Eine der Fundstätten, die jetzt zur Aufnahme auf die Welterbeliste angemeldet wurde: Der Hohlensteinstadel im Lonetal. Foto:  

Was macht Kultur aus? Jedenfalls nicht nur Burgen und Kirchen. Wer solche Bauten als Unesco-Welterbe anmeldet, hat kaum noch Chancen. Archäologische Fundstätten jedoch sind unterrepräsentiert – eine Chance für die Alb.

Schelklingen - Die gängigen ausländischen Reiseführer erwähnen die Schwäbische Alb entweder gar nicht oder allenfalls am Rand. Eine dünn besiedelte Region sei das, klärt etwa der englische „Rough Guide“ seine Leser auf, mit Menschen, die einen strengen Dialekt sprechen. Das war’s dann auch schon, und eh man sich’s versieht, spaziert der Führer bereits durch Stuttgart, Heidelberg und den Schwarzwald.

Für 2017 sollten die Verlage aber schon mal eine Neuauflage ins Auge fassen und sich mit Namen wie Niederstotzingen und Schelklingen vertraut machen. Denn glaubt man den führenden Archäologen im Land, dann hat die Region wegen ihrer Höhlen, in denen die ersten Kunstwerke der Menschheit entstanden, gute Chancen auf das Siegel „Weltkulturerbe“. Und das kann kein Reiseführer ignorieren.

Seit wenigen Tagen liegt der deutsche Antrag nun bei der Unesco-Zentrale in Paris. Über den Jahreswechsel hat das Auswärtige Amt die drei Bände dem Ständigen Vertreter Deutschlands bei der UN-Kulturorganisation zugeleitet: insgesamt 900 Seiten mit zahlreichen Karten, Grafiken und Fotografien. „Wir haben unsere Arbeit jetzt erst einmal getan“, sagt Claus Wolf, der Chef des Landesamts für Denkmalpflege. Und sein Kollege Claus-Joachim Kind, der die Bewerbung wissenschaftlich verantwortet, fügt hinzu: „Unser Antrag ist gut.“

Die Venus – ein Steinzeit-Pin-up?

Eigentlich spielt das Gütesiegel für die kulturgeschichtliche Bedeutung des Geißenklösterle, des Hohle Fels, des Vogelherd oder wie die Höhlen sonst noch alle heißen, keinerlei Rolle. Dass sie unvergleichliche Figuren aus Elfenbein beherbergt haben, Kunstwerke, die zwischen 35 000 und 40 000 Jahre alt und somit die ältesten überhaupt sind, steht zunächst einmal für sich.

Die Vogelherdhöhle zum Beispiel gab eine kleine Mammutfigur frei, die kein moderner Künstler prägnanter hätte schnitzen können. Und die „Venus“, eine Art Steinzeit-Pin-up, die der Tübinger Chef-Archäologe Nicholas Conard zutage förderte, ist das erste Frauenbild in der Kunst. Die vollbusige Plastik erschien zwar noch nicht im „Playboy“, aber im Magazin „Nature“.

Dennoch weiß die breite Öffentlichkeit noch sehr wenig über die eiszeitlichen Fundstätten. Das Unesco-Siegel, so die Hoffnung der Forscher, könnte die Welt darauf aufmerksam machen, dass auf der Alb ein kultureller „Urknall“ (so Conard) dokumentiert ist: Der Homo sapiens erhielt auf seinem Zug von Afrika nach Norden ein Bewusstsein für Abstraktion, das sich von unserem modernen nicht unterscheidet.

Kunstwerke sind nicht Gegenstand des Antrags

Die Preziosen selbst sind allerdings nicht Gegenstand des Antrags, denn das schließen die Unesco-Statuten aus. Es geht vielmehr um die Landschaft: Die Talabschnitte rund um sechs ausgewählte Fundstätten sollen Welterbe werden. Man mag dies paradox finden, denn ohne die Figuren würden die Höhlen ja kaum Aufmerksamkeit erregen – jedenfalls nicht mehr als Hunderte andere auf der Alb. „Wir begreifen die Landschaft, die Höhlen und die Funde als Ensemble“, sagt Kind diplomatisch.

Natürlich ist der Unesco-Antrag auch ein Beitrag zur Tourismusförderung. „Wenn das was wird, ist Schelklingen in aller Munde“, glaubt Bürgermeister Ulrich Ruckh. Erst kürzlich hat Stuttgarts Regierungspräsident Johannes Schmalzl die wundersamen Karst-Hohlräume auf der Tourismusmesse CMT präsentiert.

Doch auch mit einem Welterbe-Etikett wird es nicht einfach werden, weltweites Interesse auf die Alb zu lenken. Denn wie unter einem Brennglas zeigt sich bei dem Thema die dezentrale Feingliederung des Südwestens – man kann auch sagen: Zersplitterung. Eine zentrale Ausstellungsstätte fehlt, und wer die Szenerie erkunden will, muss relativ weite Wege in Kauf nehmen.

