Foto: AP

Wer in diesen Vorweihnachtstagen in einem der großen Supermärkte der türkischen Metropole Istanbul einkauft, kommt sich nicht unbedingt vor wie in einem muslimischen Land.

Istanbul - Wer in diesen Vorweihnachtstagen in einem der großen Supermärkte der türkischen Metropole Istanbul einkauft, kommt sich nicht unbedingt vor wie in einem muslimischen Land. Handlich verpackte Kunststoff-Weihnachtsbäume, roter und goldener Weihnachtsschmuck sowie Kerzen und Adventskränze teilen sich die Regale mit Schokoladen-Nikoläusen und -Rentieren. In einigen Geschäften in der Türkei findet der interessierte Kunde derzeit sogar Reizwäsche im roten Satin-Weihnachtsmanndesign, komplett mit neckischer Bommelmütze.

Was ist bloß in die Türken gefahren? Muslime verehren Jesus von Nazareth zwar als Propheten, doch als Erlöser, dessen Geburtstag mit großem Brimborium zu feiern ist, sehen sie ihn nicht. Die Weihnachtsfeiertage sind in der Türkei normale Arbeitstage.

Es ist nicht der theologische Aspekt des Weihnachtsfestes, der die Türken zum Christbaumschmuck treibt. Vielmehr stürzen sie sich mit Eifer auf die kommerziellen Angebote. Um nicht in den Verdacht zu geraten, den Propheten einer anderen Religion anzubeten, nennen die Türken das Weihnachtsfest einfach ein wenig anders: "Neujahrsfest" heißt das hierzulande.

Deshalb sind die Plastiktannen in den Supermärkten laut Kassenbon auch keine Weihnachtsbäume, sondern schlicht "Neujahrsbäume". Und Weihnachtsgeschenke heißen eben "Neujahrsgeschenke".

Die Tatsache, dass so manches weihnachtliche Schmuckmotiv wie Engel oder Glocke auf eine andere Religion als ihre eigene hinweist, stört viele Türken offenbar nicht. Unter dem religionsfreien Motto des "Neujahrsfestes" lässt sich fast alles verkaufen, auch ohne weiteres Sex-Unterwäsche. Ilknur Bulut von der Textilfirma Oytun Tekstil berichtete türkischen Medien von einem regelrechten Boom beim Verkauf von roten Boxershorts.

Ähnlich wie in Deutschland und anderen westlichen Staaten ist das Weihnachtsgeschäft - oder Neujahrsgeschäft - in der Türkei zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Viele große Unternehmen haben Neujahrs-Kampagnen gestartet, um die Verkäufe anzukurbeln.

Eine Elektronikkette verspricht allen Kunden bei einem Einkauf zwischen 200 und 500 Lira (90 bis 230 Euro) einen stark verbilligten Obst-Mixer, "den Sie Ihrer Mutter oder Ehefrau schenken können", wie es in der Werbung des Unternehmens heißt. Die Filialen eines Modehauses beschenken die Inhaber von Kundenkarten bei jedem Einkauf von mehr als umgerechnet 113 Euro mit einem Gutschein über 45 Euro. Sollte der Verbraucher nicht genug Geld auf dem Konto haben, um all die verlockenden Sonderangebote nutzen zu können, ist das auch kein Problem. Mehrere Banken bieten aus Anlass des Neujahrsfestes verbilligte Kredite an.

Frommen Muslimen wird angesichts der Popularität des christlichen Weihnachtsfestes in der Türkei schon mulmig. Wer Weihnachten oder Ostern feiere wie die Christen, sei gottlos, warnte "Dinimizislam", eine islamische Internet-Seite. Zudem dürften sich die Muslime nicht an der schändlichen Abholzung ganzer Wälder für die Weihnachtsbaumindustrie beteiligen.

Selbst von Grußkarten für christliche Bekannte zu Weihnachten sollte der Muslim Abstand nehmen, riet "Dinimizislam". Überhaupt sei der Muslim gut beraten, an Weihnachten so zu tun, als ob nichts wäre. "Dieser Nacht darf keine besondere Bedeutung gegeben werden", hieß es mit Blick auf den Heiligen Abend. Auch das staatliche Religionsamt der Türkei, dem alle 80.000 Moscheen und alle Imame im Land am Bosporus unterstehen, warnte die Muslime in den vergangenen Jahren in offiziellen Erklärungen vor allzu großer Nähe zum Weihnachtsfest. Wenngleich im Westen heutzutage der kommerzielle Aspekt des Festes im Vordergrund stehe, handele es sich "im Kern um ein rein religiöses Fest". Sollten die Muslime das Weihnachtsfest übernehmen, leiste dies einer Entfremdung Vorschub und spiele außerdem "der christlichen Missionsarbeit" in die Hände, warnte die Behörde.

Dabei hat die kleine christliche Minderheit in der Türkei, die vor allem aus Armeniern und Griechen besteht, mit dem Weihnachts- oder Neujahrsrummel der muslimischen Türken nichts zu tun. Die Armenier feiern das Weihnachtsfest ohnehin erst am Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar.