Als unsere Autorin ihren heutigen Mann kennenlernt, hat er bereits eine kleine Tochter. Über die Liebe zu dritt, Rollenbilder und die Kunst loszulassen.
Denke ich an die Anfangszeit unserer Familie, fallen mir die frisch belegten Brötchen ein. Die Mietwohnung meines Mannes, mit dem ich damals natürlich noch nicht verheiratet bin, liegt unterm Dach eines Hauses, in dessen Erdgeschoss sich eine Bäckerei befindet. Wenn wir drei Ausflüge machen, hole ich morgens eine Tüte Brötchen. Womit ich sie belege, unterscheidet sich je nach Vorlieben. Ich male die Anfangsbuchstaben unserer Namen auf knisternde Folie wie kleine Kunstwerke. Mit Crackern und Getränken wandern die Brötchen zu Sonnencreme und Taschentüchern in meinen Rucksack.
Mein Mann und ich lernen uns bei einer Kulturveranstaltung kennen. Irgendwann finden wir uns inmitten anderer Menschen auf dem Bordstein vor dem Laden wieder an diesem frühen Sommertag. Ich erinnere mich gut daran, worüber wir geredet haben. Seine Tochter gehört nicht dazu, spielt in ihrer Abwesenheit aber eine Rolle: Ursprünglich hatte er den Nachmittag mit ihr geplant, doch daraus wurde nichts. Nun ist er hier, und ich möchte einziehen in diesen Blick, mit dem er mich aus seinen wunderschönen Augen betrachtet, während er spricht.
Oh, ein Kind
Bei unserem ersten Treffen nach jenem zufälligen, taucht er zunächst nicht auf. Fußball-WM 2010. Fans fluten nach jedem Abpfiff die Straßen, der Verkehr kommt zum Erliegen, Busse zu spät. Wir haben keine Nummern ausgetauscht, nur über Facebook geschrieben, also schaue ich dort nach einer möglichen Nachricht. Und entdecke ein Detail, das ich bislang übersehen habe: Er hat ein Kind. Da klingelt es auch schon an der Tür.
r erzählt viel von seiner Tochter bei diesem ersten offiziellen Date, nachdem ich ihn auf sie angesprochen habe. Ich mag die Art, wie sich seine Stimme dabei verändert. Die Kleine ist mit ihrer Mutter im Urlaub, so sehen wie uns in den nächsten Tagen sehr oft. Ich denke an das Mädchen und tue es doch nicht, weil es sich nicht anfühlt, als ob ich einen Standpunkt dazu entwickeln müsste. Das ist natürlich total naiv, aber ich weiß es nicht besser. Ich habe super gerne und viel mit Kindern zu tun, schon immer. Bin mit ganzem Herzen Aufpasserin, Quatschtante, Patin. Ich habe nicht einen besorgten Gedanken über ein Leben mit Kind.
Wir beschließen, uns Zeit zu lassen mit dem ersten Kennenlernen zu dritt. Ich bin neugierig, aber ich bin auch geduldig. Es geht nicht um mein Tempo. Als ich ihn zum ersten Mal in der Wohnung unterm Dach besuche, nehme ich aufmerksam die Spuren der Kleinen wahr. Die Hello-Kitty-Tasse. Ihre Kinderzahnbürste. Kleine, bunten Socken auf der Wäscheleine.
In unserer Blase sind wir zu dritt
Bei unserem ersten Treffen zu dritt tauchen die beiden zunächst nicht auf. Ich stehe neben der Auslage des Bäckers und denke, ich hätte mich in der Zeit geirrt. Als sie schließlich mit roten Wangen angerannt kommen, sprudelt das Mädchen über beim Erzählen. Die beiden haben auf dem Rückweg von der Aufführung des Weihnachtsmärchens den Bus verpasst. Mit Hilfe ihres Vaters kocht sie in der Wohnung unterm Dach eine Suppe, spielt Geige und füllt alle Räume und Herzen mit ihrer Energie. Fortan verbringen wir viel Zeit gemeinsam.
Es gibt diese Vorstellung, dass Paare zu Anfang der Beziehung in einer Blase der Verliebtheit existieren und darin ihre Zweisamkeit genießen. In unserer Blase sind wir zu dritt. Das ist für mich völlig selbstverständlich. Ich liebe den Mann, das passiert sehr schnell, also nehme ich seine Tochter mit in meinem Herzen auf. Darüber denke ich nicht einmal nach.
An die Anwesenheit des Kindes gewöhne ich mich leicht. Schlitten fahren, Plätzchen backen, trösten, mit Hausaufgaben helfen, spielen, Geschichten ausdenken, lachen, Haare föhnen. Im Rückblick neige ich zu der Behauptung, ich hätte am Anfang alles ganz intuitiv gemacht, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte sind die Brötchen, die Sonnencreme und Tempos. Oder der Moment, als es bei einem Ausflug zu schütten beginnt, alle Mütter Regenjacken auspacken und ich keine für das Kind habe. Fast breche ich da in Tränen aus.
