Der erste Riesling der Solidarischen Landwirtschaft vom Cannstatter Zuckerle ist ein richtig gutes Gemeinschaftswerk, findet Kathrin Haasis. Vielleicht kommt dadurch der ein oder andere auf den Geschmack – und schafft künftig im Weinberg mit.
Zumindest im Weinbau neigen die Württemberger zu Sozialismus. Weil einer alleine mit seinem Weinbergle nichts anfangen konnte aufgrund der Realteilung, taten sich die Weingärtner zusammen, um ihre Trauben zu keltern. In Neckarsulm-Gundelsheim wurde 1855 eine der ersten Genossenschaften gegründet. Karl Marx würde es sicherlich gefallen, dass die Wengerter die Produktionsmittel gemeinschaftlich besitzen und für eine „gerechte Verteilung der Güter an alle Mitglieder“ sorgen. Bis heute ist Württemberg ein Genossenschaftsland, knapp drei Viertel des Weinbaus werden gemeinsam bewirtschaftet.
Neues Konzept am Cannstatter Zuckerle
Insofern müsste die neue Form der solidarischen Landwirtschaft im Land auf fruchtbaren Boden fallen. Bei dem Konzept können sich Verbraucher bei einem Bauer mit Geld oder Arbeitskraft einkaufen und werden dafür mit Naturalien entlohnt. Damit hat der Landwirt Planungssicherheit und muss nicht alles alleine machen. Florian Wachter war in Stuttgart der erste, der das Prinzip im Weinbau angewandt hat, weil er am Cannstatter Zuckerle über einen Weinberg gestolpert war, für den ein neuer Pächter gesucht wurde. Damit er nicht alleine mit seinem Weinbergle ist, sicherten ihm die Freunde Unterstützung zu. Er machte daraus eine öffentliche Unternehmung, bei der jeder mitschaffen darf, so viel er oder sie kann.
Das erste Ergebnis ist ein richtig guter Riesling
Mittlerweile ist das erste Ergebnis dieser Gruppenarbeit abgefüllt: „Wein teilen“ heißt der Riesling, den Florian Wachter für seine solidarische Landwirtschaft kelterte. Allein durch die Graspapieretiketten wirkt jede Flasche wie ein von Hand gefertigtes Unikat. Er hat ein fein-fruchtiges Aroma, riecht nach Traube, ein wenig nach Weinbergpfirsich und leicht blumig. Er ist vielschichtiger als ein klassischer Riesling, erinnert an Kräuter, hat Zitrusnoten, wirkt ein wenig wild wie die Natur, der Florian Wachter im Weinberg mehr Raum verschaffen möchte. Der Riesling sorgt mit Sicherheit für Solidarität – „unbedingtes Zusammenhalten aufgrund gleicher Anschauungen“ –, wenn es um das Öffnen einer der Flaschen geht.
Das Urteil der Weinrunde:
Holger Gayer Noch ist der Wein nicht im Gleichgewicht: Er ist säurebetont und stellt dieser Frische wenig Frucht entgegen. Etwas Lagerzeit wird ihm guttun.
Michael Weier Solidarisch bin ich beim Trinken gerne, auch wenn der Riesling eher ungewöhnlich ist. Kräutrig, leichte Pfirsicharomen, ein Individualist.
Harald Beck Ein wenig jugendlich wild ist dieser solidarische Erstling. Frische Aromen, dazu Kräuternoten. Das ist nicht typisch Riesling, aber hat was.
„Wein teilen“ Weiß 2022, 12,20 Euro, Solidarische Landwirtschaft Weinfrequenz, Stuttgart, 01 60 / 97 56 56 37. www.weinfrequenz.com