Die Finanzministerin Edith Sitzmann könnte auch Ministerpräsidentin, heißt es bei den Grünen. Foto: dpa

Würde Winfried Kretschmann tatsächlich als Kandidat für die Gauck-Nachfolge nominiert, wäre Baden-Württemberg nicht führungslos. Es bieten sich diverse mögliche Nachfolger an. Doch vieles spräche für Edith Sitzmann.

Stuttgart - Wer kommt nach Kretschmann, wenn der Ministerpräsident zum Bundespräsidenten aufsteigt? Mit dieser Frage setzen sich die baden-württembergischen Grünen offiziell gar nicht auseinander. Als zu unwahrscheinlich wird die Möglichkeit gewertet, dass die CDU-Kanzlerin Angela Merkel den Grünen aus dem Südwesten als Kandidaten für die Gauck-Nachfolge nominieren könnte. „Wir haben keinen Plan B“, heißt es geradezu beschwörend aus Partei, Fraktion und aus Grünen-Regierungskreisen. Es mag offiziell keinen Plan B geben, aber nach breiter Einschätzung bei den Grünen heißt dieser Plan Edith Sitzmann.

Dass Kretschmann selbst bei seiner Nachfolge ein gewichtiges Wörtchen mitreden will, gilt als ausgemacht. Er lobt Sitzmann als Finanzministerin ebenso wie er ihren Beitrag in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU gewürdigt hat. Auch Sitzmanns Arbeit als Fraktionsvorsitzende hat der Regierungschef stets in ein positives Licht gerückt.

Rückhalt in der Fraktion

Es sind die Fraktionen, die den Ministerpräsidenten wählen. In der Grünenfraktion ist Sitzmann stabil verankert. Fünf Jahre lang führte die Freiburgerin ihre Riege unaufgeregt und souverän und hat dafür breite Anerkennung bekommen. In ihrem neuen Amt als Finanzministerin hat sie bei den Haushaltsvorberatungen auch bei der CDU Punkte gemacht. Gelobt wird ihre Fähigkeit, gegenteilige Interessen auszugleichen und die unterschiedlichsten Beteiligten einzubinden. Allerdings gilt Sitzmann als wenig charismatisch, ihre Außenwirkung als verbesserungsfähig. Auch fühlt sie sich ihn ihrem Amt als Finanzministerin sichtlich wohl. Ihr käme ein Abgang Kretschmanns jetzt möglicherweise zu früh.

Eine Frau als Nachfolgerin von Kretschmann halten viele Grüne für wahrscheinlich. Zutrauen würde sich den Spitzenjob zweifellos auch die ehrgeizige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Die Heidelberger Abgeordnete hat nach der in der Partei verbreiteten Einschätzung aber möglicherweise weniger Chancen als ihre Abgeordnetenkollegin Sitzmann. In der Fraktion ist Bauer weniger eingebunden. Sie wird von den Hochschulmitarbeitern als Ministerin hoch gelobt, brachte es in ihrer bisher fünfjährige Amtszeit dreimal zur Wissenschaftsministerin des Jahres. Vielen hat sich Bauer jedoch zu sehr in die Nische Wissenschaftspolitik zurückgezogen, als dass sie im Fall des Falles gegen die Generalistin Sitzmann Punkte machen könnte.

Das gilt auch für den Umweltminister Franz Untersteller, er wird als exzellenter Fachmann geschätzt, für höhere Weihen als Ministerpräsident empfielt er sich vielen Grünen nicht unbedingt, auch wenn er deren zentrales Ressort besetzt.

Salomon weit weg

Als Mensch mit Ausstrahlung und einnehmendem Wesen wird auch der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon immer wieder ins Gespräch gebracht. Jovial und kommunikativ schlüge er in der Außenwirkung wohl sowohl Sitzmann als auch Bauer. Doch lässt Salomon wenig Neigung erkennen, Freiburg zu verlassen. Der Partei und der Landtagsfraktion ist der Kommunalpolitiker zu weit weg vom landespolitischen Geschehen, als dass er eine ernsthafte Rolle spielen könnte.

