Dietmar Kaschmieder (rechts) von der Weiler Flüchtlingshilfe lässt sich von seinem Schützling das Krisengebiet zeigen. Foto: factum/Granville

Ein syrisches Flüchtlingsehepaar kämpft um seine Tochter. Als Volljährige darf sie die Türkei nicht verlassen, muss dort aber wegen ihres Glaubens Repressalien befürchten. Die Weiler Flüchtlingshilfe will eine Härtefallregelung erwirken.

Weil im Schönbuch - Ibrahim S. (Name geändert) sitzt vor einem Laptop. „Das ist Afrin“, sagt der 49-Jährige und deutet auf seine Heimatstadt. Der anerkannte Asylbewerber und dessen Familie haben eine lange Leidenszeit hinter sich – und sie dauert immer noch an. Im Jahr 2015 war er mit seiner ältesten Tochter aus dem syrischen Afrin geflüchtet. Den Rest der Familie hatte er zurückgelassen, obwohl auch sie der Verfolgung durch orthodoxe Muslime und den mordenden Kämpfern des so genannten Islamischen Staats ausgesetzt waren. Die größte Gefahr aber bestand damals für die älteste Tochter: Sie hätte in Syrien zum Militär eingezogen werden können und hatte wegen es jesidischen Glaubens der Familie Repressalien zu befürchten.

Sie hat kein Geld, kann kein Türkisch und hat Asthma

Immerhin gelang es Ibrahim S. in diesem Februar, den Großteil der zurückgelassene Familie mit einem deutschen Visum zu sich nach Weil im Schönbuch zu holen, wo ihm eine Zwei-Zimmerwohnung der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurde. Die zweitälteste Tochter, die 19 Jahre alt geworden ist, darf bisher nicht aus der Türkei ausreisen, wo die Familie auf ihrer Flucht nach Deutschland einen Zwischenstopp eingelegt hatte. „Sie hat kein Geld in der Tasche, kann kein Türkisch, leidet unter Asthma und wird ärztlich nicht versorgt“, sagt Ibrahim S. „Außerdem muss sie unter den Moslems unseren jesidischen Glauben verbergen. Wir haben große Angst um sie“, fügt er hinzu.

Die Wirren der Flucht hatten bereits vor drei Jahren begonnen. Ein erster Versuch wäre beinahe tödlich verlaufen. Das Boot der Schlepper schlug kurz nach der Ausfahrt aus dem türkischen Hafen leck. Die Familie rettete sich auf eine unbewohnte Insel vor der Küste. „Wir hatten nichts zu essen und waren am Verdursten“, berichtet Ibrahim S., „wir schrieben unsere Namen auf die Jeans.“ Nach vier Tagen spürte sie die türkische Küstenwache auf und brachte sie zurück.

Hoffnung auf Hilfe – egal von wem

Ibrahim S. und dessen älteste Tochter versuchten ein zweites Mal, dieses Mal über Land nach Deutschland zu gelangen. Das war im Jahr 2015, und dieses Mal schafften die zwei es auch. Dann hieß es warten: Erst im November 2016 bekamen er und seine Tochter vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Bescheid. Sie erhielten allerdings lediglich subsidiären Schutz. „Die Entscheidung war nicht nachvollziehbar, weil die Familie aus einem Kriegsgebiet stammt“, kritisiert Dietmar Kaschmieder von der Weiler Flüchtlingshilfe. Ibrahim S. reichte Klage beim Verwaltungsgericht, das ihm im Dezember 2017 Asylrecht gewährte.

Für die Tochter in der Türkei kam das zu spät. Denn die mittlerweile 19-Jährige darf nach den derzeit geltenden Bestimmungen das Land dort nicht verlassen. Ein Familiennachzug ist für volljährige Kinder nicht möglich. „Für die Fehlentscheidung des BAMF und die Verfahrensdauer kann die Familie nichts“, sagt Dietmar Kaschmieder, der sich für eine Härtefallregelung einsetzt. Die Weilemer Asylhelfer schrieben den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) an, der vor einiger Zeit mehr als tausend verfolgte und misshandelte jesidische Frauen und Kinder ins Land geholt hat. Kaschmieder und Ibrahim S. hoffen auf Hilfe – egal von wem. Etwa auch von der Bundesregierung und dem geplanten Flüchtlingsprogramm der Vereinten Nationen – damit die 19-Jährige ein Ausreisevisum erhält.

Jesiden werden verfolgt

Heimatstadt:
Aus Afrin stammt eine Flüchtlingsfamilie in Weil im Schönbuch. Afrin ist die Hauptstadt und der Sitz des von ihr verwalteten Distrikts im Gouvernement Aleppo im Nordwesten von Syrien, der mehrheitlich von Kurden bewohnt wird. Die Stadt und Teile der Umgebung wurden im Frühjahr 2018 von türkischen Truppen besetzt.

Subsidiärer Schutz
: Der subsidiäre Schutz ist ein vorläufiger Status für Flüchtlinge, die als Asylbewerber noch nicht anerkannt sind. Sie dürfen nicht in Krisengebiete abgeschoben werden. Solange dieser Schutz gilt, ist ein Nachzug der Familie derzeit nicht möglich.

Jesiden
:
Die Flüchtlingsfamilie in Weil im Schönbuch gehört der zumeist Nordkurdisch sprechenden religiösen Minderheit der Jesiden an, die auch in der Region Afrin leben. Sie glauben nicht an Allah und werden deshalb verfolgt und ermordet, vor allem von der Terrormiliz des Islamischen Staats.