Ob Oberärztin, leitende Oberärztin oder Chefärztin: Noch immer haben es Frauen schwer, in Kliniken Leitungspositionen zu bekommen. Foto: Adobe Stock/Friends Stock

In der Medizin sind die Aufstiegshürden für Frauen besonders hoch. Warum eigentlich? Ein Interview mit dem Vorstandsmitglied des Deutschen Ärztinnenbundes, Barbara Puhahn-Schmeiser.

Je steiler die Karriere von Ärztinnen verläuft, desto öfter sind sie nur von Männern umgeben. Lediglich 13 Prozent der Führungspositionen in der Universitätsmedizin waren 2019 mit Frauen besetzt. In der Medizin, so stellt der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) fest, stehen Frauen mit Aufstiegsambitionen vor vielen Hürden. Welche das sind, erklärt Barbara Puhahn-Schmeiser, Fachärztin für Neurochirurgie an der Uniklinik Freiburg und DÄB-Vizepräsidentin.

Frau Puhahn-Schmeiser, es studieren mehr Frauen als Männer Medizin – aber die Chefpositionen in Kliniken sind hauptsächlich mit Männern besetzt. Sind Frauen nicht ehrgeizig genug?

Nein, das sicher nicht. Es liegt an verschiedenen Faktoren, die Ärztinnen einen geradlinigen Karriereweg oft erschweren.

Welche sind das?

In erster Linie habe ich den Eindruck, dass Frauen in ihrer Karriereplanung zu wenig Unterstützung erfahren: Männliche Kollegen werden in Sachen Karriere deutlich früher protegiert. Sie bekommen eher Informationen darüber, welche relevanten Kompetenzen für eine bestimmte leitende Position erwartet werden – wie Zusatzqualifikationen oder -bezeichnungen sowie das Beherrschen bestimmter OP-Techniken. Und es wird ihnen auch neben der klinischen Tätigkeit eher ermöglicht, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Somit heißt es dann oft: Ja, wir wollten eine Frau, aber die Bewerberinnen brachten leider nicht die nötigen Qualifikationen mit. Dieses Argument muss durch die Verfügbarkeit von entsprechend qualifizierten Frauen entkräftet werden.

Um gerade in der Universitätsmedizin Karriere zu machen, braucht es die Forschung. Mit welchen Hürden haben hier Frauen zu kämpfen?

Für eine wissenschaftliche Karriere muss man publizieren. Eine Untersuchung hat jedoch ergeben, dass nicht nur die Studienergebnisse an sich für eine Veröffentlichung ausschlaggebend sind: So war der Anteil der publizierten Studien von Frauen deutlich höher, je größer der Anteil an Herausgeberinnen bei einem Journal war. Diesen Gender-Effekt empfinde ich als frappierend.

Wieso ist es gerade in der Medizin so schwierig, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen?

Die meisten Frauen gehen auf dem Karriereweg zwischen Promotion und der Habilitation verloren – also in dem Lebensabschnitt, in dem das Thema Familienplanung bei vielen aktuell ist. Denn Frauen, die in ärztlicher Versorgung tätig sind, werden aufgrund der vielfach erteilten Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft in ihrer Weiterbildung behindert. Das verzögert die folgenden Karriereschritte. Denn dieses Problem zieht sich nach der Geburt ja fort: Denn auch bei Medizinern ist es so, dass der Hauptteil der Care-Arbeit immer noch auf den Schultern der Ärztinnen lastet. Da wird es zusätzlich neben der Arbeit in der Klinik und der Versorgung der Kinder schwer, sich in der Forschung einen Namen zu machen. Was mich daran stört ist, dass dies vorrangig als Problem von Frauen angesehen wird – und nicht etwa als gemeinschaftliches und vor allem auch gesellschaftliches Problem von Männern und Frauen, nämlich Eltern, gleichermaßen.

