Weltkulturerbe ist ein Prädikat, das Touristen anlockt. Doch die Auszeichnung verpflichtet – damit Venedig nicht untergeht, muss die Politik strenge Maßnahmen ergreifen.
Venedig steckt in einem Dilemma. Das Unesco-Welterbekomitee tagt bei seiner Konferenz in Riad vom 10. bis 25 September und berät nicht nur über die Aufnahme neuer Stätten in die Welterbeliste, sondern auch darüber, wie das Menschheitserbe besser geschützt werden kann. Dann wird auch entschieden, ob die italienische Stadt als „besonders gefährdet“ eingestuft werden soll.
Experten der Sonderorganisation der Vereinten Nationen empfehlen dies wegen einer „anhaltenden Verschlechterung durch menschliches Eingreifen“, durch die irreversible Veränderungen drohten. Die Probleme seien in der italienischen Stadt seit Jahren bekannt.
Halbherzige Verbote
Venedig und seine Lagune stehen seit 1987 auf der Weltkulturerbeliste. Und schon 2021 ist Venedig dieser Roten Karte nur knapp entgangen, da die Stadt kurzfristig den Kreuzfahrtschiffen ab einer gewissen Größe verbot, Markusplatz und Altstadt zu befahren. Seither müssen sie am Industriehafen vor Anker gehen, der einige Kilometer entfernt liegt.
Schon damals hatten Kritiker bemängelt, dies seien nur kosmetische Eingriffe, da die riesigen Schiffe ja dennoch schon in der Lagune unterwegs seien. So wie es aussieht, waren die Bemühungen des Bürgermeisters und aller beteiligter Akteure nicht ausreichend, um die Weltkulturerbestätte vor Übertourismus, Bauwahn und den Folge des Klimawandels zu schützen.
Einerseits ist so ein Weltkulturerbe-Status ein hervorragendes Marketinginstrument, um Touristen zu locken. In Karthago beispielsweise wurden 1979 durch den Weltkulturerbestatus die Ausgrabungsstätte und die antiken Ruinen gerettet (die Gemäuer wurden zum Teil als Steinbruch für den Bau neuer Gebäude genutzt) und ist heute eine Attraktion nicht nur für Hobbyhistoriker.
Kaum ein Pauschal-Urlauber in Tunesien, der nicht bei 30 Grad über das Gelände marschiert und die alten Vasen und die Überreste der Antonius-Pius-Therme bestaunt hätte. Andererseits geht damit auch Verantwortung einher. Die Methode „Schauen wir mal“ ist hoch gefährlich, so verständlich die Versuche der Politiker sind, Interessen auszugleichen, also die Tourismus-Lobby nicht zu verärgern und nicht die Bürger, die ihre Wohnungen und Häuser als Hotel und private Airbnb anbieten.
Der Meeresspiegel steigt weiter, die heftigen Unwetter, Dürren, Überschwemmungen nehmen zu – erst jüngst war die Lagune ausgetrocknet, die winterlichen Überschwemmungen kennt man seit langem – und der Bestand der architektonischen Preziosen und anderen alten Gebäude wird jüngst durch Gebäudeaufstockungen, um noch mehr Touristen in der Stadt beherbergen zu können, zusätzlich gefährdet. Vom Salzwasser, das an den Gebäuden nagt und ihre Substanz bedroht, zu schweigen.
Ehre und Verpflichtung
Das eben ist die Krux mit dem Denkmalschutz. Ein Schloss, eine Burg, eine antike Ruinenlandschaft, eine Stadt unter Denkmalschutz – das ist ein Ehrenprädikat, bringt aber auch Verpflichtungen mit sich. Pflege und Erhalt kosten Geld und bieten zugleich langfristig gute Geschäfte. Denn wenn ein Denkmal erst einmal zerstört ist, kommen auch keine Touristen mehr. Sachte, kompensatorische Maßnahmen werden vermutlich auch in Venedig nicht zum Erfolg führen.
Man kann jetzt schon sehen, was der menschengemachte Klimawandel und Profitgier anrichten. Venedig ist längst ein Mahnmal, von Zerstörung bedroht. Wenn der schon oft gesagte Mahnruf „Venedig stirbt“ ernst genommen wird, sind radikale Maßnahmen vonnöten, müssen die Touristenströme kontingentiert, der Bauwahn gestoppt werden, auch wenn das einen Eingriff in die Souveränität der Stadt darstellt. Ansonsten bleibt nur eins, schreckensgebannt zuzusehen, wie die Stadt untergeht und das möglicherweise früher als gedacht.