neues Logistikzentrum in Betrieb genommen, in Deutschland ist es die Nummer 8: 17 Fußballfelder misst es, nahe der Autobahn gelegen. Von der lokalen Politik wurde die Ansiedlung gefeiert. Schließlich hat Amazon versprochen, binnen drei Jahren 1000 unbefristete und saisonbedingt bis zu 2000 befristete Stellen zu schaffen. Mehr noch: Der Konzern wirbt damit, den regional üblichen Lohn zu zahlen. Doch werden die Versprechungen gehalten?

Die Lohn-Frage

Amazon selbst schweigt zur Höhe des Lohns. Laut der Gewerkschaft Verdi zahlt Amazon für eine Tätigkeit im Pforzheimer Lager 9,65 Euro die Stunde bei einer 38,75-Stunden-Woche. Der Tariflohn für Einzel- und Versandhändler betrage in Baden-Württemberg für eine vergleichbare Tätigkeit zwölf Euro die Stunde bei einer 37,5-Stunden-Woche, dazu kämen Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Zuschläge für Schichtdienste und Überstunden. Verdi befürchtet, dass die Versandhändler in der Region, die nach Tarif bezahlen, benachteiligt sind. Weil hohe Mitarbeiterzahlen in der Branche üblich sind, wird der Preiskampf stark über die Lohnkosten ausgetragen.

Amazon bekräftigt auf Nachfrage, dass man die für die Region typischen Löhne zahle. Im Stundensatz seien nicht der Bonus und die Mitarbeiteraktien eingerechnet. Wie viel dieses Plus im Schnitt ausmache, könne man nicht sagen. Laut Verdi liegt trotz dieser Leistungen das Gesamteinkommen deutlich unter dem örtlichen Schnitt.

Die Stellen-Frage

Verdi kritisiert auch, dass Amazon unverhältnismäßig viele befristete Stellen anbiete. „Der Druck auf die Mitarbeiter, die sich eine feste Stelle wünschen, ist zu groß“, sagt Gewerkschafter Heiner Reimann. In Pforzheim nahm Amazon nach eigenen Angaben mit 100 festen Mitarbeitern im September den Betrieb auf. Wie viele Mitarbeiter in der Vorweihnachtszeit noch angestellt wurden und wie viele davon befristete Stellen erhielten, teilt der Versandhändler nicht mit. Verdi spricht von rund 2300 Stellen und beruft sich dabei auf eine Quelle im Unternehmen. 2000 davon seien befristet. Nur rund 150 unbefristete Jobs gebe es, weitere 150 seien Leiharbeitnehmer.

„Der Leistungsdruck in Pforzheim ist dadurch sehr groß“, sagt Ralf Müller, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Im Oktober heuerte er befristet an und lagerte mit Hilfe eines Gabelstaplers die eingehende Ware ein. 20 Paletten pro Stunde seien die Vorgabe gewesen. „Wer das nicht schaffte, der musste mit Konsequenzen rechnen.“ Im November kündigte er.

Auch in den Internetforen zu Amazon werden die Arbeitsbedingungen und Vorgaben in den acht Standorten kritisiert. „Am Metalldetektor wirst du als Frau von Männern abgetastet wie ein Schwerverbrecher“, schreibt eine Frau. Während der Arbeitszeit dürfe man sich nicht einmal kurz setzen. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Die Kritiker sollten sich nicht so anstellen und froh sein, überhaupt einen Job zu haben, heißt es.

Auf die Frage, ob es Maßzahlen gebe, wie viele Pakete zum Beispiel in einer Stunde verpackt werden müssen, weicht Amazon aus: „Um sicherzustellen, dass wir das erwartete Bestellvolumen bewältigen können, arbeiten wir mit Planzahlen, die die jeweiligen Teams erfahrungsgemäß bearbeiten“, heißt es.

Die Arbeitslosen-Frage

Amazon, die Jobmaschine. Darauf baut Pforzheims Oberbürgermeister Gert Hager. Die Arbeitslosenquote in der Stadt beträgt knapp acht Prozent. Weil Amazon innerhalb der nächsten drei Jahre 1000 unbefristete und saisonbedingt bis zu 2000 befristete Stellen versprach, machte Hager die folgende Rechnung auf: Mit Hilfe des weltgrößten Versandhändlers sollte die Arbeitslosenquote um ein Prozent sinken. Vor allem Langzeitarbeitslose – die meisten von ihnen ungelernt – sollten vermittelt werden. Rund 5000 der 120 000 Pforzheimer fallen in diese Kategorie.

520 Langzeitarbeitslose hat das Jobcenter Pforzheim für befristete Stellen an Amazon vermittelt. Das Jobcenter im benachbarten Enzkreis brachte rund 150 kurzfristig unter Vertrag. Doch zum Jahresende laufen die Verträge aus, ob sie verlängert werden, ist ungewiss. In den acht deutschen Standorten wurden für die Weihnachtssaison 10 000 Mitarbeiter befristet eingestellt – jeder fünfte davon solle weiterbeschäftigt werden, heißt es bei Amazon. Wie viele es in Pforzheim sind, sagt man nicht.

Zumindest beim Jobcenter im Enzkreis übt man bereits eine neue Bescheidenheit. „Es wäre schon schön, wenn ich dauerhaft 50 bis 70 Arbeitslose unterbringen könnte“, sagt Leiter Hartmut Schölch. „Aber im Grunde bin ich über jeden froh, den ich in Arbeit bringen kann.“