In Baden-Württemberg gibt es rund 150 Notarztstandorte. Viele können schon jetzt nicht mehr doppelt besetzt werden. Foto: dpa

Die Rettungsdienste stehen vor einem großen Problem. Laut einschlägigen Gerichtsentscheiden dürfen sie keine Notärzte mehr auf Honorarbasis beschäftigen. Viele Mediziner könnten den Job aufgeben.

Stuttgart - In die Schlagzeilen gerät der Rettungsdienst immer wieder einmal. Zuletzt wurde bekannt, dass Rettungswagen und Notärzte auch 2015 in vielen Regionen Baden-Württembergs die sogenannte doppelte Hilfsfrist nicht einhalten konnten. Laut Gesetz müssen beide Hilfsmittel in 95 Prozent der Fälle nach spätestens 15 Minuten am Einsatzort eintreffen. Mit Rettungsassistenten besetzte Rettungswagen schafften das im vergangenen Jahr nur in acht, Notärzte nur in drei von 34 Rettungsdienstbereichen im Land.

Zusätzliche Standorte im Rettungsdienst könnten eine Lösung bringen für ein System, das schon immer auf Kante genäht war und ist. Frisches Geld müsste in Ausrüstung und Personal fließen, damit die Retter den Kampf gegen die Stoppuhr häufiger gewinnen. Das ist aber längst nicht die einzige Baustelle. Schon heute finden sich nämlich kaum noch Notärzte, die den Job machen wollen. Manche Experten befürchten, das deutsche Rettungssystem als Ganzes könnte ins Wanken geraten, weil die Mediziner sich aus dem System verabschieden.

Hintergrund ist die jüngste Rechtsprechung zu der Frage, ob Notärzte abhängig Beschäftigte und somit Scheinselbstständige sind oder nicht. Von der Deutschen Rentenversicherung Bund wird dies nach Betriebsprüfungen bei Kliniken und Rettungsdiensten inzwischen regelmäßig bejaht. Zwar hat das Bundessozialgericht in Kassel noch kein Grundsatzurteil in der Sache gesprochen, aber es verwarf Ende August den Revisionsantrag gegen ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern, das die Scheinselbstständigkeit eines Notarztes festgestellt hatte. Ein deutlicher Fingerzeig, dass die notärztliche Tätigkeit im Rettungsdienst künftig nur noch in sozialabgabenpflichtiger Anstellung möglich sein wird.

Notärzte sehen sich als Freiberufler

Notärzte im Rettungsdienst indes, soweit sie nicht von ihrer Klinik für den Job abgestellt sind, betrachten sich als Freiberufler. Sie arbeiten auf Honorarbasis für Rettungsdienstträger wie etwa das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Rund drei Viertel der sogenannten Honorar-Notärzte sind fest in Kliniken angestellt, häufig in Teilzeit. In ihrer Freizeit schieben sie Schichten im Rettungsdienst. „Wir machen das, weil wir damit gutes Geld verdienen“, sagt ein Arzt aus Nordwürttemberg, der eine halbe Stelle als Anästhesist im Krankenhaus hat und nicht namentlich erwähnt werden möchte. Würden Sozialabgaben fällig, lohne sich der Job nicht mehr. Nur die wenigsten würden ihn dann noch machen, warnt er.

Die Sozialversicherungspflicht ist das eine Problem. Ein anderes, vermutlich noch größeres Problem erwächst aus der Tatsache, dass angestellte Notärzte dem Arbeitszeitgesetz unterliegen. Lange Schichten auf dem Rettungswagen, die ordentlich Geld bringen, wären dann nicht mehr möglich – schon mal gar nicht für Ärzte mit festem 50-Prozent-Job in der Klinik.

