82 Prozent aller Wohngebäude in Deutschland sind Einfamilienhäuser. Foto: Christian Holl

Ein Symposium und eine Ausstellung der Weißenhofgalerie untersuchen die Probleme von Einfamilienhausgebieten

Stuttgart - My home is my castle. Gleich ob man mit Burg oder Schloss übersetzt: Als Nachfolger des Adels will der Bürger nicht nur im Kollektiv Souverän sein, sondern ganz konkret selbst, in den eigenen vier Wänden. 82 Prozent aller Wohngebäude in Deutschland sind Einfamilienhäuser, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt dort – und das keineswegs nur im Land der Häuslebauer. Doch der Traum vom eigenen Haus mit Garten hat seine Tücken. Oft geht der größere Teil der Lebensenergie daran verloren. Der stolze Besitzer lebt dann noch ein paar Jahre dort, die Kinder ziehen aus, am Ende bleibt nur die Witwe im schönen Heim zurück, das allmählich renoviert gehört. Nur mit Rücksicht auf die Nachbarn wird der Vorgarten vom Gärtner auf Vordermann gebracht. Die Erben können mit dem Haus in der Regel nicht mehr viel anfangen, weil sie längst anderswo etabliert sind. Und über den Wiederverkaufswert macht sich manch einer illusorische Vorstellungen.

„Haben Einfamilienhausgebiete eine Zukunft?“ hat nun die Weißenhofgalerie zur Eröffnung einer Ausstellung alle Beteiligten gefragt. Die Wüstenrot-Stiftung hat sich bereits in zwei Publikationen mit dem Thema beschäftigt – nach langem Zögern, wie deren stellvertretender Geschäftsführer Stefan Krämer ausführte, denn sie möchte als Stiftung nicht mit den Geschäftsinteressen der Bausparkasse verwechselt werden. Aber die Probleme sind zu groß, um wegzuschauen. Zur Zersiedelung der Landschaft und zum Verkehr, den diese nach sich zieht, kommt ein zunehmender Renovierungsbedarf, insbesondere die energetische Sanierung. In den seltensten Fällen sind die Häuser altengerecht gebaut, häufig fehlt jegliche Infrastruktur in der Nähe. Die Kommunen seien unsicher, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, berichtete Christina Simon-Philipp, die als Professorin der Hochschule für Technik die Untersuchungen geleitet hat. Sie beschrieb einige Fälle, die auch in der Ausstellung vertreten sind, darunter die Siedlung Wulfen-Barkenberg in Dorsten, wo der Architekt Jan Kampshoff im Rahmen der Regionale 2016 Westmünsterland wegweisende Entwicklungen in Gang gebracht hat. Für ihn ist alles eine Frage der Kommunikation. Wichtig sei, positive Akzente zu setzen: „Oh wie schön ist Barkenberg“, lautete der Titel eines Workshops. Das Einmaleins der Partizipation: Wenn sich die Menschen mit dem Prozess identifizieren, läuft vieles wie von selbst.

Ob sich dieses Modell auch auf die Region Stuttgart übertragen und vielleicht im Rahmen der IBA 2027 ein Modellvorhaben in Gang setzen ließe, wollte Stefan Werrer, der mit Christian Holl die Ausstellung kuratiert hat, von Regionaldirektor Thomas Kiwitt wissen. In der Region habe es über Jahrzehnte hinweg eine starke Zuwanderung gegeben, brachte dieser die Diskussion auf den Boden zurück. Kommunen und Stadtteile hätten eine hohe Integrationsfähigkeit bewiesen. Was aber fehle, sei vor allem bezahlbarer Wohnraum. Weil aber alle, die sonst nichts finden, immer weiter aus der Stadt hinaus ziehen, nehme das Verkehrsaufkommen ständig zu. Der öffentliche Verkehr hinke hinterher.

Tom Wess aus Zürich beschrieb, wie die Schweiz mit dem Thema umgeht. In der Galerie präsentiert er einige provokative Vorschläge. Sein Fazit: „Wir verteufeln diese Gebiete nicht. Wir fragen, wie man sie besser machen kann.“

Bis 1. Juli, Am Weißenhof 30, Öffnungszeiten: Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa, So 12-18 Uhr. Zur Ausstellung erscheint als Marlowes Edition #01 ein vierzigseitiger Aufsatzband.

Am 9. Mai um 19 Uhr bietet sich Gelegenheit, mit dem Intendanten der IBA 2027, Andreas Hofer, zu diskutieren.