Tobias Becker stammt aus einer Musikerfamilie. Sein Vater ist Kirchenmusiker Foto: Nassal

Harter Rock und softer Pop: Die Bands und Musiker, die im Stuttgarter Norden proben, haben unterschiedliche Wünsche und Träume. Dieses Mal: Tobias Becker und seine Big-Band

Weilimdorf - Für mich gab es schon immer nur die Musik“, sagt Tobias Becker beim Gespräch im Restaurant des Theaterhauses auf dem Pragsattel. Den Lebensunterhalt verdienen mit Auftritten und Kompositionen – das war sein Traum. Und diesen Traum hat Tobias Becker verwirklicht: Seit mehr als einem Jahr ist der studierte Jazzer freier Musiker. Er komponiert, arrangiert und spielt Klavier – die Liste von Beckers Projekten ist lang: Zahlreiche CD-Produktionen, unzählige Konzerte, Pop- und Jazz-Kompositionen für Coverbands, für Solo-Künstler und für Firmen. „Aber das was mir am meisten am Herzen liegt, ist meine Big Band.“

Tobias Beckers Big-Band kann sich sehen lassen: Der 28-Jährige hat 17 Profi-Musiker aus ganz Deutschland um sich geschart, allesamt studierte Jazzer. Die Combo probt in Weilimdorf. „Aber nur projektbezogen: Also direkt vor Konzerten oder wenn wir neues Material einproben“, sagt Becker. Für Routineproben hätten die Profi-Musiker keine Zeit, zumal das auch nicht nötig sei.

Für das erste Album gab es einen Preis und gute Kritiken

Becker ist Bandleader, Pianist und Komponist – er schreibt fast alle Stücke selbst. Dieses Jahr im März hat er mit seiner Gruppe das erste Album veröffentlicht: „Life Stream“ klingt nach moderner Big-Band – ein komplexes Gewitter aus Tönen, Akkorden und Klängen. In manchen Songs swingt der Beat wie in den 20er Jahren, die Bläser klingen satt und harmonisch, in anderen Stücken fließen asymmetrische Tonfolgen in einem Stop-and-go aus komplexen Rhythmen.

Die Presse hat begeistert auf Tobias Beckers Erstlingswerk reagiert, und der junge Komponist hat damit direkt den „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ gewonnen – eine Auszeichnung auf die Becker sehr stolz ist. Seither habe sich einiges bewegt: „Wir bekommen mehr Anfragen, nächstes Jahr spielen wir hoffentlich auch auf einigen Festivals und vielleicht reicht es bald für ein eigenes Management.“ Becker ist kein Mann der gerne übertreibt, er spricht nicht ausgelassen euphorisch von der Zukunft – er bleibt sachlich und nüchtern. Er ist momentan noch sein eigener Manager und Booker. Deshalb sei es ihm besonders wichtig, größere Auftritte mit der Weilimdorfer Big-Band zu spielen. Denn als Manager sei es seine Verantwortung dafür zu sorgen, dass sich die Auftritte für alle 17 Musiker finanziell lohnten. „Die sollen ja keine Cover-Gigs absagen müssen, wenn sie da mehr verdienen.“

Am Anfang der Probe bekommt jeder seine Partitur

Fünf Saxophone, vier Posaunen, vier Trompeten, Schlagzeug, Bass, Klavier und Gitarre – damit das funktioniert, muss präzise und koordiniert geprobt werden – bei Tobias Becker ist das der Fall. „Wir sind keine Rockband; es wird nicht rumgejammt“, sagt er. Am Anfang der Probe bekomme jeder eine Partitur – und daran hielten sich dann auch alle. „Ich bin kein autoritärer Bandleader. Aber bei 17 verschiedenen Musikern gibt es 17 verschiedene Meinungen wie man alles anders noch besser spielt. Das funktioniert nicht.“ Nur kleinere Nuancen würden im Proberaum noch geändert – Dynamik, oder Phrasierung, alles andere lesen die Musiker vom Blatt.

Und das was auf dem Blatt steht – die Kompositionen, die Arrangements – an denen arbeitet Tobias Becker von zu Hause aus am Klavier, fast jeden Tag. „Ich bin da ganz altmodisch: Ich schreibe am liebsten mit Stift und Papier.“ Zumindest der Grundstock zu den meisten seiner Kompositionen entstehe so. Die Orchestrierung, also die Zuteilung der Stimmen für jedes Instrument, die erstelle er dann anschließend am Computer. „An Tagen, wo ich wirklich Druck habe, kann es schon mal sein, dass ich mich morgens um halb acht an den Schreibtisch setze, um zu komponieren“, sagt Becker.

Musikstücke schreiben ist in erster Linie harte Arbeit

Musik schreiben – das betont er immer wieder – das habe wenig mit versonnener Inspiration zu tun. Es sei vor allem harte Arbeit. „Ich setze mich nicht in die Landschaft und schreibe dann dort irgendwas auf, weil mich die Muse geküsst hat“, sagt er und lächelt. Das meiste entstehe zu Hause, wo er seine komplexen Jazz-Arrangements in mühsamer Kleinarbeit kombiniere. Was andere zum Wippen bringt, zum Tanzen, zum Träumen, das konstruiert Tobias Becker am Schreibtisch. Takt für Takt, Ton für Ton und immer die Stimmen mehrerer Instrumente im Kopf: „Als Komponist denke ich viele Melodien und Begleitungen gleichzeitig.“ Das sei völlig normal, sagt Becker, wie immer ganz nüchtern und unaufgeregt, so als rede er über eine Abrechnung oder eine Steuererklärung.

Der Grund warum er Musik mache? Emotionen. „Mit Musik kannst du Leuten Gefühle vermitteln. Und egal woher du kommst oder welche Sprache du sprichst, jeder versteht dich!“ Mit diesen Worten reicht er dem Kellner seinen leeren Salatteller und erhebt sich. Becker muss los. In weniger als einer halben Stunde soll er im Zelt neben dem Theaterhaus Klavier spielen: Als Begleitpianist für Fräulein Wommy Wonder’s Comedy Show.