Ich will unbedingt alles richtig machen
Es ist ein Kummer, den zum Glück niemand mitbekommt, so, wie die Brötchen nur für mich derart mit Bedeutung aufgeladen sind: Ich will unbedingt alles richtig machen. Für das Kind, meinen Freund, die Mutter des Kindes. Vor den Blicken anderer, speziell anderer Eltern, die – so scheint mir das – mit großem Argwohn auf meine Rolle schauen. Die zu definieren oder zu benennen kommt mir selbst gar nicht in den Sinn. Von außen aber wird es immer wieder abgefragt. Mein Versuch, Rollenbilder zu erfüllen, die ich bis dahin hinterfragt habe, ist auch eine Reaktion darauf. Ich möchte zeigen, dass Elternschaft, dass Familie, in verschiedensten Konstellationen existiert, man ein Kind nicht geboren haben muss, um es zu lieben. Ich will beweisen, dass ich „es kann“, der Verantwortung gewachsen bin und auch den Konflikten, die sich ganz automatisch ergeben, wenn ein Kind mit zwei Familien aufwächst.
Erst viel später realisiere ich, dass ich niemandem etwas beweisen muss. Dass ich in meiner Rolle stolpern, fallen und wieder aufstehen darf. So wie alle Eltern. Dass ich dieses Wort für mich beanspruchen kann und dafür niemanden um Erlaubnis bitten muss. Ein Puzzlestück in diesem Prozess sind meine Freundinnen, die nach und nach Eltern werden – und mich dabei ganz natürlich als eine von ihnen betrachten. Diese Gewissheit tut mir gut.
Mit der Zeit erkenne ich, dass sich im Zusammenwachsen mit dem Mann und dem Kind eine gewisse Asynchronität ergibt: Die beiden haben viele Dinge, die für mich neu und bedeutend sind, schon zusammen erlebt. Als das Mädchen eines Nachts zum ersten Mal zu mir unter die Decke schlüpft und an mich gekuschelt einschläft, hält mein Herz den Moment fest und legt ihn sicher zwischen seinen Schlägen ab. Noch heute spüre ich den warmen Zahnpasta-Atem, wenn ich daran denke, fühle den Körper meines Mannes, der sich neben uns hebt und senkt, sehe die Schemen des Zimmers im Dunkeln, höre die nächtliche Straße vorm Haus.
Manchmal fehlt mir die Zweisamkeit. Manchmal fühle ich mich fremdbestimmt von all den Terminen und Absprachen, die im Wechselmodell mit Kind notwendig sind. Manchmal will ich mit dem Fuß aufstampfen, wenn spontane Ideen an irgendeiner Abmachung scheitern oder einem Elternabend. Manchmal möchte ich egoistisch sein, ohne schlechtes Gewissen. Vieles am Leben mit Kind lässt sich nicht kontrollieren, loszulassen fällt mir schwer und ich fühle mich um eine Phase der Vorbereitung gebracht, die Eltern sonst haben. Gleichzeitig verstehe ich: Mit Kindern weiß man nie, worauf man sich einlässt. Und loszulassen ist ein Teil des Prozesses, weil sie einfach jeden Tag älter werden und irgendwann flügge.
Inzwischen lebt unsere Tochter in einer Studi-WG und wenn ich mich zu den Katzen auf ihr Bett kuschle und den kleinen Leuchter betrachte, den wir aus der Wohnung unterm Dach mit in unsere gemeinsame gebracht haben, frage ich mich, wie das alles so schnell gehen konnte. Eben haben wir noch miteinander gerungen, jetzt bleibt ihr Bett nachts leer und tagsüber vermisse ich, wie sie mich mit Kleinigkeiten in den Wahnsinn treiben kann.
Würde ich alles noch mal so machen?
In der Liebe gilt es als romantisch, die Frage, ob man alles wieder genauso machen würde, wenn man die Chance hätte, mit Ja zu beantworten. Ich halte das für kompletten Unsinn. Mit der Erfahrung dessen, was ich erlebt habe, würde ich ganz viele Dinge anders machen, gelassener, hoffentlich besser, für mich und für die Menschen, die ich liebe. Aber ich würde mich an diesem Sommertag immer wieder neben den Mann auf den Bordstein setzen. Ich würde immer wieder warten, ob die zwei zu unserem Treffen auftauchen. Und ich würde das Mädchen immer wieder fest in meine Arme schließen unter der warmen Decke, dabei auf den Atem meines Mannes hören, dasselbe leise Lächeln im Gesicht wie in jener Nacht.