Sie sind Fachärztin für Neurochirurgie an einer Uniklinik und haben vier Kinder. Wie haben Sie Ihren Weg gemacht?

Ich bin froh, dass ich meinen Facharzt und die Habilitation vor der Familienplanung abschließen konnte. Glücklicherweise habe ich auch einen Chef, der mich sehr unterstützt hat. Ich weiß aber von Kolleginnen, dass es durchaus auch Häuser gibt, in denen männlich dominierte Haltungen die Aufstiegsmöglichkeiten von Ärztinnen erschweren.

Wie werden Sie im beruflichen Alltag wahrgenommen?

Ich erlebe unter Kollegen keine Vor- und Nachteile. Im Umgang mit den Patienten wiederum gibt es viele Klischees. Es wird nicht erwartet, dass eine Frau die Operation durchführt. Ein klassisches Beispiel, dass immer noch Realität ist: Eine Assistenzärztin steht zusammen mit einem Medizinstudenten am Bett eines Patienten. Der wiederum wendet sich mit seinen Fragen automatisch an den angehenden Kollegen, obwohl man sich als Ärztin vorgestellt hat.

Welche Reaktion wäre da angebracht?

Gelassen und selbstbewusst im Gespräch dem Patienten Vertrauen und Kompetenz vermitteln, was nicht immer leicht fällt. Außerdem hilft ein Namensschild mit Titel am Kittel.

Was könnten Ärztinnen sich von ihren männlichen Kollegen abschauen?

Wie man Netzwerke aufbaut. Denn das funktioniert tatsächlich vor allem unter Männern. Zum einen liegt es daran, dass Frauen diese Verbindungen untereinander in ihrer Karriereplanung als nicht so vorrangig erachten. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass es noch zu wenige weibliche Vorbilder gibt. So sind nur etwa 13 Prozent der leitenden Führungspositionen in der universitären Medizin mit Frauen besetzt. Wichtig wäre natürlich, dass diese Frauen sich solidarisch zu Ärztinnen verhalten, die ebenfalls den Karriereweg einschlagen wollen, und diese auch fördern. Das würde ganz viel Schwung in die Sache bringen.

Gibt es solche Beispiele?

Ja, es gibt sie, aber noch zu wenige – unter anderem etwa Mandy Mangler, die Mutter von fünf Kindern und in Berlin Chefärztin zweier gynäkologischer Kliniken ist. Sie bietet – aufgrund eigener Erfahrungen – flexible Arbeitszeitmodelle an und schafft Voraussetzungen, dass Ärztinnen beruflich weiterkommen können. Sie hat einen sehr großen Zulauf an Assistenzärztinnen. Ein weiteres Beispiel ist Petra Büchin, Chefärztin des Zentrums für Wirbelsäulenchirurgie und Rückentherapie und Ärztliche Direktorin des Karl-Olga-Krankenhaus in Stuttgart. Auch sie gehört zu den Ärztinnen, die als Mentorinnen tätig sind.

Braucht es auch männliche Mentoren?

Es braucht meines Erachtens beides: Zum einen können männliche Mentoren Frauen dabei helfen, die Spielregeln in einem von Männern dominierten Fachgebiet zu verstehen und zu erlernen. Auch sind deren Tipps, worauf es ankommt, für den Karriereweg hilfreich. Gleichzeitig hilft es Ärztinnen aber auch ungemein, wenn sie eine Frau zur Seite gestellt bekommen, die diesen Weg schon gegangen ist.

Zur Person

Barbara Puhahn-Schmeiser Foto: DÄB

Frauenförderung
Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser ist Fachärztin für Neurochirurgie an der Universitätsklinik Freiburg und Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Sie leitet ein Mentoringprogramm, um Ärztinnen in ihren Karrierezielen zu fördern. Unter anderem geht es um sozial verträgliche Arbeitsbedingungen sowie flexible Arbeits- und Arbeitszeitmodelle.

Privat
Die 39-Jährige ist Mutter von vier Kindern und weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen.