Eines der Außenbecken mit 63 Metern Durchmesser ist bereits ausgehoben, in dieses Becken wird später einer der 40 Meter hohen Wasserspeicher gebaut, die zugleich den Sockel der Windräder bilden. Foto: MBS Naturstromspeicher

In Gaildorf entsteht eine neuartige Anlage, die Windräder und einen Pumpwasserspeicher kombiniert. Sie soll eine flexible und regionale Stromversorgung sicherstellen. Die Dimensionen der dazugehörigen Windräder sind allerdings enorm. In ihrem Turm und ihrem Sockel wird das Wasser gespeichert.

Gaildorf - Einst war die Münstermühle am Kocher die Keimzelle der Stromversorgung für die 12 500-Einwohner-Stadt Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall). Hinter dem alten Industriebau steht heute eine schlichte Holzbaracke – das Hauptquartier des Unternehmens MBS Naturstromspeicher. Von hier aus wollen die Firmengruppe Max Bögl aus Neumarkt/Oberpfalz und der Ingenieur, Initiator und Produktentwickler Alexander Schechner ein großes Rad der erneuerbaren Energien drehen. Der offizielle Spatenstich ist erfolgt, ein Naturstromspeicher im Bau.

Das weltweit erste Projekt seiner Art verbindet vier Windräder in den Limpurger Bergen mit einem Pumpspeicherkraftwerk und einem Becken im Tal. Mit überflüssiger Windenergie wird das Wasser nach oben gepumpt und bei Strombedarf nach unten auf Turbinen im Pumpspeicherwerk geleitet. Die Informationsbroschüre verspricht „eine verlässliche, planbare und an den Verbrauch im Stromnetz angepasste Stromlieferung“.

Das freilich bezweifeln einige, die lange Widerstand gegen das Projekt geleistet haben. Im September 2011 wurden die Pläne vorgestellt. Im Dezember darauf stimmten die Gaildorfer in einem Bürgerentscheid knapp für das Projekt und erteilten damit der Stadt den Auftrag, Verhandlungen über Grundstücke mit der Betreibergesellschaft aufzunehmen. Jahrelang beharkten sich dann Gegner und Befürworter bei Bürgerversammlungen und Podiumsdiskussionen, in Zeitungsserien, Leserbriefen und sozialen Medien vehement.

Die Bürgerinitiative Für Gaildorf kritisiert das Projekt als unverträglich mit Landschaft und Natur und befürchtet gravierende Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität, Flora und Fauna. Die Befürworter, die eine Bürgergenossenschaft gründen wollen, schwärmen von der „Energiezukunft“, die in Gaildorf ihren Anfang nehme. Seit Mai des Jahres 2014 ist die Sache entschieden, die Gegner sind verstummt: Der Petitionsausschuss des Landtags erteilte grünes Licht und das zuständige Schwäbisch Haller Landratsamt die Genehmigung für den Bau.

„Der Widerstand war heftig“, räumt Alexander Schechner, 47, heute ein. Und hebt sogleich an, die Vorzüge seiner Entwicklung zu preisen. „Die Welt der Großkraftwerke ist am Sterben“, sagt Schechner voller Überzeugung. Als Ingenieur bei dem Technologiekonzern Voith hat er die Idee geboren, in Max Bögl einen Partner gefunden hat und ist heute zur Hälfte an der MBS Naturstromspeicher beteiligtst. „Wir nehmen den Gegnern der Windenergie den Wind aus den Segeln und rüsten die Windparks zu flexiblen Stromspeichern auf“, sagt Schechner und argumentiert: „Sie benötigen 25 000 Tonnen Kohle, um dieselbe Energiemenge wie diese Windräder zu erzeugen. Das entspricht zwei Sattelzügen Kohle pro Tag – die Räder nehmen dies aus dem Wind.“ Eine griffige Rechnung.

