Probleme in Mathe? Mehr Schüler benötigen künftig eine individuelle Förderung. Foto: dpa

Gymnasien und Realschulen richten sich nach Wegfall der Grundschulempfehlung auf eine stärkere Förderung ein.

Stuttgart - Wie viele Viertklässler im Herbst neu ans Gymnasium kommen, „ist nicht gesichert“, sagt Pressesprecher Roland Peter vom Kultusministerium. Auch Barbara Graf, die geschäftsführende Schulleiterin der Stuttgarter Gymnasien, hat die Zahlen noch nicht. Und doch gehen beide davon aus, dass es in diesem Jahr mehr als jemals zuvor werden.

Auslöser des Andrangs ist unter anderem der Wegfall der Grundschulempfehlung . Eltern müssen sich dieser nun nicht mehr unterwerfen oder ihre Kinder einer Prüfung aussetzen. Seit diesem Jahr dürfen sie die weiterführende Schule frei wählen. Und diese Wahl ist eindeutig gegen die Haupt- und Werkrealschulen ausgefallen: Dort sind nur noch 400 Kinder angemeldet worden, im Vorjahr waren es noch 869. Da der Andrang an den Realschulen mit 26,6 Prozent sogar unter dem des Vorjahres (27,2) liegt, ist zu vermuten, dass für mehr als 60 Prozent der Viertklässler das Gymnasium erste Wahl ist.

Barbara Graf rechnet allerdings nicht damit, dass an den Gymnasien insbesondere Schüler antreten werden, die eigentlich nur das Zeug für die Hauptschule haben. „Wir rechnen mit einem Durchreicheffekt“, sagt sie. Das heißt: In der Mehrzahl werden Schüler kommen, die von ihren Klassenlehrerinnen eher als gewappnet für die Realschule angesehen wurden, und an den Realschulen tauchen Schüler auf, die man für die Haupt- und Werkrealschulen für geeignet hielt.

Mehr Lehrer für Stütz- und Förderkurse an Gymnasien

Für die Pädagogen heißt dies, dass sie sich – eine ausreichende Personaldecke vorausgesetzt – verstärkt um individuelle Problemlagen ihrer Schüler kümmern müssen. Rektorin Barbara Graf kündigt für das Hegel-Gymnasium „Förderkurse, Einsatz von Beratungslehrern, Förderclubs“ an. Das Instrumentarium kann jedes Gymnasium für sich selbst bestimmen. Gemeinsam ist ihnen jedenfalls das Ziel, „jedem Schüler die Möglichkeit zu geben, einen guten Abschluss an der Schule zu machen“, sagt die Rektorin.

Dazu brauchen die Schulen allerdings mehr Lehrer. Das Kultusministerium hat laut Pressesprecher Peter für die Klassen 5 und 6 der Gymnasien bei den Haushaltsplanberatungen des Landes bereits eine Lehrerwochenstunde zusätzlich genehmigt bekommen. Die Poolstunde kann für zusätzliche Stütz- und Förderkurse eingesetzt werden.

Die Realschulen haben sich ebenfalls gerüstet. Laut Ulrike Brittinger, der Leiterin des staatlichen Schulamts, ist „eine heterogene Schülerschaft dort schon länger ein Thema“. Das Schulamt hat Fortbildungen angeboten, bei denen Lehrer lernen konnten, Schüler individuell zu beobachten, ihre Leistungen zu beschreiben, zu bewerten und ihren Werdegang zu begleiten. Darüber hinaus hätten sich Schulen regional auf neue Herausforderungen mit Hilfe von Referenten vorbereitet. „Hilfreich ist generell ein früher Kontakt zu den Eltern“, sagt Brittinger. Auch sie betont: „Die Kinder dürfen durch die Schulwahl nicht beschädigt werden.“

Abschied von der Wunschschule erleichtern

Abschied von der Wunschschule erleichtern

Dieser Fall tritt schnell ein, wenn die Kinder in der gewählten Schule nicht mithalten können. Fachleute sprechen dann von einer Schullaufbahnveränderung oder -korrektur. Ob sich Kinder als Versager fühlen, wenn sie das Gymnasium verlassen und auf die Realschule wechseln müssen, hänge davon ab, wie damit umgegangen werde, sagen die Psychologinnen der Schulpsychologischen Beratungsstelle Stuttgart. Was kurzfristig als Versagen empfunden werden könnte, „ist langfristig jedoch eher als Entlastung für Schüler oder Eltern zu betrachten, wenn eine Überforderung vorlag“.

Tritt dieser Fall ein, sollten Eltern in jedem Fall Verständnis zeigen und dem Kind deutlich machen, dass sie es trotzdem wertschätzten. Die Beratungsstellen sind darauf spezialisiert, mit den betroffenen Eltern über ihre Erwartungen bezüglich der Schullaufbahn ihrer Kinder zu reden, ihnen zu helfen, realistische Ziele zu setzen und sie zu ermuntern, weiterhin an Lern- und Arbeitstechniken zu feilen. Außerdem besprechen die Psychologen bei Bedarf mit dem Klassenlehrer, wie ein Ritual zum Abschied von der alten Schule und zur Begrüßung an der neuen Schule gestaltet werden kann.

Prinzipiell hilfreich sei, „die Erfolge solcher Schüler zu unterstreichen und Rückschritte nicht zusätzlich zu bestrafen“, empfehlen die Schulpsychologen. Auch eine andere Schule kann eine Perspektive sein.