Wie kann man Stadtteile so gestalten, dass demente Menschen lang dort leben können? Ein Netzwerk in Stuttgart-Bad Cannstatt entwickelt seit zehn Jahren Möglichkeiten.
Wie kann man Menschen, die mit zunehmendem Alter nicht nur gebrechlicher, sondern auch verwirrter, ängstlicher und orientierungsloser werden, ein Leben in ihrem gewohnten Umfeld ermöglichen? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit zehn Jahren das Netzwerk Gemeinsam für ein demenzfreundliches Bad Cannstatt. „Unser Ziel ist es, im Stadtviertel eine Umgebung zu schaffen, in der sich Menschen mit Demenz willkommen, sicher und unterstützt fühlen“, sagt Bettina Oehl, Sozialarbeiterin bei der Caritas in Stuttgart und Koordinatorin des Cannstatter Netzwerks. Doch wie schafft man das?
Unter anderem gehöre Aufklärung dazu, betont Oehl. Denn bis heute sei das Thema Demenz tabuisiert, obwohl es immer mehr Betroffene gibt. „Wir arbeiten daran, Vorurteile abzubauen und das Verständnis für Demenz zu fördern.“ Um die Bewohner in Cannstatt zu sensibilisieren und Begegnungen zu ermöglichen, veranstaltet das Netzwerk regelmäßig Vorträge und hat zahlreiche Aktivitäten im Programm, etwa Stadtteilspaziergänge, Kinoabende und Ausstellungen für Menschen mit und ohne Demenz. „Zudem haben wir zum Beispiel einen Leitfaden für Einzelhändler zum Umgang mit Demenzkranken entwickelt und verteilt.“
Städte müssen sich auf Demenzkranke einstellen – auch Stuttgart
Damit Menschen mit demenziellen Erkrankungen so lang wie möglich daheim leben können, braucht es viel Unterstützung – von Angehörigen, Freunden, Pflegediensten. Aber auch Nachbarn können so manches tun. Schon allein mit Verständnis, Offenheit und Ansprache. „Wir fördern generell bürgerschaftliches Engagement. Für unser Netzwerk haben wir über die Jahre immer mehr Ehrenamtliche gewinnen können“, so Bettina Oehl. Bei fast allen Treffen und Veranstaltungen komme jedes Mal jemand Neues hinzu.
Das Netzwerk bietet zudem auch Beratung an – „sehr niederschwellig, so dass wir viele Menschen erreichen können“, erklärt die Sozialarbeiterin. Obwohl Betroffene in einem frühen Stadium der Demenz im Fokus stehen, deren Autonomie man erhalten wolle, arbeitet das Netzwerk auch mit Cannstatter Pflegeheimen zusammen, etwa dem Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus. Generell gehe es darum, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sichtbar zu machen und ihnen mit Respekt zu begegnen, so Oehl.
Demenzfreundlichkeit: Auch der Einzelhandel in Cannstatt macht mit
Im Jubiläumsjahr hatte und hat das Netzwerk besonders viele Aktionen im Programm. So etwa die Ausstellung „Humor trotz Vergessen“ mit berührenden Werken des Cartoonisten Peter Gaymann. „Ich finde es wichtig, auf das Thema an ungewöhnlichen Orten hinzuweisen“, sagt Bettina Oehl. Zunächst waren die 16 Bilder im Alten Rathaus zu sehen, nun bis zum 15. November in Geschäften – etwa der Kron-Apotheke, im Café Gottlieb und im Weltladen. „Wir versuchen, auf Kunden so einzugehen wie sie es brauchen“, sagt die Weltladen-Mitarbeiterin Gertrud Widmann.
Mit dem demografischen Wandel wächst der Anteil älterer Menschen in Deutschland rapide – mit Auswirkungen auf die Gesellschaft und somit auf die Städte. Laut Experten muss Stadtplanung künftig durch klare Strukturen, Orientierungshilfen und Sicherheit dazu beitragen, dass Dementen ihre Autonomie so lang wie möglich erhalten bleibt. Es brauche aber auch Verständnis füreinander, ergänzt Widmann: „So schaffen wir ein gutes Leben für alle in Cannstatt.“
Das Programm des Cannstatter Netzwerks
Infostand
Zum Welt-Alzheimertag wird das Netzwerk Demenzfreundliches Bad Cannstatt am Samstag, 20. September, von 8.30 bis 12.30 Uhr auf dem Cannstatter Wochenmarkt vor dem Verwaltungsgebäude mit einem Infostand präsent sein. In der Kirche St. Martin in der Brückenstraße 22 findet dann um 15.30 Uhr ein Konzert mit dem Klarinettisten Dirk Altmann und einem Streicher-Ensemble des SWR-Symphonie-Orchesters statt.
Veranstaltungen
Das Netzwerk bietet das ganze Jahr über ein umfangreiches Programm an, das dazu beiträgt, Menschen mit Demenz aktiv einzubinden. Dazu gehören Vorträge, Workshops, Beratungs- und Unterstützungsangebote, aber auch Aktivitäten wie die „Historischen Stadtteil-Spaziergänge“, bei denen alle Interessierte willkommen sind. Zudem gibt es den „Lauftreff für Ältere“, eine Kooperation mit der Begegnungsstätte Cannstatter Brücke und dem Turnverein Bad Cannstatt – immer freitags von 10 bis 11 Uhr.
Notfalldosen
Beim Netzwerk sind auch die kleinen grün-weißen Notfalldosen erhältlich, die man am besten zuhause im Kühlschrank deponiert. Auf einem Blatt, das in der Dose steckt, können wichtige Informationen zum Gesundheitszustand, zu Allergien, Medikamenten und Kontaktpersonen notiert werden. So können Helfer bei Notfällen besser reagieren. Kontakt zum Netzwerk, das im Gemeindepsychiatrischen Zentrum in der Cannstatter Brückenstraße 21 zu finden ist, kann man telefonisch unter der Nummer 07 11 / 52 04 60 84 aufnehmen.