Kein großer Stausee nötig

Die Idee klingt für technische Laien bestechend einfach: Als Oberwasserbecken dient nicht wie etwa in den Alpen ein riesiger Stausee. Das Wasser befindet sich größtenteils in 40 Meter hohen, mit 16,8 Meter Durchmesser recht gewaltigen Windrad-Sockeln. Diese wiederum stehen in einem Außenbecken mit 63 Metern Durchmesser, das bis zu 13 Meter hoch mit Wasser gefüllt ist. Insgesamt sind hier 160 000 Kubikmeter gespeichert.

Ein Druckrohr verbindet die Windräder untereinander und mit dem 200 Meter tiefer im Tal gelegenen Pumpspeicherwerk. Zusätzlich erhöhen so genannten Aktivspeicher das Fundament der Anlagen und damit die Nabenhöhe der Rotoren. Samt Rotor ist eine Gesamthöhe von bis zu 240 Metern möglich – dadurch ist die Windausbeute um 20 Prozent höher als gewöhnlich. Das unterhalb des Pumpspeicherwerks gelegene Unterbecken misst 400 mal 150 Meter und soll als „attraktiv gestaltetes Gewässer“ der Naherholung dienen. Es kann mit einem so genannten Naturwärmespeicher nachgerüstet werden, der zur Energiequelle für Nah- und Fernwärmeversorgung wird: „Naturversorgung“ heißt das im PR-Auftritt des Unternehmens. Natur pur.

Euphorie für das technisch Machbare treibt Schechner und den jungen Projektleiter Johannes Kaltner (30) an, der derzeit 60 Mann auf der Baustelle im Wald oberhalb der Stadt beschäftigt. Denn der Naturstromspeicher soll – und das ist neben der Kombination Wind und Wasser die zweite Innovation – ein hydraulisches Speicherkraftwerk „von der Stange“ werden. Die Anlage wird vollständig standardisiert, um sie später gut vermarkten zu können: „Die Planungskosten gehen dann praktisch gegen Null“, Kaltners Augen strahlen vor Begeisterung. Voraussetzung dafür seien technische Innovationen, deren Ausarbeitung, Zulassung und Realisierung parallel erfolgten. 20 Ingenieure seien am Standort Ulm mit der Entwicklung beschäftigt.

„Wir sind sehr gut im Zeitplan“, sagt Kaltner, „aber wenn wir bauen, müssen die Kinderkrankheiten ausgeschlossen sein.“ Das gilt für das Druckrohr aus Polyethylen, das eigens entwickelt und recyclebar sein soll. Das gilt für eine zur Patentierung angemeldete Verlegetechnik, die schneller, preiswerter und – weil an bereits bestehenden Wegen verlaufend – umweltfreundlicher sein soll. Die Basis der Anlage bildet ein modular aufgebauter Windkraftturm mit fünf Megawatt Leistung. Er besteht aus Stahlsegmenten und Betonfertigteilen, deren Halbschalen einfach zu montieren seien. „Dafür werden wir den größten Mobilkran, den Liebherr je gebaut hat, nach Gaildorf bringen“, kündigt der Projektleiter an.

Der Naturstromspeicher ist ein „typisch deutsches Produkt – innovativ und intelligent“, ereifert sich der Initiator Alexander Schechner. Die Politik sieht das offenbar ebenso: Mit 7,5 Millionen Euro fördert das Bundesumweltministerium die Entwicklung. In Gaildorf entsteht der kleinste von drei Anlagentypen. Die Wasserkraftanlage – auch sie ist modular gebaut – kommt mit Voith-Turbinen auf 16 Megawatt (MW) installierte Leistung; überdies werden Anlagen mit 24 und 32 MW entwickelt. Mit 50 und 100 Millionen Euro pro Gesamtkraftwerk liege die Anlage im Investitionsrahmen von Stadtwerken und Regionalversorgern. Und im Trend: „Wir wollen möglichst viel Strom vor Ort erzeugen, statt lange Leitungen durchs Land zu bauen, die kaum durchsetzbar und teuer sind“, bekräftigt Schechner. Ende des nächsten Jahres sollen sich die Windräder in Gaildorf drehen.