Chronische Unterernährung betrifft viele Kinder im südlichen Afrika. Foto: AP/Ariana Cubillos

Die neuesten Zahlen der Welthungerhilfe stellen eine leichte Verbesserung der weltweiten Lage dar: Aber sie sind vor der Corona-Epidemie erhoben worden. In 46 Ländern ist die Ernährungslage noch kritisch.

Berlin - Die Deutsche Welthungerhilfe hält es nicht für wahrscheinlich, dass die Vereinten Nationen bis 2030 den Hunger in der Welt besiegen werden, wie sie es sich als Ziel gesetzt hat. „In über 50 Ländern ist der Hunger weiterhin hoch. Die Verbesserungen entwickeln sich zu langsam“, heißt es in dem am Montag von der Entwicklungsorganisation vorgestellten Welthunger-Index 2020. In diesem Bericht wird anhand von Kriterien wie Unterernährung, Auszehrung und Sterblichkeit von Kindern die globale Ernährungssituation dargestellt. Dazu werden die Daten in 132 Staaten untersucht. In 46 Ländern sei die Lage „mäßig, ernst oder sehr ernst“, heißt es in dem Bericht. Zwar habe sich die Gesamtlage seit 2012 sogar leicht gebessert von einst „ernst“ auf jetzt „mäßig“. Doch in 14 Ländern habe sich die Hungersituation verschlechtert, darunter sind Haiti, Madagaskar und Liberia. Dort leidet ein Viertel der Bevölkerung an Nahrungsknappheit. Den größten Hunger-Anstieg habe Venezuela gehabt.

Möglich, dass weitere Millionen in den Hunger rutschen

Gehe die Entwicklung so weiter wie bisher, könnten bald 840 Millionen Menschen unterernährt sein. Hierbei seien die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch gar nicht eingerechnet, sie werde die positiven Entwicklungen gefährden, heißt es. „Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger“, sagte Marlehn Thieme, die Präsidentin der Welthungerhilfe am Montag in Berlin. Möglich sei „ein Abrutschen von weiteren Millionen Menschen in den Hunger“. Große regionale Unterschiede zeichnet der Bericht aber jetzt schon auf. Die Situation in Afrika südlich der Sahara ist besonders problematisch, denn hier konnte im Zeitraum von 2017 bis 2019 mehr als jeder fünfte Mensch den Kalorienbedarf nicht decken. Diese Rate steigt bereits seit 2014 und ist mit 230 Millionen Betroffenen die höchste weltweit. Schuld seien Rückgänge der Konjunktur, bewaffnete Konflikte und Ernteausfälle infolge des Klimawandels. In Ostafrika zerstörte darüber hinaus eine monatelange Heuschreckenplage die Erträge. Südasien gilt als ähnliche Sorgenregion wie das subsaharische Afrika, auch dort war jedes dritte Kind wegen chronischer Unterernährung zu klein für sein Alter.

5,3 Millionen Kinder sterben vor Erreichen des fünften Lebensjahres

Die Corona-Krise, die zu einem weltweiten Erlahmen der Wirtschaft führte, wird sich erst im nächsten Welthunger-Index niederschlagen, die Daten des jetzigen Berichts stammen von 2019, vor dem Beginn der Krise. Der aktuelle Index-Wert von 18,2 stellt eine Verbesserung gegenüber dem Referenzjahr von 2000 dar, als der globale Mittelwert noch bei 28,2 lag. Zufriedenstellend war aber auch die Situation vor Corona nicht: Weltweit sind fast 690 Millionen Menschen unterernährt. Die chronische Unterernährung hat vor allem für Kinder gravierende Folgen: 144 Millionen Kinder haben Wachstumsstörungen, 47 Millionen Kinder leiden an Auszehrung und 5,3 Millionen Kinder starben vor ihrem fünften Geburtstag, häufig infolge der Unterernährung.

Corona lastet auf der weiteren Entwicklung, aber welche Folgen das Virus genau haben wird, ist noch unbekannt: Die UN schätzen, dass mit jedem Prozentpunkt, dass das globale Bruttoinlandsprodukt sinkt, für weitere 700 000 Kinder Wachstumsverzögerungen bringen wird. Die Zahl der ausgezehrten Kinder könnte um 6,7 Millionen wachsen, es könnte zu fast 130 000 zusätzlichen Todesfällen bei Kindern führen.

Die Ernährungssysteme müssten „nachhaltiger, gerechter und widerstandsfähiger“ werden, fordert die Welthungerhilfe, die selbst 499 Projekte in 36 Ländern durchführt. Der Schlüssel für eine Verbesserung der Lage seien faire und auskömmliche Einkommen für Kleinbauern und Fischer weltweit. Handelsungerechtigkeiten müssten beseitigt vorangetrieben werden. In Ländern wie Angola, Äthiopien und Sierra Leone hat sich die Ernährungslage von „ernst“ auf „mäßig“ verbessert.