Das Ritual: An Heiligabend gibt es Kalbszunge Foto:  

Rituale sind wichtig! Deshalb gibt es bei unserem Weinkolumnisten Michael Weier an Weihnachten auch immer guten Wein – und an Heiligabend dann Kalbszunge! Damit will er seinem Sohn (4) ein ganz besonderes Geschmackserlebnis bieten. Und später einmal nette Erinnerungen.

Stuttgart - Jedes Jahr die gleiche Geschichte. In den Monaten vor Weihnachten nehme ich mir vor, dass in diesem Jahr alles anders wird. Und dann wiederholt sich alles wie bei diesem schönen Film: Und täglich grüßt das Murmeltier. Huch, plötzlich sind die Feiertage ganz unerwartet da!

Heute ist Heiligabend, meine gesamte Vorbereitung auf Weihnachten darf als mangelhaft bezeichnet werden. Dennoch lehne ich mich nun ruhig zurück, den Baum und die Geschenke für die Kinder habe ich, alles andere ist nachrangig. Und die Kalbszunge liegt im Kühlschrank, natürlich. Die ist sehr wichtig. Denn wir haben uns vor zwei Jahren mal überlegt, welches Essen wir denn an Heiligabend zum Ritual werden lassen. Kalbszunge mit Spätzle hat das Rennen gemacht. Die Zunge kaufe ich gekocht, man muss nur noch die Spätzle machen. Dieses Gericht trifft nämlich ganz gut einige meiner Voraussetzungen für ein gelungenes Heiligabendessen: es darf wenig Aufwand bereiten, damit zwischen Kinderkirche, Singen und Bescherung kein Stress aufkommt. Zweitens muss es etwas ganz Besonderes und nicht alltägliches sein. Und Drittens sollte ein guter Rotwein dazu passen, das ist mein persönliches Kriterium, schließlich gönne ich mir an diesem Abend auch gerne etwas.

Die Kalbszunge passt sich an – sowohl an einen alten Bordeaux, als auch einen jungen Spätburgunder. Ich schätze aber, ich werde einen Cabernet-Sauvignon aus dem Keller holen, den wir vor zehn Jahren aus Südafrika (damals im Handgepäck) mitgebracht haben – inklusive der Erinnerungen an das herrliche Weingut von Erni Els mit dem perfekten Ausblick über die wunderschöne Landschaft in Franschhoek.

Natürlich könnte ich auch eine Flasche vom eigenen Lemberger öffnen. Aber das würde mich vermutlich an meine eigene Unzulänglichkeit erinnern. Daran, dass ich meinen Weinberg nicht fertig gekriegt habe – die Pfosten liegen immer noch rum, während die Nachbar so fleißig waren. Eine Schande, aber im Trubel der letzten Wochen fand sich einfach keine Zeit. Und wenn ich dann so am Nachdenken wäre, würden mir vermutlich noch einige Dinge einfallen. Aber damit belaste ich mich nicht. Im neuen Jahr wird alles besser, ich schwöre es!

Heute freue ich mich am Lichterglanz, am strahlenden Blick des Sohnes. Und ich freue mich auf den Tag, wenn er ungefähr 15 oder 17 Jahre alt ist, an dem er etwas Moderneres als Festtagsessen fordern wird. Oder womöglich Vegetarisches oder Veganes will! Spätestens mit 30 Jahren wird er bei jeder Kalbszunge immer an Weihnachten denken müssen – und dann wieder mit einem wohligen Gefühl. Das ist ein richtig guter Gedanke – und darauf stoße ich an!