Das Arbeitszeitgesetz würde aber auch Honorar-Notärzten einen Strich durch die Rechnung machen, die zu 100 Prozent von dem Job leben. Einer von ihnen, ein Internist aus der Region Stuttgart, der ebenfalls nicht genannt werden möchte, sagt: „An einem kleinen Rettungsdienst-Standort mit zwei Einsätzen in 24 Stunden kann man problemlos eine Woche lang durcharbeiten, ohne dass die Qualität in irgendeiner Weise leidet.“ Einmal habe er sogar sieben Tage am Stück gearbeitet und dabei insgesamt 56 Einsätze absolviert, berichtet er. „Das war mein persönlicher Rekord. Man muss das sicherlich nicht andauernd machen, aber es ging gut.“

Börsen vermitteln bundesweit Mediziner

Bis zu 40 Euro pro Stunde habe er als Notarzt im bundesweiten Einsatz für DRK oder ASB verdient. Kliniken hätten ihm als Freelancer für den Rettungsdienst bis zu 85 Euro gezahlt, berichtet der Mediziner. Dazu muss man wissen: Krankenhäuser können per Gesetz verpflichtet werden, Notärzte zu stellen. Wenn das aus dem eigenen Personal nicht geht, kommen Freie zum Zug. Dafür gibt es Notarzt-Börsen, die bundesweit Mediziner vermitteln.

Auch unter dem Eindruck der aktuellen Rechtsprechung hat der Honorar-Notarzt aus der Region Stuttgart seinen gut bezahlten Job vor einigen Wochen an den Nagel gehängt. Er hat fest bei einer Klinik angeheuert, die ihm ein gutes Angebot gemacht hatte. Im Rettungsdienst wird der erfahrene Mediziner nun fehlen.

Landkreise und Kommunen gehen davon aus, dass viele seinem Beispiel folgen. Da sie – nicht zuletzt als Klinikträger – unmittelbar involviert sind, reagieren sie entsprechend alarmiert. „Wir brauchen schnell eine Lösung des Problems“, sagt Alexis von Komorowski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg. Kliniken und Rettungsdienstträger hätten schon manches ausprobiert. „Aber jedes Mal, wenn sie geglaubt haben, eine Lösung gefunden zu haben, hat die Rentenversicherung trotzdem eine abhängige Beschäftigung festgestellt.“

Krankenkassen äußern sich zurückhaltend

Von Komorowski ist skeptisch, ob es überhaupt eine Lösung gibt, die alle Hürden des Sozialversicherungsrechts und des Arbeitszeitrechts nimmt. Er schlägt deshalb eine gesetzliche Ausnahme für Honorar-Notärzte vor, damit diese weiter als Freiberufler gelten können. Österreich sei diesen Weg gegangen. Nun sei die Politik am Zuge, so von Komorowski. Er sei sich aber nicht sicher, ob sie den Ernst der Lage bereits erfasst habe.

Auch Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, befürwortet eine solche Gesetzesänderung. Er verweist darauf, dass alle Mediziner in ärztlichen Versorgungswerken versichert seien. Es gebe für sie kein Armutsrisiko. Auch deshalb sei das Vorgehen der Rentenversicherung zu hinterfragen.

Dagegen äußern sich die Krankenkassen als Kostenträger zurückhaltend. Walter Scheller, Chef des Verbands der Ersatzkassen im Land, sieht keine Anzeichen dafür, dass die Honorar-Notärzte sich aus dem Rettungsdienst zurückziehen. Das treffe allenfalls für eine Minderheit von Medizinern zu, die sich als Freelancer bundesweit anbieten. Im Übrigen arbeite man gemeinsam mit allen Partnern im Rettungsdienstgeschäft schon an tragfähigen Lösungen. Ähnlich äußert sich die AOK Baden-Württemberg.

Kommt die Befreiung von der Versicherungspflicht?

Inzwischen ist das Thema Sozialversicherungspflicht von Notärzten auch in Berlin aufgeschlagen. Ende Juli tauschten sich Experten im Bundesgesundheitsministerium dazu aus, auch ein Vertreter des Stuttgarter Innenministeriums war anwesend. Ressortchef Thomas Strobl (CDU) habe sich zuvor in der Sache an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gewandt, sagt Strobls Sprecher. Nun erwarte man einen Lösungsvorschlag aus dem Hause Gröhe. Liege dieser vor, werde Strobl zu einem Runden Tisch für den Rettungsdienst einladen.

Wie zu hören ist, soll Gröhe einer Befreiung von der Sozialversicherungspflicht durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen. Er hat aber nicht allein zu entscheiden, auch das Bundesarbeitsministerium von Rentenministerin Andrea Nahles (SPD) ist gefragt. Ob beide Häuser sich einigen können, bleibt bis auf Weiteres offen. Nach einer schnellen Lösung sieht es jedenfalls nicht aus.