Gebäude dicht an dicht, aber die Wohnungen hier sind im Viertel ­gefragt Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Weiterverkauf der ehemaligen LBBW-Wohnungen überrascht alle – und reißt auch alte Wunden wieder auf. Wir haben uns bei einigen Mietern umgehört.

Stuttgart - Rolf Gaßmann musste sich am Montagmorgen erst mal kräftig die Augen reiben. Er dachte zunächst an eine Falschmeldung. Der Chef des Mieterbunds im Land und des Stuttgarter Mietervereins Stuttgart hatte zwar manches für möglich gehalten, aber nicht dies: dass die Patrizia AG rund 20 000 Wohnungen im Land so schnell wieder verkaufen würde. Nur gut drei Jahre, nachdem sie 21 500 Einheiten von der LBBW-Immobilien übernommen hatte.

 

Gaßmann wurde ebenso überrascht wie die Bewohner der rund 3800 Wohnungen in Stuttgart, die die Patrizia AG 2012 mit ihrer Tochter Südewo übernommen hatte. Und wie Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU), der 2011 erfolglos verhandelt hatte, um die LBBW-Wohnungen mit einem Konsortium von Kommunen zu kaufen.

„Die Patrizia AG hat ihren Reibach gemacht. Das Drehen an der Mietpreisschraube wird weitergehen“, urteilte Gaßmann nach der Überwindung des Schreckmoments. Der neue Eigentümer Deutsche Annington bezahle ja nicht ohne Grund 450 Millionen Euro mehr als die Patrizia vor drei Jahren. Man müsse auch gespannt sein, ob die betroffenen Mieter im Südwesten künftig in Bochum statt bei einer Firmenniederlassung hier am Ort um die Instandhaltung ihrer Wohnungen kämpfen müssten. Und wie hartnäckig die Annington sich verweigere: „Sie ist dafür bekannt, dass sie viel Geld rauszieht und wenig investiert.“

Sozialcharta wird übernommen

Dagegen versprach Rolf Buch, Konzernchef bei der Deutschen Annington, am Montag genau das Gegenteil: Man sei bereit, in die erworbenen Wohnungen deutlich mehr Geld zu stecken, als es bisher der Fall gewesen sei. In Sachen Mietpreispolitik wies er darauf hin, dass sein Konzern für die Wohnungen bisher im Schnitt 5,53 Euro Miete pro Quadratmeter kassiere, bei die Südewo im Land 6,68 Euro. Überdies betonten sowohl die Deutsche Annington wie auch die Patrizia, dass der designierte Käufer die 2012 von der Patrizia akzeptierte Sozialcharta übernehme. „Daran wird man die Deutsche Annington messen“, ließ denn auch Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) erklären.

Finanzbürgermeister Föll versteht die Zusage außerdem so, dass es sich um die Sozialcharta in der ergänzten Form handelt. Die kam 2012 auf Betreiben der Stadt zustande. Damals habe die Stadt sich unter anderem für die Sozialwohnungen unter den betroffenen LBBW-Wohnungen in Stuttgart Belegungsrechte über die gesetzlichen Fristen hinaus gesichert, sagte Föll: „Das geht bis in die 20er- und 30er-Jahre dieses Jahrhunderts.“ Man werde sich vergewissern, ob sich der neue Investor auch daran halte, sagte Föll. Sorgen habe er im Moment nicht. Die Bewohner der ehemaligen LBBW-Wohnungen hätten dann vom neuen Investor nichts anderes zu erwarten als bisher von der Patrizia.

Der Mieterverein hängt die Sache mit der Sozialcharta nicht so hoch. Die meisten Auflagen würden letztmals 2016 gelten, sagte Gaßmann. Danach müsse sich der Erwerber „an fast nichts mehr aus der Sozialcharta“ halten. Ausgenommen sei der ergänzende Schutz vor Eigenbedarfskündigungen im Fall des Weiterverkaufs von einzelnen Wohnungen. Denn diese Vorkehrungen seien nach dem Verkauf 2012 noch einzelvertraglich abgesichert worden.

Die Wogen waren damals hochgegangen. Über Monate hinweg hatten die Zukunft der LBBW-Wohnungen und das Schicksal ihrer Bewohner die Menschen und die Medienvertreter bewegt. Auch der beginnende OB-Wahlkampf 2012 in Stuttgart war davon beeinflusst worden. Das Thema Wohnungsmangel und hohe Mietpreise erhielt dadurch weiteren Auftrieb.

Das Konsortium mit der Stadt Stuttgart bot damals nur 30 Millionen Euro weniger für die LBBW-Wohnungen als die Patrizia AG, aber mehr Mieterschutz. Angeblich soll der bessere Mieterschutz aber durch EU-Recht verhindert worden sein. Der Aufsichtsrat der LBBW, die unter den Folgen der Finanzkrise litt, sprach sich für die Patrizia AG aus, die damals 1,4 Milliarden Euro bot und jetzt 1,9 Milliarden kassiert.

Noch anderthalb Jahre später nannte die CDU im Landtag Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) einen „Lügner“, weil er von den Hindernissen in Brüssel geredet hatte. Schmid wies das umgehend zurück. Man habe zum bestmöglichen Preis verkaufen müssen.

Erst danach, im Jahr 2014, glätteten sich die Wogen wieder. Die Mieter in den ehemaligen LBBW-Wohnungen, vor allem in den relativ preisgünstigen Wohnungen im Nordbahnhofviertel, kamen aber nicht zur Ruhe.

Noch heute ist Finanzbürgermeister Föll überzeugt davon: „Der Verkauf an das kommunale Konsortium wäre die bessere Lösung gewesen.“

Robert Weyrauch (53), Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Als ich vor sechs Jahren hier eingezogen bin, gab es aufgrund des Mieterwechsels eine Mieterhöhung. Ich bin zwar in der komfortablen Situation, mir das leisten zu können, aber ich glaube nicht, dass das für alle Nachbarn gilt. Auch wenn die Menschen hier nicht sehr einkommensstark sind, geht es anständig bei uns zu: keine Drogen, kein Alkohol, keine Schlägereien.“

Irma Amann (87), Rentnerin und Anwohnerin Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Ich lebe seit 51 Jahren hier im Nordbahnhofviertel, und jetzt wird schon wieder alles verkauft? Ich bin vielleicht die Älteste im Haus, aber mit allen Wassern gewaschen und komme mit den frechen, jungen Burschen, die hier leben, gut klar. Hoffentlich bedeutet das nicht, dass die Mieten weiter steigen. Mein Sohn ist leider ein Pflegefall, und ich will ihn weiter finanziell unterstützen können.“

Christian Dauler (34), Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Ich wohne erst zwei Jahre hier, persönlich würde mich eine Mieterhöhung auch nicht schlimm treffen. Aber andere schon. Auch wenn es hier immer mehr Studenten gibt, wenn ich mich nicht täusche: Das hier ist nicht der Stuttgarter Westen. Ich denke, dass die Wohnungsnot in Stuttgart die Situation hier besonders verschlimmert.“

Miralen Fejzic (57), Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Die Miete steigt und steigt hier ins Bodenlose. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren um das Eineinhalbfache erhöht. Ich hätte meine Wohnung ja gerne gekauft, damit die Kinder später etwas haben, wurde von der Patrizia aber nie gefragt. Und Sanierungsarbeiten hätte ich auch noch selber hinbekommen – ich bin handwerklich begabt.“