Der typische Weihnachtsmann wird meist dargestellt als rundlicher, freundlicher alter Herr mit langem weißem Rauschebart, rotem und mit weißem Pelz verbrämten Gewand. Foto: dpa

Soll man Kindern die Geschichten vom Weihnachtsmann und Christkind erzählen, obwohl sie nachweislich nicht der Realität entsprechen? Der Tübinger Theologe Michael Schüßler über Sinn und Unsinn von Märchen und Mythen.

Tübingen - „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben. Bunter Lichter, Silberzier, Kind mit Krippe, Schaf und Stier, Zottelbär und Pantertier möcht ich gerne haben.“

Harmlos-fröhliche Liedchen wie dieses sind zu Weihnachten bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt. Mit der historischen-kritischen Wahrheit haben sie es nicht so genau. Ist das ein Problem? Ein Gespräch mit Michael Schüßler, Professor für Pastoraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

Weihnachten wird als sehr kindliches Fest gefeiert

Herr Schüßler, die Geschichten vom Weihnachtsmann, Christkind und Osterhasen gehören zum Standardrepertoire der Erziehung. Wie sinnvoll sind solche Geschichten für Kinder und ihre Entwicklung?

Sie müssen altersgerecht sein und entsprechend erzählt werden. Es gibt ein Alter, in dem Kinder wahnsinnig gerne solche Geschichten hören. Ihnen dann mit Aufklärung zu kommen, verkennt, was Kinder in diesem Alter wirklich brauchen. Allerdings muss das, was man auch religiös über die Welt weiß und was erzählt wird, mitwachsen. Wenn ich Zehn- oder Zwölfjährigen die Geschichte vom Weihnachtsmann immer noch so erzähle, wie sie für Fünf- und Sechsjährige gut und sinnvoll ist, dann habe ich ein Problem. Und auch die Kinder haben dann ein Problem.

Inwiefern?

Als Erwachsener habe ich das Problem, wie ich die Botschaft, die in diesen Geschichten verborgen ist, vermittle. Die Kinder wiederum haben ein Problem, weil sie mit einem – auch religiösen – Wissen groß werden, das ihnen auf ihre Fragen irgendwann keine Antworten mehr gibt.

Gibt es ein Alter, in dem Eltern aufhören sollten, ihren Kindern vom Weihnachtsmann zu erzählen? Anders gefragt: Wann ist die Zeit für Aufklärung?

Das müssen Eltern selbst herausfinden. Kindern werden die Geschichten, mit denen sie aufgewachsen sind, irgendwann fremd. Das heißt aber nicht, dass man Kindern solche Geschichten nicht erzählen sollte. Allerdings müssen sich die Erzählformen dem Alter der Kinder anpassen.

Muss man in diesem Zusammenhang nicht selbstkritisch unseren Umgang mit Weihnachten hinterfragen?

Weihnachten wird als sehr infantiles, kindzentriertes Fest gefeiert. Wir müssen uns fragen, ob es noch andere narrative Formen gibt, um die Botschaft von Weihnachten zu vermitteln.

Sie sprechen von Märchen . . .

. . . in denen genauso wie in biblischen Erzählungen ein Stück existenzieller Wirklichkeit steckt, die in ein Narrativ verpackt ist. Das auszupacken ist immer Teil von jeglicher Begegnung mit solchen Geschichten.

Auch Erwachsenen sehnen sich nach Mythen

Nicht nur Kinder, auch Erwachsene haben ihre Schwierigkeiten mit der Entmythologisierung.

Das stimmt. Wie Kinder haben auch Erwachsene die Sehnsucht nach Mythen und Erfahrungen, die jenseits von Rationalität sind. Wir glauben Erzählungen, obwohl wir wissen, dass sie wahrscheinlich nicht stimmen, weil sie für uns momentan richtig und wichtig sind. Man muss um und nicht gegen die Mythen kämpfen. Vor allem muss man nach Wegen suchen, sie richtig zu erzählen. Mythen, die das Leben zerstören, es klein und eng machen, sind gefährlich. Das gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene.

Der Nikolaus, oft im Duett mit Knecht Ruprecht, wird bis heute als Erziehungshelfer eingesetzt. Was halten Sie davon?

Das ist hochproblematisch, weil der historische Bischof Nikolaus von Myra für die Rechte von Kindern eingetreten ist. Die Erzählungen, die sich um diesen kirchlichen Heiligen ranken, sind nie harmlos oder banal.

Kommt es darauf an, solche Geschichten auf die „richtige“ Weise zu erzählen?

Aus der Verantwortung, was wir aus diesen Geschichten machen und wie wir sie erzählen, kann uns niemand entlassen. Es ist eine Katastrophe, wenn mit diesen Geschichten das Verhalten von Kindern bewertet wird, weil in ihnen etwas zutiefst Befreiendes steckt.

Weihnachten und fremde Autoritäten

Der heilige Nikolaus war also in Wirklichkeit ein Befreiungstheologe. Wie kann man Kindern Märchen und Realität gleichermaßen nahebringen?

Eltern erleben in der Erziehung häufig, dass sie ohnmächtig sind und Kinder Dinge machen, die sie als Eltern nicht im Griff haben. Dann kommt Weihnachten und wir stellen den Kindern eine Autorität von außen vor, die alles wieder richten soll. Das hat nichts mit den Geschichten zu tun, die über den Bischof Nikolaus erzählt werden. Das hat auch nichts mit den real existierenden Erziehungsproblemen zu tun. Denn die löse ich nicht, indem ich fremde Autoritäten hole und diese auch noch religiös legitimiere.

Als Kind war es für mich immer das Schönste am Weihnachtsfest, dass sich meine Mutter Zeit nahm, um mir Geschichten zu erzählen – wie etwa die von Peter Rosegger „Als ich noch der Waldbauernbub war“.

Solche Geschichten zu erzählen setzt aber voraus, dass Eltern auch Zeit haben sie zu erzählen. Das wird schon schwierig bei einer Mutter mit drei Minijobs.