Prall und gesund hängen die Trauben an den Rebstöcken. Erntehelfer wie Vivian Haber müssen kaum faule Beeren aussortieren. Der Trockenstress hat die Blätter verwelken lassen, aber nicht die Trauben. Foto: /Alexander Müller

Die Weinlese in Stuttgart hat begonnen. Trotz des heißen Sommers und lang anhaltender Hitze erwarten die Wengerter einen guten Jahrgang.

Die Handschuhe sind wichtig, denn am frühen Morgen ist es noch kalt im Weinberg oberhalb von Uhlbach. Doch Vivian Haber hat gut vorgesorgt. „Vergangene Woche war es fast noch zu heiß, nun ist es deutlich kühler, die gewünschten 20 Grad mit leichtem Wind können wir eben nicht bestellen“, lacht die 19-Jährige. Gekonnt erntet sie die reifen Trauben des Müller-Thurgau vom Stock. „Das ist in diesem Jahr nicht schwer, da die Beeren sehr gesund sind.“ Verfaulte Früchte auszusortieren ist kaum notwendig. Prall hängen die Trauben überall in den Weinbergen am Stock. Durch die tiefen Wurzeln haben die Reben Hitze und Trockenheit gut überstanden. Einzig „an den jungen Anlagen, maximal bis zu acht Jahre alt, ist der Stress zu erkennen, sind die Beeren kleiner“, sagt Dieter Strauß, Vorstandsmitglied der Weinmanufaktur Untertürkheim, mit Blick auf seine erst vor drei Jahren bepflanzte Parzelle.

Gesunde Trauben an den Stöcken

Dennoch füllen sich die Eimer schnell. Probleme bringt die Feuchtigkeit nicht. Nur wenn mit dem Holder die vollen Zuber aus dem Weinberg gefahren werden müssen, graben sich die Reifen tief in die nasse Wiese. Die Trauben hingegen sind trocken, „einzig nach den schweren Niederschlägen rund um das vergangene Wochenende haben wir mit der Ernte ausgesetzt, weil dann die Feuchtigkeit auch in die Beeren eindringt und wir schließlich kein Wasser ernten wollen“, erklärt Strauß.

Regen sorgt für zusätzliches Aroma anstatt noch mehr Zucker

Seit gut einer Woche läuft nun die Weinlese in der Landeshauptstadt. Trotz der Hitze im Sommer und der lang anhaltenden Trockenheit „erwarten wir einen durchschnittlichen Ertrag mit guter Qualität“, freut sich Jürgen Off. Die ersten Befürchtungen aus dem Sommer haben sich nicht bewahrheitet. Die deutlich frühere Ernte musste nicht erfolgen, vielmehr hat der Regen der vergangenen Tage für eine Entspannung gesorgt. „So hat auch die physiologische Reife der Trauben noch einmal zugelegt“, weiß der erfahrene Kellermeister der Weinmanufaktur.

Durch die Feuchtigkeit stagnieren die zuletzt gegenüber den Vorjahren erhöhten Oechslegrade, wie die staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg feststellte. Soll heißen, die Reifezeit sorgt für mehr Aroma in der Frucht und lässt den für den Alkoholgehalt verantwortlichen Zuckergehalt nicht weiter anwachsen. „Die Oechslegrade sind sicher gut, aber rennen uns nicht davon“, betont Off. Ein Segen für die Wengerter.

Wengerter hoffen auf Altweibersommer

„Wir haben jetzt keinen Druck mehr“, ergänzt der neue Vorstandsvorsitzende des Collegiums Wirtemberg, Rainer Bubeck. Durch die angekündigte stabile Wetterlage in den kommenden Tagen könnten die Trauben noch besser reifen. „Die Wunschvorstellung wären 20 Grad und Trockenheit am Tag und kühle Nächte unter zehn Grad“, so Bubeck. Nach dem zügigen Start in den vergangenen Tagen mit den frühen Sorten wie zum Beispiel Grauburgunder, Sauvignon Blanc und Müller-Thurgau soll nun kontinuierlich weitergelesen werden. Ab der kommenden Woche auch mit den ersten traditionellen württembergischen Hauptsorten wie Trollinger, Lemberger und Riesling.

Haupternte voraussichtlich bis Mitte Oktober

Die Wengerter rechnen mit einer Erntezeit bis Mitte, Ende Oktober. Dennoch bleibt es auch immer ein Stück weit „ein Pokerspiel“. Bisher hat die Kirschessigfliege keine größeren Schäden verursacht, da der Schädling sich durch das heiße und sehr trockene Klima im Sommer nicht so stark wie in den Vorjahren vermehren konnte. Und auch die Fäulnis der Trauben hält sich im Rahmen. „Wir werden die Situation und die Wetterlage genau beobachten.“

Sonnenbrand der Beeren nicht so schlimm wie befürchtet

Und was ist mit dem im Sommer noch vorhandenen Sonnenbrand der Trauben? „Dieser hat sich als nicht so schlimm wie befürchtet erwiesen“, betont Bubeck. Der vor allem betroffene Lemberger habe dies gut weggesteckt und auch genügend Früchte getragen, um die befallenen Trauben frühzeitig aussortieren zu können – ohne deutliche Ernteausfälle.

Vollmundige und ausdrucksstarke Weine

Derart trockene und heiße Sommer wie im Jahr 2022 versprechen in der Regel „sehr ausdrucksstarke Rotweine“, sind sich Off und Bubeck einig. Aber auch für die Weißweine erwarten sie ein außergewöhnliches „vollmundiges Aroma“. Somit steht einem guten bis sehr guten Jahrgang nichts im Weg – trotz Sonnenbrand.