Ein Traum in türkis: Sieben Russinnen auf russischen Schaukeln. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

„Goldener Clown“ war am Donnerstag der meistgenannte Begriff in den Ansagen von Conférencier Willer Nicolodi. Tatsächlich sind im diesjährigen Weltweihnachtscircus auf dem Cannstatter Wasen fast nur Gewinner jenes Oscars der Zirkuswelt vereint.

Stuttgart - Bello Nock stehen die Haare zu Berge, den Zuschauern auch. Beim US-Clown ist die Punkfrisur Wiedererkennungsmerkmal, Schnappatmung beim Publikum das Resultat seiner Kunststücke. Mit gespielter Tollpatschigkeit treibt er an einer gut fünf Meter hohen, sich biegenden Stange ohne Sicherungsseil Schabernack.

Fällt er? Natürlich fällt er nicht. Sonst wär schon alles vorbei. Nach der ersten von mehreren Einlage des Clowns zum Mitbibbern kann die Show der Superlative beginnen – so wurde sie angekündigt. Kaum eine Nummer, die nicht schon beim alljährlich stattfindenden Zirkusfestival in Monte Carlo mit dem Artisten-Oscar bedacht worden ist.

Spitzenartistik auf dem Wasen

„Wunderschöne Nummer“ – „lahmer Auftritt“. „Wow!“ – „Unsäglich!“ Was denn nun? Dem Nebensitzer im Parkett kann man’s trotzdem nicht recht machen. Der Mann ist nach 22 Jahren Spitzenartistik auf dem Cannstatter Wasen verwöhnt. Dabei bietet der 23. Weltweihnachtscircus ein Glanzlicht nach dem anderen, für jeden ist etwas dabei. Jene Erbsenzähler, die gerne mitnotieren, ob der Dreifachsalto wirklich dreifach war, werden ebenso bedient, wie die Zirkusromantiker, die sich vom Glanz der Manege verzaubern lassen wollen.

Regisseur Patrick Rosseel hat dabei kräftig sortiert: zuerst die Zirkusklassiker, nach der Pause die varietéartigen und etwas schrägeren Nummern.

Liebesgeschichte zu Pferd

Das Pas de deux zu Pferd von Merrylu Casselly und József Richter erzählt dabei zu Beginn eine wunderschöne Liebesgeschichte. Vielleicht die eigene? Beide sind auch außerhalb der Manege ein Paar. Es folgt chinesische Kopfakrobatik, mit einigen Wacklern zwar, aber dennoch beeindruckend. In Stauen versetzen die Fratelli Errani aus Italien mit einer neuen Schleuderbrettnummer und deren Landsleute Ambra und Yves mit einem Liebestango am Tuch, wobei Yves in der Luft singend die Angebetete erobert. Die liebliche Rumänin Corina Icleanu wiederum landet so sicher auf dem von den Brüder Stoian gehaltenen russischen Barren, als wär’s ein Kinderspiel.

Lieblinge des Publikums vor der Pause sind die zwölf nicht minder lieblichen Chinesinnen. Teuflisch synchron hantieren sie mit dem Diabolo. Irgendwann müssen sich doch mal die Schnüre verheddern, denkt sich der Betrachter – und wartet vergebens. Den Abschluss dieses Feuerwerks an klassischer Zirkuskunst bilden die fliegenden Menschen aus Nordkorea mit einer Kombination aus russischer Schaukel und fliegendem Trapez. Bis zu 20 Meter weit schleudern sich die Koreaner durch den Raum unter der Kuppel. Weltrekord!, behauptet das Programmheft. Einerlei, den Atem raubt die Nummer so oder so.

Stammgäste auf dem Wasen sind Géraldine Knie und Maycol Errani. Neben den 28 Pferden verzückt Töchterchen Chanel samt Ponys. Der Nebenmann mäkelt: „Braucht es die Göre?“ 2299 Premierenbesucher finden: ja. Manche zücken ihre Taschentücher.

Feuer und Motorendonner

Nach der Pause wird es gefährlich – und heiß. Die russischen Turner der Truppe Kolyhalov zeigen eine Recknummer im Seeräuber-Dress, Gienger-Salto inklusive. Picasso jr. aus Spanien jongliert nach 2002 zum zweiten Mal auf dem Wasen Tischtennisbälle, in dem er sie – plopp – meterweit nach oben spuckt, mit dem Mund fängt und sich nicht verschluckt. Es folgt Steve Eleky im Schottenrock, der – „Ey, war nur’n Spaß“ – mit seiner Comedy-Nummer über Banales viel witziger ist als Mario Barth und Co.

Danach nimmt einen die Familie Brumbach mit auf den – „Highway to Hell“ – Weg in die Hölle. Motorendonner und Feuer bieten viel Effekte, die Patrick Brumbachs Kunst des Messerwerfens zuweilen in den Hintergrund rücken lassen. Dass die Nummer gefährlich ist, belegt „Ziel“ Ehefrau Ramona, die stets bereit scheint, sich wegzuducken. Auf das Duo Popov und Shcherbak – kraftvolle Bodenakrobatik mit unverschämter Lässigkeit vorgetragen – folgt ein Traum in Türkis. Sieben junge Russinnen gleiten elfengleich durch die Luft. Poesie trifft Risiko. Die russische Schaukel – eine Männerdomäne? Ab jetzt nicht mehr.

2300 Besucher spenden Applaus

Zum Finale wird es wieder voll in der Manege. Elefanten, nicht Objekte für dämliche Posen, sondern als Fundament für menschliche Akrobatikeinlagen – so will es die Familie Casselly verstanden wissen. Kritiker geißeln die Nummer selbstverständlich als Tierquälerei. Bei der Frage, ob exotische Tiere zum modernen Zirkus gehören, wird sich kaum ein gemeinsamer Nenner finden lassen. Die Mehrheit der 2300 Zuschauer gibt am Donnerstag ihre Antwort – den Applaus.

Der Weltweihnachtscircus gastiert bis zum 10. Januar auf dem Cannstatter Wasen. Kartentelefon: 07 11 / 6 74 47 70.