Frauen haben noch immer nicht die gleichen Chancen (Symbolbild). Foto: IMAGO/IPON/IMAGO

Was tun Frauen, wenn ihnen bei der Bewerbung merkwürdige Fragen gestellt werden und sie auf der Karriereleiter gegen die gläserne Decke stoßen? Zum Weltfrauentag antworten bekannte weibliche Persönlichkeiten aus dem Kreis Esslingen.

Vieles ist für Frauen heute selbstverständlich: das Wahlrecht, die Möglichkeit zu studieren und Erwerbs- und Familienarbeit im Idealfall mit dem Partner zu teilen. Doch im Alltag hapert es mit der Chancengleichheit. Wir haben Frauen aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die im Kreis Esslingen leben, gefragt, was ihnen aufstößt.

Anna Gubiani Foto: privat

Anna Gubiani, Dramaturgin an der WLB Esslingen:

„Wenn man als Theaterfrau die ‚gläserne Decke’ spürt, hat man schon einiges erreicht! Die meisten Frauen kommen gar nicht dazu, sie zu spüren“, sagt Anna Gubiani zum Thema Karrierechancen in ihrem Metier. „2016 gab es in Deutschland laut einer Studie des deutschen Kulturrates nur 22 Prozent Intendantinnen. Man ist heute sensibilisierter, aber der Weg ist noch sehr weit.“ Probleme sieht sie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer wie Frauen gleichermaßen. „Väter werden soviel wie Mütter gefördert, aber das ist in einem Theaterbetrieb extrem schwierig. Die Vorstellungen finden am Abend und auch am Wochenende statt und wir reisen als Landesbühne durch ganz Baden-Württemberg: Das ist per se nicht familienfreundlich und schwer vereinbar. Doch bin ich im Moment in Elternzeit.“

Anke Kleinschmit Foto: Stihl

Anke Kleinschmit, Vorstand Forschung und Entwicklung bei Stihl:

„Ich hatte das Glück, dass ich hiervor verschont wurde“, erklärt die gebürtige Esslingerin Kleinschmit auf die Frage, in welcher Situation, sie die sogenannte „gläserne Decke“ gespürt habe. Das Familienunternehmen Stihl fördere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit flexiblen Arbeitszeitmodellen für Väter, Mütter oder Beschäftigte, die sich um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern. Außerdem biete Stihl Betreuungsmöglichkeiten für Kinder an der eigenen Mia-Stihl-Kindertagesstätte in Waiblingen an und kooperiere mit Kindertagesstätten und Anbietern von Ferienbetreuungsangeboten.

Renata Alt Foto: DBT

Renata Alt, FDP-Bundestagsabgeordnete aus Kirchheim:

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten, können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Renata Alt beispielsweise uneingeschränkt Elternzeit nehmen, aus dem Homeoffice arbeiten sowie die Arbeitsstunden flexibel anpassen. „Es erfordert jedoch Teamfähigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme, was uns allen gemeinsam zum Glück gut gelingt.“

Carola Orszulik Foto: LAZI Stuttgart

Carola Orszulik, Unternehmerin und Vorstand beim SSV Esslingen:

Orszulik erinnert sich an eine Situation im Bewerbungsgespräch, die sie geärgert hat – als potenzielle Arbeitgeberin: „Ein männlicher Bewerber fragte mich vor gut drei Jahren im Gespräch, ob er denn niemand anderen als mich als direkten Chef haben könnte. Auf meine Rückfrage, was das Problem sei, meinte er, dass er ja keine Gespräche allein mit mir, einer Frau, in einem Raum bei geschlossener Tür führen könnte, da er sonst der Belästigung verdächtigt werden würde. Damit hat er kurzerhand eine subjektive Vorwegnahme kreiert, die eine ganze Reihe von Unterstellungen beinhaltet. Ach ja, ich habe ihn nicht eingestellt.“

Verena Grötzinger

Verena Grötzinger, Bürgermeisterin von Owen:

Die Rathauschefin der 3500-Einwohner-Gemeinde antwortet auf die Frage, wann sie selbst die sogenannte „gläserne Decke“ gespürt habe: „Ich hatte bislang das Glück, dass alle meine Bewerbungen auf Stellen, die ich wirklich wollte, erfolgreich waren.“

Katrin Sternberg Foto: Ceramtec

Katrin Sternberg, Mitglied der Geschäftsleitung von Ceramtec:

„Die Vorstellung von irgendwelchen möglichen Barrieren habe ich für mich gar nicht zugelassen. Ich würde anderen Frauen raten, das genau so zu tun“, sagt Sternberg, die seit wenigen Wochen für die Plochinger Firma arbeitet, zum Thema „gläserne Decke“. Manchmal bekomme man einen Job nicht oder ein anderer bekomme die ersehnte Beförderung früher. Das könne viele Gründe haben. „Auf jeden Fall sollte man nicht an sich zweifeln. Wenn man weiß, was man kann, soll man sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“, rät die Chemikerin. Nach Rückschlägen solle man einen neuen Anlauf nehmen und mutig weiter machen. „Um diesen Mut zu haben, sind Vorbilder sicher gut, also vor allem andere Frauen, die zeigen, wie es gelingen kann, dass man auf Augenhöhe ‚mitspielt’ und dabei man selbst bleibt.“ Sternberg vertritt die Ansicht, dass in Familien gleichberechtigt entschieden werden müsse, wie das Leben gestaltet werde. Sie habe männliche Mitarbeiter, auch Führungskräfte immer sehr ermutigt, in Elternzeit zu gehen. „Teilweise hatten sie Sorge, wie das sein würde, wenn sie für ihre Teams eine Weile nicht zur Verfügung stehen. Aber die Teamleitung kann immer auch mal jemand anderes übernehmen, vor allem wenn es zeitlich begrenzt ist. Die gemeinsame Zeit mit den Kindern hingegen kommt nicht wieder. Auch ich habe meine Elternzeit sehr genossen.“

