Was ist Feminismus und wo steht er aktuell in der Gesellschaft? Eine von vielen Fragen, die zum Weltfrauentag diskutiert wird. Foto: dpa

Das Denken in alten Klischees helfe den Frauen von heute nicht weiter, lautete eine These des Leitartikels dieser Zeitung zum Weltfrauentag. Darauf hat es viele Reaktionen von Leserinnen und Lesern gegeben. Eine Auswahl.

Stuttgart - Unser Leitartikel zum Feminismus hat bei Leserinnen und Lesern – und auch redaktionsintern – zu heftigen Diskussionen und vielen kontroversen Stellungnahmen geführt. Wir stellen hier eine Auswahl von Reaktionen vor, die uns erreicht haben.

Den Text „Feminismus ist überholt" finden Sie hier.

Frauen zum Hohn

Beim Lesen Ihrer Ausführungen ist mir doch mein Frühstück im Hals stecken geblieben. Ein prüfender Blick aus meinem Fenster zeigt: Nein, alles richtig. Fernsehturm sichtbar, Sonne am Himmel – ich bin also ein Erdbewohner. Woher dann also meine komplett andere Realitätswahrnehmung?

Der Anteil der Familien in meinem Lebensumfeld, die sich Haushalt und Arbeit gleichermaßen aufteilen, ist verschwindend gering (nämlich genau eine). Die gerechte Aufteilung von Beruf und Familie kann nur dann gelebt werden, wenn die Elternteile Einkommen in gleicher Höhe haben. Bei privilegierten Akademikern mag das des Öfteren der Fall sein. Was aber ist mit all den Arzthelferinnen, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen und Verkäuferinnen?

Im Video: Wie feministisch denken die Stuttgarter?

Ihre Ausführungen empfinde ich als Hohn gegenüber all den Frauen, die sich täglich – stets an der Grenze zum Burn- out – zwischen Beruf und Familie abstrampeln und aus Angst vor Konsequenzen die „Zuckerschnecke“ nicht zur Anzeige bringen. Ja, wir brauchen Feminismus! Wir brauchen solidarische Frauen in der Chefetage, dann eben in Teilzeit, und keine Frauen (mit reichem Mann oder dicker Erbschaft ausgestattet), die der Gesellschaft das perfekte Hausfrauenleben vorgaukeln und so die alten Rollenklischees wieder aufleben lassen.

Marion Schmieder, Stuttgart

Wie am 1. April

Nach Lektüre des Beitrags von Claudia Scholz auf Seite 1 muss ich nun doch etwas fragen: Kann es sein, dass die Stuttgarter Zeitung, die ich seit Jahren lese, dieses Mal den 8. März mit dem 1. April verwechselt hat? Ich bin mir sicher, dass nicht nur ich auf diesen Text reagiere, und zwar mit der schlichten Nachfrage: Wie bitte? Ist dieses Potpourri, in dem die zum Teil absurden Meinungen der Kommentatorin – Höhepunkt: „keine Röcke, keine Frauentoiletten mehr“ – munter zwischen unterschiedlichsten halb-gedanklichen und scheinbar-sachlichen Ebenen hin und her hüpfen, als Leitkommentar zum 8. März 2019 tatsächlich ernst gemeint? Welche Ansprüche stellt „meine“ Zeitung an ihre Journalistinnen und Journalisten? Und wo lebt Frau Scholz? In derselben Ausgabe finde ich Artikel wie: „Frauen stecken in der Rentenfalle“ (S. 1), „Frauen sind ihr Feindbild“ (S. 2), „Das Netzwerk der Macho-Trolle“ (S. 2), „Die erste Geige im Orchester“ (S. 12), „Bei Frauen rebelliert das Herz oft anders“ (S. 18). Was nun?

Tina Stroheker, Eislingen

Alte Strukturen

Ein differenziertes, gleichberechtigtes und auf gegenseitiges Verständnis ausgerichtetes Miteinander wünsche ich uns allen. Und Frau Scholz, der (nebenher?) schreibenden Hausfrau, wünsche ich kein „Stecken in der Rentenfalle“ und kein wirtschaftliches und damit möglicherweise auch vom männlichen Verdiener fremdbestimmtes Hausfrauenleben klassischer Art. Und vielleicht eine Überlegung, inwieweit sie sich mit ihrem Artikel von althergebrachten Strukturen hat instrumentalisieren lassen.

