Die Neubaustrecke nach Ulm nimmt ein weiteres Hindernis. Ein Schwerlastkran hat jetzt den letzten Stahlträger für ein temporäres Bauwerk gesetzt. Über die spätere Betonbrücke bei Wendlingen werden die Züge dann mit Hochgeschwindigkeit über den Neckar donnern.

Wendlingen - In vier Jahren soll die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm fertig sein. Doch bevor die Reisenden im ICE mit Tempo 250 die Autofahrer auf der parallel verlaufenden Autobahn 8 überholen werden, ist in den vergangenen zwei Wochen an der Baustelle in Wendlingen erst einmal in Zeitlupe gearbeitet worden.

In Zeitlupe hievt ein Kran die Stahlträger auf ein Gerüst

In Zeitlupe deshalb, weil der Einhub von insgesamt vier Stahlfachwerkträgern für eine zunächst temporäre Brücke über den Neckar Maßarbeit ist. Drei dieser jeweils 38 Meter langen und 45 Tonnen schweren Elemente hatten Arbeiter bereits erfolgreich mit einem Schwerlastkran auf ein Traggerüst gehievt. Für Dienstag hatte die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn Medienvertreter eingeladen um am letzten Träger zu demonstrieren, wie diese Kolosse platziert werden.

Der Stahlfachwerkträger wird an vier Punkten befestigt. Der Kranführer eines 700 Tonnen schweren Autokrans balanciert das stählerne Bauteil vorsichtig an die richtige Stelle. Arbeiter am Boden – insgesamt zehn bis 20 Mann sorgen dafür, dass es auf dieser Baustelle voran geht – dirigieren und erwarten den Träger. Bis dieser an Ort und Stelle ist, verstreicht rund eine halbe Stunde. Genauigkeit geht hier vor Geschwindigkeit, schließlich kommt es bei dieser Arbeit auf Zentimeter an. Was in den vergangenen zwei Wochen entstanden ist, schafft die Voraussetzung für den Bau der eigentlichen Brücke, erklärt Peter Wer, Teamleiter der Projektgesellschaft.

175 Betonmischerladungen werden benötigt

Die Stahlfachwerkträger bilden die Basis für einen Überbau. Es wird verschalt, und dann werden 1400 Kubikmeter Beton gegossen. Das entspricht 175 Betonmischerladungen. Sobald der Beton ausgehärtet und die Brücke gespannt ist, werden die vier Stahlträger wieder entfernt. Und fertig ist die neue Eisenbahnbrücke. Was einfach klingt, ist ein hartes Stück Arbeit. Die Gründungsarbeiten haben im vergangenen November begonnen, bis zum Jahresende soll der Brückenschlag über den Neckar bei Wendlingen dann abgeschlossen sein.

Das Bauwerk führt in zehn Metern Höhe über den Fluss und über die Landesstraße von Wendlingen in Richtung Nürtingen-Zizishausen. Damit ist die Brücke nur minimal höher als die sechspurige Autobahnbrücke. Die Gleise verlaufen später „fast höhengleich“ zu den Asphaltfahrspuren, sagt Peter Wer. Die 136 Meter lange Eisenbahnbrücke fällt mit einer Breite von 13,5 Metern deutlich schmaler aus als die A-8-Brücke. Unter Technikbegeisterten lässt dieses Beispiel für Ingenieurskunst die Herzen höher schlagen. In dem Beton des Bauwerks wird es einen Hohlkasten geben, der zur Entwässerung und für Wartungsarbeiten dient. Die Brücke über den Neckar wird nicht die einzige bei Wendlingen sein. Parallel zu der langen Brücke wird rund 150 Meter weiter in Richtung Ulm derzeit eine zweite und mit 60 Metern kürzere Brücke gebaut. Diese überspannt dann die Eisenbahnlinie von Tübingen nach Stuttgart. Die Kosten für die Arbeiten an diesem Abschnitt der Neubaustrecke belaufen sich laut Angaben der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm auf rund 24 Millionen Euro.

In zwei Sekunden ist der ICE über die Brücke gerast

In dieser Summe enthalten sind neben den beiden Brücken auch die Kosten für den notwendigen Gleisumbau in Oberboihingen und in Wendlingen. Um die ICE-Neubaustrecke entlang der Autobahn zu führen, ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt worden: Die Beseitigung des Bahnübergangs Schützenstraße in Wendlingen, die Anbindung der Güterzüge an die neue Bahntrasse, der Umbau der Anschlussstelle Wendlingen der A 8 und die Verlegung der Landesstraße zwischen Wendlingen und Oberboihingen.

Die neue Bahnstrecke Wendlingen/Ulm ist 60 Kilometer lang. Die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm soll sich von 54 auf 28 Minuten praktisch halbieren. Der minutiösen Arbeiten an der Strecke wird sich während der Fahrt indes kaum ein Reisender bewusst sein. Rund ein Jahr wird es dauern, bis die Brücken bei Wendlingen fertig gestellt sind. Über die 136 Meter lange Brücke rast der ICE bei Tempo 250 in gerade einmal zwei Sekunden.

Zeit und Kostenrahmen

Neubaustrecke
Im Vergleich zu den Gesamtkosten für die Neubaustrecke der Deutschen Bahn von Wendlingen bis Ulm nehmen sich die Kosten für den Teilabschnitt bei Wendlingen von rund 24 Millionen Euro fast bescheiden aus. Für den Bau der kompletten 60 Kilometer langen Neubaustrecke sind die Kosten auf rund 3,7 Milliarden Euro veranschlagt. Fertiggestellt sein soll das Projekt im Jahr 2022.

Stuttgart 21
Die Grenze für die beiden Teilprojekte Stuttgart 21 und Neubaustrecke verläuft bei Wendlingen. Derzeit rechnet die Bahn damit, dass Stuttgart 21 im Jahr 2025 fertig wird. Die Kosten werden jetzt mit 8,2 Milliarden Euro beziffert. Laut dem Projektsprecher Jan Dambach wird noch geprüft, inwiefern die Neubaustrecke genutzt werden kann, so lange Stuttgart 21 noch nicht abgeschlossen ist.