Die Patienten erkennen selbst ihre Familie nicht mehr: Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Alois Alzheimer die Ursachen für die verbreitete Hirnerkrankung, die bis heute so viele heimsucht.
Stuttgart - „Wie heißen Sie?“ – „Auguste.“ – „Familienname?“ – „Auguste.“ – „Wie heißt Ihr Mann?“ – „Ich glaube, Auguste.“ Der Dialog schreibt Medizingeschichte. Als Auguste Deter 1901 von ihrem Mann verwirrt und orientierungslos in die Anstalt gebracht wird, ist sie erst 51 Jahre alt. Ihr Gedächtnisverlust gibt den Ärzten Rätsel auf – und fasziniert den Psychiater Alois Alzheimer. Er dokumentiert Gespräche und Beobachtungen, untersucht nach ihrem Tod ihr Hirn unter dem Mikroskop und entdeckt einen massiven Zellschwund und ungewöhnliche Ablagerungen. Alzheimer ist überzeugt, dass diese Veränderungen mit dem Gedächtnisschwund der Patientin zu tun haben.
Heilen können Mediziner Alzheimer bis heute nicht, obwohl weltweit daran geforscht und „irrsinnige Geldsummen“ ausgegeben werden, wie Christian Haass vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen sagt.
Alois Alzheimer stammt aus dem unterfränkischen Marktbreit. Er studiert Medizin. Als Assistenzarzt der Frankfurter Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische trifft er Auguste. Auch als er in München das Hirnanatomische Laboratorium an der Psychiatrischen Klinik leitet, verfolgt er den Verlauf bei Auguste. Nach ihrem Tod am 8. April 1906 lässt er sich ihr Gehirn schicken. Als Alzheimer ein halbes Jahr später bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte erstmals über das Krankheitsbild und einen „eigenartigen schweren Erkrankungsprozess der Hirnrinde“ berichtet, werten seine Kollegen das als Kuriosität. Gedächtnisverlust bei Jüngeren war selten. Und warum Großmutter und Großvater so vergesslich waren, hinterfragte damals niemand.
Je älter, desto höher ist das Alzheimer-Risiko
Demenz ist eine Volkskrankheit, das Risiko steigt deutlich mit dem Alter: Bei den 85- bis 89-Jährigen ist bereits jeder Vierte betroffen. Demenz sei eine „tickende Zeitbombe“, sagt Haass. „Wir müssen alle nur alt genug werden und bekommen die Krankheit.“ Allein in Deutschland leiden rund 1,6 Millionen Menschen an Demenz, zwei Drittel an der häufigsten Form Alzheimer. Bis 2050 rechnet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft angesichts der steigenden Lebenserwartung mit drei Millionen Demenzpatienten. Aufgrund besserer Lebensumstände erkranken die Menschen zwar später. „Neue Studien haben ergeben, dass der Zeitpunkt der Erkrankung weiter nach hinten rutscht, trotzdem nehmen die Zahlen wegen der steigenden Lebenserwartung zu“, sagt die Geschäftsführerin Sabine Jansen.
Lebensstil und Ernährung spielen für den Ausbruch der Krankheit eine Rolle. Sport, geistige Beweglichkeit und Neugier können sie hinauszögern. Bei manchen haben auch die Gene einen Einfluss. Nicht immer ist eine solche Feststellung hilfreich. Mancher verfällt danach in Depression – und erkrankt damit noch schneller.
„Das Gehirn ist möglicherweise schon krank, Jahrzehnte bevor die Leute klinisch manifest werden“, sagt der Direktor der Klinik für Psychiatrie des Uniklinikums München, Peter Falkai. Auch die Gesellschaft sei hier gefragt, sagt Jansen. „Wenn zum Beispiel jemand immer mit einem 100-Euro-Schein bezahlt, weil er nicht mit Geld umgehen kann, oder jeden Tag zur Bank geht, um Geld abzuheben, könnte man mal fragen, ob das seine Richtigkeit hat.“
Das Vergessen bringt Angst, Scham, Misstrauen – und seelisches Leid. „Ich habe mich sozusagen verloren“, klagte Auguste in Gesprächen mit Alois Alzheimer. Ihre Krankheit wurde nach seinem Tod nach ihm benannt. Er starb mit 51 Jahren, jünger als seine Patientin.