Olga Boiko aus der Ukraine ist dankbar und sehr froh, im Weltweihnachtscircus auftreten zu können. Sie floh mit Mann und Baby aus Kiew. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Luftakrobatin Olga Boiko begeistert in Stuttgart mit ihrer Vorführung. Die 32-Jährige ist mit Mann und Kind im Krieg aus Kiew geflüchtet und dankbar, am Leben zu sein.

Die kleine Tochter Mira gibt ihr Kraft und ihr Ehemann, sagt sie. Und das Publikum, das herzlich und begeistert applaudiert, wenn sie am Reifen wie ein fliegender Engel durch die Luft der Zirkusarena fliegt und gefährlichste Übungen zeigt: Gefahr, Höhen und Tiefen. Genau so wie ihr Leben. Und alle Dimensionen des Lebens bringt sie unter der Zirkuskuppel in ihre Aufführung, welches musikalisch von Musik von „Two steps from hell“ untermalt wird.

Two Steps from Hell ist ein Unternehmen, das Musik für Film- und Computerspiel-Trailer sowie teils für Filme selbst produziert. Es wurde 2006 von Nick Phoenix und Thomas Bergersen gegründet mit Sitz im US-amerikanischen Santa Monica. Beim Metro-Fahren hat Boiko Musikausschnitte gehört und sie dann in ihre Artistiknummer eingebaut. Im Zirkus und vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gewinnt der Name „Zwei Schritte vor der Hölle“ eine andere Bedeutung.

Nachts mit der Familie im Zug geflohen

Trauer, Tod und Tragödien hat sie in der Ukraine hinter sich gelassen, als sie nachts mit Mann und Kind möglichst unerkannt und sicher vor Bombeneinschlägen im Zug in die Westukraine floh. Die Babykleidung und Spielzeug verschenkte sie an Bedürftige, die in Kellern ausharrten - mit ihren Babys. Die drei flohen quasi mit nichts. Sie halfen und ihnen wurde geholfen: Voller tiefer Dankbarkeit erinnert sich Olga Boiko daran, wie die Frau ihres Bruders sie vom Zug abgeholt hat. Auch hier halfen die Nachbarn und gaben der jungen Familie das Notwendigste. Bei ihrem Bruder blieb sie vier Monate, ging dann zurück nach Kiew. Dann entschieden sie zu gehen. Ihre nächste Station: Moldawien. Dort durfte sie in einem Zirkus zwei Monate lang auftreten. Ihr Ehemann, zuvor in der Renovierungsbranche tätig, half ihr in der Manege als Assistent. Boikos Mutter und ihr Bruder sind noch in der Ukraine, sie halten sich weiterhin im Westen auf. „Ab und zu fallen dort Bomben.“ Die Ukrainerin ist immer froh, wenn sie Lebenszeichen bekommt. Die Gedanken lassen sie nicht los.

Dank an alle, die der Ukraine helfen

Zugleich ist sie sehr stolz auf ihre Landsleute, wie sie durchhalten, kämpfen und sich gegenseitig helfen in dieser Situation von der sie auch nie geglaubt hat, dass so etwas passiert. Nachbarn passen auf ihre Wohnung in Kiew auf, die zum Glück zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht von Bomben getroffen wurde. Es beeindruckt sie besonders, dass die Kiewer trotz Drohnen-Attacken zur Arbeit gehen und dankbar sind, dass sie am Leben sind. Diese Dankbarkeit erfüllt auch Olga Boiko (32).

Das gibt ihr auch die Kraft, im Zirkus all das in ihrer Luftartistik auszudrücken, was sie fühlt und erlebt hat: Trauer, Schmerz, Angst, Hoffnung, Liebe und Freude. „Ich will allen danken, die der Ukraine helfen, vor allem die humanitäre Hilfe“, sagt sie. Ihre ukrainischen Artisten-Kollegen, die hier in Deutschland arbeiten, helfen ebenfalls, geben Spenden in ihre Heimat weiter. Das macht sie froh. Sie ist besonders besorgt um das Schicksal der Kinder. Olga Boiko hilft es, hier zu arbeiten. Zugleich erfüllt sich mit den Auftritten im Weltweihnachtscircus ein Traum für sie, die in Kiew an der Zirkusakademie vier Jahre lang ausgebildet wurde. Artistik hat sie mit neun Jahren begonnen. Mit dem Reifen in der Luft – das begeistert sie besonders. Das ist ihr Ding.

Seit sechs Jahren präsentiert sie ihre Show alleine. Ihr Kostüm hat sie sich genäht und ihre Choreografie selbst erarbeitet. Ein quirliges, wirbelndes artistisches Ereignis in der Luft einer starken jungen Frau, die mutig ist und nicht aufgibt. Geboren auf der Krim, ist sie mit ihren Eltern zunächst in den Süden der Ukraine gezogen, bevor sie im Alter von 14 Jahren nach Kiew ging. Heute hat sie verschiedene Träume und Wünsche: Gerne würde sie im Friedrichstadtpalast in Berlin arbeiten, im Zirkus Knie in der Schweiz oder beim Zirkus Krone, sagt sie, die internationale Erfahrung hat.

International als Artistin tätig

Drei Jahre war sie in China als Artistin tätig und hat in einer großen Manege mit 19 Metern Durchmesser Erfahrungen gesammelt. 2020 kam sie zurück. Sie gewann in China Gold. 2016 haben Henk und Elisa van der Meijden sie in der Ukraine entdeckt und engagiert. Ein wenig sollte sich ihr Auftritt noch verzögern. Dann kam die Pandemie dazwischen. Jetzt hat es geklappt. Darüber ist sie sehr froh. In so einem großen Zelt wie in Stuttgart ist sie noch nicht aufgetreten. „Ich habe gestaunt wie ein kleines Kind“, sagt sie und strahlt.

Ihr Wunsch: „Stop the war in Ukraine“, sagt sie, dass der Krieg gestoppt wird und die Menschen Licht in ihrem Leben finden, Hoffnung und Zuversicht. Und, dass sie eines Tages in die Ukraine zurückgehen kann. Dort würde sie gerne Direktorin von Zirkusvorführungen sein oder Choreografin. Ihren erlernten Beruf ausüben.