Der Teddy aus Kindertagen muss mit. Foto: Imago/Westend61/Maria Maar

Wenn die Kinder von zu Hause ausziehen, geht es oft darum, wie die Eltern damit zurechtkommen. Aber wie erleben die jungen Leute diesen Schritt? Wir haben nachgefragt.

Wenn Kinder ihr Elternhaus verlassen, um eine eigene Wohnung zu beziehen, ist das für beide Seiten ein riesiger Einschnitt in der Biografie. Das Thema hat aber nicht nur emotionale Facetten.

Michelle Sanwald ist 26 Jahre alt und studiert an der PH Schwäbisch Gmünd

Michelle Sanwald Foto: privat

Bis zum Abitur habe ich mir ein Zimmer mit meiner Zwillingsschwester geteilt. Danach war für mich klar, ich brauche jetzt mal etwas Eigenes, ein bisschen Abstand. Also bin ich zum Studium nach Reutlingen gezogen – immerhin 90 Fahrminuten von meinem Elternhaus entfernt. In meiner Zweier-WG habe ich mich sofort gut eingelebt.

Ich habe auch noch eine ältere Schwester, und meinen Eltern war bei der Erziehung immer wichtig, dass in einer Familiengemeinschaft jeder mithilft. Von daher war das mit Kochen oder Putzen jetzt keine große Umstellung für mich, und ich mag es auch einfach ordentlich. Mehr Dinge in meinem Alltag autonom entscheiden zu können hat mir sehr gut gefallen.

Trotzdem bin ich nach zwei Semestern dann wieder zurück nach Hause gezogen. In einer WG ist eben nicht immer jemand da. Ich habe mich oft allein gefühlt, und mir hat der Familienanschluss gefehlt, das tägliche Austauschen über das, was bei jedem so passiert ist. Um mein neu gewonnenes Freiheitsgefühl nicht wieder ganz aufgeben zu müssen, habe ich aber darauf bestanden, daheim ein eigenes Zimmer zu bekommen.

Mit meinen Eltern hat die Abgrenzung gut geklappt. Sie akzeptieren inzwischen, dass ich mit 26 Jahren meine eigenen Entscheidungen treffe und meinen eigenen Weg gehe. Diese Selbstständigkeit und auch das Selbstbewusst hätte ich heute wahrscheinlich nicht, wenn ich nicht zumindest mal für eine Weile von daheim weggewesen wäre.

Michaela Trompke ist 24 Jahre alt und studiert an der PH Schwäbisch Gmünd

Michaela Trompke Foto: privat

Nach dem Abi von München nach Schwäbisch Gmünd zu ziehen war schon ein großer Schritt für mich. Ich kannte das Studentenwohnheim, in das ich gezogen bin, nur von Bildern. Das würde ich heute so nicht mehr machen. Wenn man sich etwas vor Ort anschaut und auch die Umgebung sieht, merkt man eher, ob sich da ein Gefühl von Zuhause einstellen kann.

Ich hatte dort ein Zimmer für mich allein, in dem ich gekocht und geschlafen habe. Alle waren irgendwie für sich, es war schwer, Anschluss zu finden. Um mich abzulenken, habe ich viel gearbeitet und mit meinen Eltern telefoniert, zu denen ich immer ein sehr enges Verhältnis hatte. Obwohl jetzt eine größere Entfernung zwischen uns lag, war der Kontakt vielleicht sogar noch intensiver als früher, weil wir uns alle ganz bewusst Zeit dafür genommen haben.

Ich bin auch regelmäßig nach Hause gefahren, aber nicht wie viele von meinen Kommilitonen jedes Wochenende. Denn ich wollte in Schwäbisch Gmünd ankommen, ein soziales Netzwerk aufbauen. So richtig geschafft habe ich das erst, als ich nach dem ersten Semester in eine WG umgezogen bin. Von da an wurde es leichter, Anschluss zu finden. Das hat sehr geholfen und sich mehr nach einem Zuhause angefühlt.

Meinen Alltag organisieren, das ist mir nicht so schwergefallen. Wobei ich es morgens schon häufiger vermisst habe, dass mich jemand weckt und mein Frühstück dann schon auf dem Tisch steht. Aber ich habe bei meinen Eltern immer noch mein eigenes Zimmer und genieße diesen Service jetzt umso mehr, wenn ich dort zu Besuch bin.

Wann ziehen die Deutschen von zu Hause aus?