Andrea Lindlohr Foto: Ines Rudel

Andrea Lindlohr, Landtagsabgeordnete

(Grüne) aus Esslingen:

Die Politikerin erinnert sich zwar nicht an lästige Fragen in Bewerbungsgesprächen, kennt sie aber aus anderen Kontexten. „Ich ärgere mich mich zum Beispiel bei Podiumsdiskussionen, wenn ich als Politikerin gefragt werde, wie ich denn die Übernahme von politischer Verantwortung mit der Familie vereinbare – und die Männer nicht. Damit verbinden die Fragenden zwar sicher auch ein freundliches Interesse an mir, aber eben auch die Annahme, dass Frauen mit Kindern weniger Zeit für eine verantwortungsvolle Aufgabe haben als Männer.“ Eine „gläserne Decke“ gebe es auch in der Politik. „Während sich viele Frauen ehrenamtlich engagieren, sind sie in den Parlamenten und Räten unterrepräsentiert. Von den 154 Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg sind im Jahr 2023 nur 46 Frauen.“ Auch die Landtagsabgeordnete ermutigt Männer, Elternzeit zu nehmen. „Jeder Mann, der substanziell Elternzeit nimmt, ist ein Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit – damit sich Arbeitgeber wie die Öffentlichkeit daran gewöhnen, dass nicht nur Frauen wegen Kindern mal nicht da sind, sondern Männer auch.“

Gisela Meister-Scheufelen

Gisela Meister-Scheufelen, bis 2022 Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg:

„Es war bei meiner ersten Bewerbung bei der Landesverwaltung in den 80er Jahren als mir abgesagt und ein Studienkollege mit deutlich schlechterem Examen vorgezogen wurde“, erinnert sich die Lenningerin. „Auf meine Frage, warum ich denn die Stelle nicht erhalten hätte, sagte der Personalreferent unumwunden, man habe sich für einen männlichen Kandidaten entschieden, weil es hier auf die Durchsetzungskraft ankäme.“ Eine ‚gläserne Karrieredecke’ habe sie selbst nicht erlebt, was aus Sicht von Meister-Scheufelen vor allem auch daran liege, dass sie bisher in der öffentlichen Verwaltung und in der Politik tätig gewesen sei. „Hier haben Frauen deutlich bessere Chancen, beruflich voranzukommen“, meint das CDU-Mitglied. „Als ich 1987 als Bürgermeisterin in Ludwigsburg als erste zwei Sekretärinnen in Teilzeit einstellte, prophezeiten mir die Kollegen den Zusammenbruch meines Büros. Nichts war passiert. Im Gegenteil. Es lief ausgezeichnet. Heute ist dies weit verbreitet und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einfacher zu erreichen.“

Beate Latendorf Foto: Roberto Bulgrin

Beate Latendorf, Frauenbeauftragte der Stadt Esslingen von 1991 bis 2011:

Geärgert hat Latendorf bei ihrer Vorstellung für die Stelle der Frauenbeauftragten bei der Stadt Esslingen Folgendes: „In der öffentlicher Sitzung des Gemeinderates wurde ich von einem Stadtrat gefragt, was denn mein Mann zu meiner Bewerbung in Esslingen sagen würde.“

Heike Kauderer Foto: Roberto Bulgrin

Heike Kauderer, Präsidentin der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen:

Aus Sicht einer Betreiberin zweier Hotels in Ostfildern gilt die „gläserne Decke“ im Gastgewerbe nicht. „Zwei Drittel der Betriebe werden von Frauen geleitet“, ist Kauderers Erfahrung. Wenn sie auch in ihrer Lehrzeit andere Erfahrungen gemacht hat, als in elitären Restaurants Leitungspositionen nur an Männer vergeben worden seien. Im elterlichen Betrieb, den sie später übernahm, sei sie aber ganz anders unterstützt worden als vielleicht andere Frauen. Auf der anderen Seite gebe es in der Gastronomie auch Männer, die in Teilzeit arbeiteten und sich mit ihren Frauen die Kindererziehung teilten. Dadurch, dass der Betrieb von morgens 5 Uhr bis spätabends laufe, könne man als Arbeitgeber mit flexiblen Arbeitszeiten auf die Bedürfnisse der Familien eingehen. „Ich habe einen Mitarbeiter, der drei mal pro Woche von 17.30 bis 23 Uhr arbeitet und seine Frau hat eine Vollzeitstelle und ist die Hauptverdienerin“, erzählt Kauderer.