Um die Steillagen am Neckar als Kulturerbe zu erhalten, setzt das Landratsamt Ludwigsburg auf moderne Technologien. Ein digitaler Zwilling des Hochleistungsrechenzentrums der Stuttgarter Uni soll helfen.
Der Wind rüttelt an der Zeltwand, von den sommerlichen Temperaturen der letzten Tage ist nichts mehr zu spüren. Aber „es könnte auch regnen oder hageln“, sagt Claus-Peter Hutter, Präsident der Stiftung NatureLife-International. Er hat recht, selbst die kalten Füße und der trübe Himmel können die schöne Aussicht auf den Neckar und die noch kahlen Weinreben nicht vermiesen. An Bord des Schubboots Delphin sitzen Menschen, denen die Zukunft der Kulturlandschaft am Herzen liegt - beruflich wie privat. Alle sind sich der prekären Lage bewusst: um die Steillagen im Kreis steht es schlecht. Ludwigsburg ist zwar der Landkreis mit den meisten Terrassen-Steillagen. Doch statt den einst 370 Hektar sind es heute nur noch 310 Hektar.
Um die aktuelle Situation überblicken zu können, fährt eine Gruppe aus Hobbywengertern, Bürgermeistern, dem Landrat und Experten der Universität Stuttgart mit dem Boot von Marbach nach Hessigheim. „Es geht darum, aus einer ganz anderen Perspektive einen besonderen Eindruck über den in Teilen schon weit fortgeschrittenen sowie drohenden Wandel der lieb gewonnen Landschaft zu ermöglichen“, erklärt Claus-Peter Hutter. Er hat ein Projekt initiiert, das am Ende der Fahrt in der Weinmanufaktur exNicrum vorgestellt wird. Es wird die Probleme zwar nicht lösen , aber genauer aufzeigen können.
Steillagenweine rechnen sich wirtschaftlich nicht
Wirtschaftlich rechnen sich Steillagenweine nicht mehr. Das liege an der Kostenexplosion durch die Inflation, aber auch an den Personalkosten und der mangelnden Bereitschaft der Kunden, für einen regionalen Wein mehr als zehn Euro zu zahlen, sagt Herbert Müller, Mitinhaber der exNicrum Weinmanufaktur in Hessigheim. Ein Betrieb müsste von der Genossenschaft auf den Hektar ein Traubengeld von 19 000 Euro bekommen, um einer Arbeitskraft den Mindestlohn für ein Jahr zahlen zu können, rechnet sein Kollege Fabian Alber, Winzer und Kellermeister, vor. Stattdessen seien es um die 6000 Euro. Die beiden bewirtschaften auf dem Käsberg bei Hessigheim einen Hektar mediterrane Rebsorten. Der Käsberg in der Neckarschleife zwischen Mundelsheim und Hessigheim gilt als Sinnbild von Steilgärten. Und doch: Auch hier haben Winzer in direkter Umgebung seit dem vergangenen Herbst 20 Flurstücke Steillagen aufgegeben.
Damit die Steillagen in Benningen weiter gepflegt werden, bewirtschaften Wochenend- und Feierabendwengerter die Flächen. „Die Mauern können nur in Verbindung mit Reben erhalten werden“, erklärt Martin Heim, Mitinitiator des Projekts „Wengerter auf Probe“. Seine Idee: Menschen ohne Vorkenntnisse können sich ein Jahr lang um ein Stückle kümmern und werden bei jedem Schritt unterstützt: Rebschnitt, Heften, Trockenmauerbau, Rebveredlung. Pflanzenschutz sei das, was jeder brauche, aber keiner wolle, sagt Heim. Stattdessen werden die Weinhänge teils zu hohen Preisen zum Verkauf angeboten oder in Freizeitgebiete umgewandelt. Doch dagegen würde man vorgehen, versichert Landrat Dietmar Allgaier. Tiny Houses, Gerätehütten, Wochenendunterkünfte: „Wir müssen schauen, dass keine Zweckentfremdungen stattfinden.“
Virtuelle Kopie der Steillagen
Auch von Pleidelsheim in Richtung Mundelsheim wird der Verfall von Weinbergen besonders deutlich. Zwischen gepflegten Weinreben liegen immer wieder Parzellen, in denen instabile Trockenmauern von Büschen überwuchert werden. Künftig helfen soll ein „digitaler Zwilling“, ein Projekt des Hochleistungsrechenzentrum (HLRS) der Universität Stuttgart, dem Landratsamt Ludwigsburg und exNicrum. Mittels Luftaufnahmen des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg und eigenen Drohnenaufnahmen entsteht eine virtuelle Kopie der Steillagen am Neckar. Eine Analyse liefert beispielsweise Informationen über die Verbuschung, Solarpotenzial und Überschwemmungen, die Bodenbeschaffenheit und Bebauung. Damit könne man potenzielle Landschaftsveränderungen durch diverse Simulationen sichtbar machen, erklärt Professor Michael Resch, Direktor des HLRS.
Die Präsentation am Dienstag war der offizielle Startschuss des Projekts, im Herbst möchte das Team weitere Zwischenergebnisse vorstellen. Das 3-D-Modell kann später unter anderem in der sogenannten Cave, eine Box mit drei Wänden, Decke und Boden, im HLRS in Stuttgart angeschaut werden. Auf den hochauflösenden Fotos ist beispielsweise auch der Zustand von Trockenmauern erkennbar.
„Wir versprechen uns davon Erkenntnisgewinne: wo lohnt es sich Prioritäten zu setzen, wo hat der Weinbau eine Zukunft?“, sagt Landrat Dietmar Allgaier. Am Ende geht es um die Erhaltung einer jahrhundertalten Kulturlandschaft, die nicht nur die Menschen der Region, sondern auch die Touristen erfreut.
Steile Weine
Im Rahmen des Projekts „Steile Weine“ werden Winzer, die ihre Weinberge mit südeuropäischen und pilzwiderstandsfähigen Rebsorten anstelle des Trollingers neu bepflanzen, finanziell gefördert. Dafür stehen EU-Mittel zu Verfügung. Zudem werden Wege zur Vermarktung und durch die Genossenschaften und private Weingüter aufgezeigt.
Handlungsbedarf
An der Gemarkungsgrenze zu Hessigheim wurden seit dem vergangenen Herbst fast 20 Flurstücke aufgegeben. Bürgermeister Günther Pilz sieht akuten Handlungsbedarf und arbeitet mit dem Gemeinderat an einer Förderrichtlinie. „Fest steht für mich, dass Kreis und Kommunen mit konkreten Maßnahmen gefordert sind“, sagt Landrat Dietmar Allgaier. Dazu würden finanzielle Anreize und Priorisierungen bei der Erhaltung des Landschaftsbildes gehören.