Dr. Sabine Ladner-Merz, Stuttgart

Niveau-Limbo

Um die Rentenkluft zu überwinden, bekommen die Frauen den wohlfeilen Ratschlag von einer „Expertin“, sich mehr mit Geldanlage und Wertpapieren zu beschäftigen. Auf so einen Tipp haben die betroffenen Verkäuferinnen, Friseurinnen und Floristinnen sicher gewartet. Auf Seite 2 etwas über Hassbotschaften und Gewaltandrohungen gegen Frauen. Und dann behauptet Claudia Scholz: „Feminismus ist überholt“ und lässt in einem furiosen Niveau-Limbo kein Klischee und kein Vorurteil über ihre feministischen Geschlechtsgenossinnen aus. Ist da eigentlich niemandem etwas aufgefallen?

Martin Grohmann, Stuttgart

Vernünftig

Uff, ich traue meinen Augen nicht und lese den Leitartikel von Claudia Scholz – heute zur Sicherheit zweimal. Dass ich zum „Internationalen Frauentag“ so einen ausgewogenen, von normalen und vernünftigen Gedanken und Gefühlen – also nicht ideologisierten und fanatischen Grundsätzen – geleiteten Artikel zum Verhältnis von Mann und Frau lesen würde, habe ich nicht erwartet.

Dem Artikel ist von mir, einem Vater und Großvater, der nach 50-jähriger Ehe vor kurzem seine Frau zu Grabe tragen musste, nichts hinzuzufügen und nichts weg zu nehmen. Ich hoffe, die Autorin wird nicht nur gehässigen Äußerungen moderner, sogenannter emanzipierter Frauen (und Männer) ausgesetzt sein.

Doch beim Weiterblättern sehe ich: Ich habe mich wohl doch zu früh gefreut. Ich lese in den Überschriften und Kopfzeilen zum Frauentag die alten Tiraden und Klagen über die benachteiligten Frauen – alles zusammenhanglos nebeneinander, als ob die Redaktion ihren eigenen Leitartikel wieder ad absurdum führen wollte.

Da haben wir also in einem Blatt und in einer Ausgabe alles zur Auswahl, was man zum Frauentag sich nur denken kann. Wie sagte der berühmte schwäbische Ministerpräsident: Was geht mi mei saudomms Gschwätz auf der ersten Seite auf der zweiten Seite an.

Das nenne ich Qualitätsjournalismus.

Dr. Koloman Trinkl, Stuttgart

Provokation

... Es ist auch nicht gegeben, dass die Autorin den Beweis für die steile These, Frauen würden aufgrund „mangelnder Bewerbungen“ in Chefetagen fehlen, führen würde und könnte. Stattdessen lässt sie erkennen, auch nicht einen Schimmer von Ahnung zu besitzen, wie Besetzungen von Führungspositionen ablaufen.

Um es klarzustellen: Ich habe nichts gegen eine offene Meinung. Deshalb hier meine: Dieser Artikel ist eine Ansammlung billiger Klischees, diskreditiert Frauenpolitiker zum unendlichsten Male als „Jammerlappen“ und folgt in gewohnt alter Leier dem Impetus, Frauenpolitik lächerlich zu machen. So eine Provokation muss man erst einmal hinbekommen.

Susanne Wetterich, Frauenunion Stuttgart

Dankbar

Ich als ‚alter, weißer Mann’ bin ja inzwischen zum Hassobjekt der Netzfeministinnen geworden. Gerade deshalb habe ich die Formulierungen Ihrer Journalistin, Frau Claudia Scholz, sehr dankbar aufgenommen. Sie zeigt sehr überzeugend einige gängige Vorurteile über die vermeintlichen Frauenbenachteiligungen auf. So besonders räumt sie mit der Unwahrheit auf, dass die Frauen durchschnittlich 23 Prozent weniger verdienen

Jochen Mayer, Renningen

Haarsträubend

Was ist denn da passiert? Claudia Scholz katapultiert uns auf Seite 1 rasant in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Was sie in dem Artikel „Feminismus ist überholt“ an haarsträubenden Sentenzen ausbreitet, ist schwer erträglich. Bitte, bleib zu Hause, führ den Haushalt und pflege deinen Sex-Appeal, aber verschone die Öffentlichkeit mit solch rückwärtsgewandten Ergüssen.

Stefan Kuntze, Stuttgart