Auf dem Esslinger Mittelaltermarkt zeigen Handwerker unterschiedlicher Gewerke ihr Können. Wir stellen einige von ihnen vor. Der Zimmerer Ludwig Flittert baut etwa ein Fachwerkhaus und lädt Zuschauer zum Mitmachen ein.

Esslingen - Behutsam legt Ludwig Flittert die Finger gegeneinander und misst. Sechs Finger breit wird der Balken werden und sechs Finger hoch. So haben die Zimmerleute zu Zeiten Karls des Großen gearbeitet. Zu Zeiten des Esslinger Weihnachtsmarktes zeigt der Dresdener Zimmermann frühmittelalterliche Techniken als ein von der Stadt engagierter Schauhandwerker.

Zu Zeiten Karls des Großen wären die Männer zuvor durch den Wald gezogen und hätten nach passenden geraden Stämmen gesucht. Sie hätten sie noch grün behauen und auch grün zusammengefügt, weil man sie so leichter bearbeiten kann. Ludwig Flittert bearbeitet an seinem Stand am Kleinen Markt trockene Fichtenstämme, die er mit einer Eisenklammer auf dem Holzbock fixiert.

Genaues Arbeiten ohne Zollstock

Er zeichnet mit einem Kohlestück aus dem Baustellenfeuer ein Rechteck in den Stamm, dann spannt er mit zwei Nägeln eine Schnur und zieht der Schnur entlang einen Kohlestrich. Das wird die eine Seite des Balkens. Etwa vier Stunden dauert es, bis aus einem runden Fichtenstamm ein richtiger Balken geworden ist, nur mit der Axt. In Abwandlung von Wilhelm Tell könnte man sagen, die Axt im Haus ersetzt den teuren Maschinenpark. Das fasziniert Ludwig Flittert am Mittelalter, die Einfachheit. Es ist alles ganz simpel. Wer ein Haus bauen will, der schärft eine Axt und – schlägt zu.

Dass mit seiner Axt schon öfter zugeschlagen wurde, beweisen die Blutflecken am Stil. „Ein echter Zimmermann blutet einmal am Tag“, scherzt Ludwig Flittert. Als Schutz dient ihm nur eine Schürze, die die mittelalterlichen Zimmerleute auch hatten. Ein breites Leder um das linke Bein und lederne Stiefel.

Rhythmisch fährt die Axt ins Holz, Splitter krachen weg. Die Axt hat einen breiten Bart und eine sehr schmale Wange, denn in der Zeit Karls des Großen war Stahl teuer und musste gespart werden. Ludwig Flittert ist 24 Jahre alt und kommt aus Dresden. Auch seine Eltern bewegen sich in der Mittelalterszene und haben ihn von klein auf infiziert mit dem Spiel um Gewandung und Tradition. Tischler wie sein Vater wollte Ludwig Flittert nicht werden, „mir sind Balken lieber“, sagt er kurz und bündig.

„Die Kraft kommt von alleine“

Ludwig Flittert hat sich seine Kenntnisse der mittelalterlichen Handwerkskunst praktisch angeeignet. Während seiner Wanderjahre war er auf dem Campus Galli bei Meßkirch gewesen, wo etwa 25 Bauleute allein mit Mitteln des Mittelalters ein karolingisches Kloster nachbauen. Als Vorlage dient ihnen ein originaler Plan aus dem 9. Jahrhundert, der sogenannte „St. Gallener Klosterplan“.

Der Fichtenstamm hat wenig Äste und lässt sich deswegen gut behauen. Besucher stehen am Stand im Kleinen Markt und wärmen sich an einer eisernen Schale, in der die Holzstücke schwelen. Rauch zieht unter die Zeltplane, in der das Fachwerkhäuschen zu sehen ist, das die Zimmerleute bauen. „Es brennt immer ein Baustellenfeuer“, sagt Ludwig Flittert. Genährt wird es mit dem abgeschlagenem Holz.

Eine ältere Frau will auch mal ein paar Schläge tun. Sie sieht schnell ein, dass das schwerer ist, als es aussieht. „Man darf nicht mit Gewalt schlagen“, rät Flittert. „Kostet viel Kraft“, stellt die Frau fest. „Die Kraft kommt von alleine“, erklärt Ludwig Flittert.

Das Handwerk der Fachwerkstadt

Mit seinem Partner Mio Neu, 25, ist die eine Seite in 20 Minuten glattgehauen. Ist der Balken an allen vier Seiten fertig, wird er anschließend „abgebunden“, wie es in der Fachsprache heißt, Kerben werden gehauen für die seitlichen Streben unten und oben, die mit sogenannten Schwalbenschwänzen versehen sind, damit die Fachwerkkonstruktion die Jahrhunderte überdauern kann.

Seine Arbeit zeigt etwas Erstaunliches. Es wird klar, dass man im Mittelalter allein mit der Hand am Arm und einem einzigen simplen Werkzeug ohne Mechanik und Elektrik eine Stadt bauen konnte, so groß wie Esslingen, und wäre in wenigen Jahrzehnten damit fertig gewesen.

Lesen Sie hier das Porträt über den Steinmetz Martin Linß auf dem Mittelaltermarkt in Esslingen.