Schwierige Vermarktung

Zwar hat sich das Urgeschichtliche Museum in Blaubeuren inzwischen dank Land, Kommunen und privater Unterstützung zu einem Zentrum für die Vermittlung und Präsentation der Eiszeitkunst gemausert. Wer weiß schon, dass man die „Venus“ vom Hohle Fels dort im Original bestaunen kann? Doch auch Niederstotzingen im Lonetal vermittelt eiszeitliche Kunst. Für ihren Archäopark hat sich das Städtchen vom Land Originalfunde ausbedungen – schließlich wurde das kleine Mammut in der nahen Vogelherdhöhle gefunden.

Ulm wiederum ist Eigentümerin des legendären Löwenmenschen, um ihn zu sehen, muss man ins Stadtmuseum. Daneben erheben die Uni Tübingen, das Archäologische Landesmuseum Konstanz und nicht zuletzt das Landesmuseum Württemberg Ansprüche. Wäre da nicht ein neues, zentrales Museum angebracht? Das würde schon an den verzwickten Eigentumsverhältnissen scheitern, vom Geld ganz zu schweigen. Wolf: „Da muss man Realist sein.“

Wer die Wiege der Kultur sehen will, muss also rauf auf die raue Alb. „Was dort jetzt passiert, hängt ganz vom Engagement der Gemeinden ab“, sagt der Denkmalschützer, der die Kommunen eng eingebunden hat – damit nicht am Ende ein Bürgermeister gegen das Welterbe opponiert. Bei null fangen diese ohnehin nicht an, denn in den Tälern von Ach, Blau und Lone hat man sich schon früh mit dem Gedanken an den Ritterschlag vertraut gemacht.

2017 gilt’s : Hopp oder top

Kirchturmdenken würde überhaupt nicht passen, zumal die Unesco gewisse Anforderungen stellt – bis hin zur einheitlichen Beschilderung. „Alle Beteiligten ziehen an einem Strang“, glaubt der Ulmer Abgeordnete Martin Rivoir, der mit dafür gesorgt hat, dass eine gemeinsame Dachmarke mit dem Titel „Welt-Kultursprung“ entstand.

Die Bahninfrastruktur in der Region ist gar nicht so übel. Jetzt sollen weitere Radwege entstehen, so dass die Höhlenlandschaft auch ein Muster für nachhaltigen Tourismus werden könnte. Mit Landeshilfe baut Schelklingen vor dem Hohle Fels ein Infozentrum, und auch eine App für Smartphones ist geplant – auch wenn es im Lonetal noch keinen Handyempfang gibt.

Und was macht die Wissenschaftler so sicher, dass der Antrag Erfolg hat? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Baden-Württemberg mit einem Antrag Schiffbruch erlitt. Der Schwetzinger Schlossgarten zum Beispiel mit seiner einmaligen Moschee fiel vor drei Jahren in der Unesco-Vollversammlung durch – trotz Unterstützung arabischer Länder. Auch Heidelberg mit seiner Altstadt musste klein beigeben. Kulturpolitik ist eben auch Politik.

Berechtigte Zuversicht

Die Zuversicht rührt daher, dass die Höhlen nun wirklich von „herausragendem universellem Wert“ seien, sagt Wolf. Das ist eine der Grundbedingungen für die Aufnahme in die Liste. Außerdem stehen darauf noch nicht sehr viele archäologische Fundorte – ganz im Gegensatz zu Denkmalklassikern wie Burgen, Schlösser und Kathedralen. Die Kathedralen bei Schelklingen, Blaubeuren und Niederstotzingen haben also reelle Chancen.

Und wie geht es jetzt weiter? Die Unesco prüft den Antrag und gibt dazu ein Gutachten beim Internationalen Rat für Denkmalpflege (Icomos) in Auftrag. Dessen Fachleute werden sich irgendwann in Stuttgart melden, weil sie eine kleine Exkursion auf die Alb machen wollen. Die Archäologen kennen das von den Pfahlbauten, die 2011 aufgenommen worden waren. „Die haben sich das sehr gründlich angesehen“, sagt Wolf.

Im Frühjahr 2017 bekommen die Baden-Württemberger die Expertise dann erstmals zu Gesicht, um Stellung zu nehmen. Kurz danach gilt es: hopp oder top. Entweder Icomos empfiehlt der Unesco die Aufnahme, oder eben nicht. Auch eine „bedingte“ Empfehlung ist denkbar – doch das wäre kein gutes Zeichen.

Wenn die Archäologen doch irgendwann mal Zweifel überkommen, dann erinnern sie sich an das Wort eines englischen Kollegen. Der habe von den Höhlen gesagt, es seien „No-Brainer“, Selbstläufer.

Ein kleines Risiko besteht allerdings noch: Wenn die Wissenschaft plötzlich irgendwo auf der Welt Kunstwerke entdeckte, die viel älter wären als jene auf der Alb und damit alle bisherigen Theorien ad absurdum führte. Dann hätte die Alb ein Problem.