Die Weihnachtsgeschichte mal anders gelesen: Das Kind in der Krippe ist auch so eine Art Freundschaftsanfrage von Gott an die Menschen.

„Gott ist mein Freund.“ Dieses schlichte gewaltige Wort steht im Text der Kirchen-Kantate „Wohl dem, der sich auf seinen Gott“, 1724 von Johann Sebastian Bach komponiert. Eine Aussage aus ferner Zeit, aber aktuell zum Christfest. Denn Weihnachten kann man so verstehen: als Freundschafts-Ansage vom Himmel her, Gott ist ganz nahe. Und zwar allen Menschen.

Regelmäßig mit dem Näherkommen von Heiligabend denken auch wir modernen Menschen mit wachsendem Weihnachtsbehagen an das altvertraute Bild: das Kind in der Krippe, Maria und Josef daneben, Ochs und Esel. Eine ärmliche Geburt im Stall, aber überschwängliche Freude bei den Menschen. Und Glanz dabei: Ein Stern zeigt Weisen aus dem Morgenland den Weg. Engel erscheinen. Einfache Hirten kommen und staunen. Das ist Gott? Ein Kind? Ja, sagt die Weihnachtsgeschichte, hier zeigt sich Gott. Und zwar ein freundlicher Gott.

Aber ist dieses Bild, das ein freundliches, lächelndes Gotteskind zeigt, noch gültig? Kann es die Menschen bewegen oder gar trösten? Stehen dem nicht die Ereignisse dieses Jahres entgegen? Junge Terroristen, die fröhliche junge Menschen in Paris töten. Kriege in der Nachbarschaft Europas, die immer blutiger geführt werden. Ressentiments gegen Flüchtlinge, die nach Deutschland drängen. Ängste in unserem Alltag.

Es ist die alte Frage an den Glauben, an jeden Gottesglauben: Wie kann ein Gott, der das Gute will, Not und Gewalt zulassen? Ist der Zauber von Weihnachten nur ein frommer Betrug? Eine glitzernde Augenwischerei, etwas, das bestenfalls noch gut ist, um den Kindern ein schönes Märchen zu erzählen? Nein, das ist es nicht. Denn der ganze Ernst der Welt, ihr Elend und ihre Kehrseite sind in der Weihnachtsgeschichte bereits gegenwärtig. Der Schatten der Verfolgung durch Herodes, Machthaber im Palästina jener Tage, liegt bereits über der Krippe. Das Kind muss mit den Eltern in ein anderes Land fliehen, um das nackte Leben zu retten.

Jesus ist ein Freund der Außenseiter

Diese Nähe zum Elend, die Perspektive der Verfolgung und der Not, zugleich aber die Zuwendung zu den Menschen: Alles, was in der Weihnachtsgeschichte eine Rolle spielt, kennzeichnet auch das spätere Wirken dieses Jesu, der damals in der Krippe lag. Das alte christliche Bekenntnis sagt, er wurde als Mensch geboren, aber er war mehr als ein Mensch. Viel mehr als das, er war das menschliche Angesicht Gottes.

Die Evangelien erzählen im Kern genau das: Gott hat sich unter die Menschen gemischt. In der Gestalt Jesu hat er selbst miterlebt, woran die Welt leidet. Das Kind von Bethlehem wurde zum Mann. Und wendete sich immer wieder denen zu, die am Rande standen. Den Kranken, den Aussätzigen, den Verrückten, den Außenseitern. Einem Zöllner etwa, also einem, der als Verräter galt, weil er mit den römischen Besatzern zusammenarbeitete. Einer Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte. Und den damals gering geschätzten, oft ausgebeuteten und hintangesetzten Kindern.

Man mag als nicht gläubiger Mensch an vielen Einzelheiten der Jesus-Geschichten zweifeln. Aber die Zuwendung zu Außenseitern ist ein Zug, den auch Skeptiker als glaubwürdig anerkennen können. Es ist ein freundlicher Gott, voller Zuwendung, den Jesus von Nazareth verkündete. Wie es in der Kantate von Bach heißt: „Gott ist mein Schutz, mein Hilf und Rat; Wohl dem, der Gott zum Freunde hat!“

Jesus hilft ohne Bedingungen zu stellen – wie der beste Freund

Für viele Menschen heute ist dieser Jesus bestenfalls ein großer Religionsstifter, ein Philosoph. Doch die Lehre, sprich: das, was Jesus über Gott erzählt hat, ist nur die eine Seite. Die andere ist verblüffend praktisch. Jesus hat immer wieder gehandelt. Für die Menschen. Er half rasch und flexibel. Überall, wo er konnte. Und er stellte keine Bedingungen. Eben wie ein bester Freund.

Hilfe kommt, wo sie nötig ist, wo einer Jesus darum bittet – diese Situation findet sich immer wieder in den Evangelien. Doch Jesus ist mehr als ein Helfer. Er will Vertrauen in Gott wecken und festigen. Das ist die einzige Voraussetzung: Vertrauen in den Helfer. Das ist der Kern der göttlichen Freundschaft. Dafür gibt es noch einen anderen Namen: Glauben. Die Freundschaft vom Himmel her hat nichts mit Facebook-Freundschaft zu tun und ist auch keine Kumpanei. Freundschaft mit Gott ist nicht mit einem bloßen Eintrag in sozialen Medien zu haben. Der Mensch soll vertrauen und offen werden. Sich öffnen für die Erfahrung, dass die Macht, die über der Welt ist, auch mitten im Leben wirken kann, wenn man sie lässt.

Es ist kein Gott, der immer automatisch hilft. Aber ein Gott, der alle Wege mitgeht, auch die schwierigen und bitteren. Das Ende Jesu ist bekannt, die Gefangennahme, die Verurteilung, der Tod am Kreuz. Kein menschliches Leid ist Gott fremd geblieben.

Damals war es das Leid von Opfern der römischen Militärmacht. Heute ist es das Leid von verfolgten, geschundenen, gefolterten, grausam umgebrachten Opfern von Gewalt. Ja, auch religiös motivierter oder verbrämter Gewalt. So etwa vor einigen Wochen bei den Terroranschlägen in Paris.

Das Kind in der Krippe – ein Bote der Freundschaft

Kann das Bild der friedlichen Geburt Jesu da überhaupt noch Hoffnung bieten? Ja, denn die ursprüngliche Botschaft weist nicht den üblichen Weg. Sie verweigert sich dem jahrtausendealten Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt. Kein dreinschlagender Held wurde in Bethlehem geboren, sondern ein hilfloses Kind in der Krippe, ein Bote der Freundschaft. Für den, der diese alte Überlieferung als wahr annimmt, ist das ein Versprechen, dass Gewalt nicht das letzte Wort hat.

Vor wenigen Tagen setzte Antoine Leiris, dessen Frau bei den Anschlägen in Paris getötet wurde, ein Zeichen in diese Richtung. Er stellte einen offenen Brief an die Attentäter und ihre Gesinnungsgenossen ins Netz, der in dem Gelöbnis gipfelt: „Meinen Hass werdet ihr nicht bekommen . . .“ Dafür steht auch das Kind in der Krippe. Es vermittelt die tröstliche Hoffnung, dass Gott wirklich ein Freund der Menschen sein will.