Mit 23 (Frauen) beziehungsweise 24,6 Jahren (Männer) ziehen die Kinder in Deutschland im Durchschnitt aus dem Elternhaus aus. Das ist etwas früher als der EU-Durchschnitt (Frauen: 25,4 Jahre; Männer: 27,4 Jahre). Und es ziehen auch wieder mehr 15- bis 24-Jährige aus als noch 2011: damals waren es dem Statistischen Bundesamt zufolge noch 27,5 Prozent dieser Altersgruppe, die nicht mehr zu Hause lebten. Im Jahr 2022 waren es 31,2 Prozent.

Ab wann darf man zu Hause ausziehen?

Bis zum Alter von 18 Jahren brauchen die Kinder die Erlaubnis der Eltern, wenn sie ausziehen wollen. Denn die Eltern haben bis zur Volljährigkeit das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht ihrer Kinder inne und entscheiden somit über deren Wohnort. Frühestens ab dem 16. Geburtstag können sie zustimmen, dass ihre Kinder in eine eigene Wohnung ziehen.

Minderjährige sind allerdings auch nur bedingt geschäftsfähig, das heißt, sie dürfen keine Verträge abschließen, die Verpflichtungen an sie stellen: wie etwa der Mietvertrag oder der Vertrag mit dem Strom- oder Internetanbieter. Ab dem 18. Geburtstag kann man dann auch ohne Erlaubnis der Eltern ausziehen und alle Verträge selbst unterschreiben.

Was hält junge Menschen vom Auszug ab?

Familiengründung und Berufseinstieg sind die häufigsten Gründe für die eigenen vier Wände – beides hat sich bei jungen Leuten zeitlich nach hinten verschoben. Hinzu kommen die hohen Mieten. „Wenn es zu Hause genügend Platz gibt oder die finanzielle Unterstützung durch die Eltern für eine eigene Wohnung fehlt, dann wird der Auszug auch eher aufgeschoben“, sagt Ulrike Sirsch, die als Entwicklungspsychologin an der Universität Wien zum Thema Übergang ins Erwachsenenalter forscht.

Und was sind die Hauptgründe für den Auszug?

An erster Stelle wird hier in verschiedenen Studien der Wunsch nach Unabhängigkeit genannt, das Ablösen vom Elternhaus. Es folgen eine Ausbildung oder ein Studium, welche nicht am Wohnort der Eltern sind sowie ein Partner, mit dem man zusammenleben möchte.

Kann die Loslösung von den Eltern auch ohne Auszug klappen?

„Ja, aber man muss mehr aushandeln untereinander. Beim Auszug passiert vieles automatisch“, sagt Ulrike Sirsch. Jemand, der in den eigenen vier Wänden lebt, muss mehr Verantwortung im Alltag übernehmen, hat umgekehrt aber auch mehr Freiheiten.

Bleibt man zu Hause wohnen, will aber dennoch den Eltern als erwachsenes Kind auf Augenhöhe begegnen, statt im hierarchischen Eltern-Kind-Verhältnis stecken zu bleiben, gelingt das nur durch mehr Freiräume, durch Respekt der Eltern vor der Entwicklung des Kindes, indem man die Privatsphäre respektiert, gleichzeitig aber auch Aufgaben einfordert, die zum Erwachsenenleben dazu gehören.

Wie können Eltern den Auszug erleichtern?

Vielen jungen Erwachsene, die mit dem Ausziehen hadern, haben auch Angst davor, ob es ihnen gelingt, Alltagsaufgaben allein zu stemmen. Studien zeigen: Wer zu Hause schon Aufgaben wie kochen, Wäsche waschen oder sein Zimmer in Ordnung halten übernommen hat, den beschäftigen diese Sorgen weniger.

 Wenn Kinder langsam erwachsen werden, stellen sich bei vielen Eltern zudem Verlustängste ein. Sie fürchten das berühmte „leere Nest“ und die Tatsache, plötzlich wieder viel Zeit mit dem Partner allein zu haben – denn tatsächlich steigen mit dem Auszug der Kinder die Scheidungsraten deutlich an.

„Es gibt Eltern, die versuchen dann, die Kinder in ihrem Autonomiestreben einzuschränken und sie zum Bleiben zu überreden oder ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden“, sagt Ulrike Sirsch. Besser für die Beziehung ist es, sie zu unterstützen und zu ermuntern, eigene Wege zu gehen. „Nur durch ein gesundes Loslassen kann man dann auch wieder eine gute, neue Beziehung unter Erwachsenen aufbauen“, sagt Ulrike Sirsch.