Palmer? „Geht gar nicht“

In traditionellen Abfolgen gedacht, wäre der Fraktionsvorsitzende der natürliche Nachfolger des Ministerpräsidenten. So war es bei der CDU über Generationen hinweg. Andreas Schwarz, der Fraktionschef der Grünen, ist aber mit einem halben Jahr Erfahrung zu kurz im Amt um als ernsthafter Aspirant zu gelten. „Geht gar nicht“, heißt es aus der Partei, wenn der Name Boris Palmer fällt. Der Tübinger Oberbürgermeister könnte sich zwar selbst ins Spiel bringen, hat aber wohl zu wenig Freunde in Partei und Fraktion um als Kretschmanns Erbe Erfolg zu haben.

Eins ist bei den Grünen aber ziemlich sicher, sollte der Fall, mit dem sich keiner beschäftigt, eintreten, wird die Nachfolgefrage in Baden-Württemberg parlamentarisch geregelt. „Es kann nicht sein, dass die CDU in Berlin Kretschmann wählt, und in Baden-Württemberg die Koalition mit den Grünen platzen lässt“, sagt ein Vertreter der Landtagsfraktion.

CDU unterschiedlicher Meinung

Bei den maßgeblichen Akteuren in der CDU hört man unterschiedliche Antworten. „Einen Automatismus kann es nicht geben, ich würde nicht jeden Nachfolger akzeptieren“, sagt einer aus der Fraktionsspitze und gibt zu bedenken, die Bürger hätten im Frühjahr ja vor allem Kretschmann gewählt, nicht die Grünen.

Einige gehen sogar so weit, auf Neuwahlen zu spekulieren – zum Beispiel im nächsten September zusammen mit der Bundestagswahl. Nach dem Motto: Bloß nicht warten, bis sich ein neuer grüner Regierungschef einen eigenen Amtsbonus erarbeitet hat. Die Chance von Kretschmanns Abgang dürfe man sich nicht entgehen lassen. Daraus spricht auch Unzufriedenheit mit dem Regierungsbündnis an sich, dessen Brüche im Alltag nur notdürftig übertüncht werden. „In Hessen läuft’s gut zwischen Schwarzen und Grünen, bei uns nicht“, sagen viele. Erst vergangenen Mittwoch ist bei einer hitzigen Bildungsdebatte im Landtag einer der Hauptkonflikte erneut aufgebrochen.

Neuwahl nähmen Wähler übel

Dennoch sind solche Stimmen eher in der Minderzahl. Zu frisch ist noch der Wahlschock vom 13. März, als die CDU von 39 auf 27 Prozent abstürzte, und die Umfragewerte wenige Monate danach sahen noch miserabler aus. „Wenn wir die Koalition platzen ließen, nähmen uns das die eigenen Wähler übel“, glaubt ein hoher Fraktionär und erinnert daran, dass es nun mal eine demokratische Spielregel sei, dass der stärkere Koalitionspartner den Regierungschef stellt – ob direkt nach der Wahl oder während der Legislaturperiode: „Das müssten wir dann eben akzeptieren.“

Das ist wohl auch die Haltung von Parteichef Thomas Strobl, der sich zu offiziell dem Thema - wie alle – bedeckt hält. Er kann damit kalkulieren, dass mit Kretschmanns Weggang die Chancen auf einen CDU-Erfolg bei der nächsten Wahl steigen. Allerdings wäre dafür der Zeitpunkt in zwei, drei Jahren günstiger. „Unsere Partei ist nach der Wahlniederlage noch nicht gefestigt“, sagt eine Kreisvorsitzende. Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wäre „Kamikaze“.

Ein Abgang nach Wunsch wäre Kretschmanns Wahl zum Bundespräsidenten für die hiesige CDU also nicht. So tröstet man sich eben damit, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, ohnehin nur sehr gering sei. Warum auch sollte sich CSU-Chef Horst Seehofer von Merkel einen Grünen-Bundespräsidenten servieren lassen – so kurz vor der Neuwahl des Bayrischen Landtags und des Bundestags?