Francesco Blandini, Erik Tobien und Jonas Bosch (von links) sind potenziell von der Wehrpflicht betroffen. Foto: Lichtgut

Die Wehrpflicht soll wieder eingeführt werden, so die Union. Debattiert wird viel. Doch diejenigen, die es betrifft, kommen kaum zu Wort. Was sagen Stuttgarter Jugendliche dazu? Drei Protokolle.

Es ist etwa ein Jahr her, da liegt im Briefkasten von Erik Tobiens Familie eine ungewöhnliche Postkarte. Adressiert ist sie an den 17-jährigen Stuttgarter, auf der Vorderseite steht, in Großbuchstaben, sein Nachname. Der Rest des Papiers ist in Camouflage bedruckt. Die Karte suggeriert: Das könntest du sein – in einer tarnfarbenen Uniform, mit deinem Namensschild drauf, im Dienste der Bundeswehr.

 

Natürlich ist das keine Einberufung, sondern nur eine Einladung zum Tag der offenen Tür der Bundeswehr. Aber die Postkarten sind Sinnbild für die aktuelle Debatte zur Wehrpflicht. 60 000 Soldaten fehlen der Bundeswehr derzeit, und junge Menschen sollen diese Lücke füllen. Die Union fordert ein verpflichtendes Dienstjahr für Männer und Frauen, die SPD setzt auf Freiwilligkeit – und will bei Männern per verpflichtendem Fragebogen klären, wer sich den Dienst vorstellen kann.

Diskutiert wird also viel. Wer dabei nicht zu Wort kommt, sind diejenigen, die eine Wehrpflicht tatsächlich beträfe. 16-, 17- und 18-Jährige, die sich gerade überlegen, wo ihr Leben hingehen soll. Wie nehmen sie die Debatte wahr? Drei Protokolle.

Gedanke der Kriegstüchtigkeit ist „gewöhnungsbedürftig“

Erik Tobien fällt es schwer, sich in der Debatte klar zu positionieren. Foto: Lichtgut

Dieser Gedanke, dass Deutschland wieder den „Status einer Kriegs- oder Wehrtüchtigkeit erreichen muss“, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius es formuliert hat, ist für mich wirklich gewöhnungsbedürftig. Für meine Generation, die in einer Zeit des nahezu absoluten Friedens aufgewachsen ist, kommt es jetzt erst einmal einem Schock gleich, mit solchen Szenarien überhaupt konfrontiert zu werden. Denn bis zum Angriff auf die Ukraine bestand ja die behagliche Illusion, dass Kriege in Europa der Vergangenheit angehören.

Sollte man also versuchen, dem Ganzen aus dem Weg zu gehen? Oder in die komplett gegensätzliche Richtung gehen und einen freiwilligen Dienst absolvieren, falls die Wehrpflicht nicht kommen sollte? Mir fällt es schwer, diese Fragen zu beantworten. Jeder Betroffene wird das früher oder später mit sich selbst aushandeln müssen.

Im Falle der Landesverteidigung wäre ich wahrscheinlich bereit, für meine Heimat einzustehen. Wobei die Wahl dann ja nicht mehr bei mir liegen würde, die Wehrpflicht im Kriegsfall ist bekanntlich im Grundgesetz verankert. In fremden Ländern stationiert zu werden – wie etwa in Litauen, wo vor kurzem die Panzerbrigade 45 „Litauen“ der Bundeswehr geschaffen wurde – das würde ich hingegen nicht wollen. Andererseits wäre es aber auch wünschenswert, dass ebenjene Bündnispartner im unwahrscheinlichen Fall eines direkten Angriffs auf Deutschland ihren Verpflichtungen nachkämen. Wäre meine Haltung allgemeiner Konsens, so würde sie also zwangsläufig in eine sicherheitspolitische Zwickmühle führen.

Das Notwendigste muss für die Eingliederung gegeben sein

Wenn die Wehrpflicht kommen sollte, muss jedenfalls das Notwendigste für eine gute Eingliederung der neuen Rekruten gegeben sein. Ein Jahr lang, im übertragenen Sinn, „die Stube zu fegen”, fände ich nicht nur nicht sinnvoll, es käme auch dem selbst ernannten Ziel der „Wehrtüchtigkeit” nicht ausreichend nach. Hinzu kommt die notorisch schlechte Versorgungslage der Bundeswehr bei notwendiger Ausrüstung. Die gegebenen Kapazitäten müssten also vernünftig ausgeschöpft werden.

Deswegen frage ich mich bei der Debatte häufiger, ob die aktuelle Infrastruktur eine Wehrpflicht überhaupt hergibt – zumal die zuständigen Ämter für die Musterung in der Form gar nicht mehr existieren. Bevor jetzt also mit der Musterung der jungen Jahrgänge begonnen wird, sollten die Verantwortlichen in der Politik dringendst alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um diesen Prozess so reibungslos wie nur möglich ablaufen zu lassen.

Erik Tobien (17) ist Schüler am Wilhelms-Gymnasium in Stuttgart-Degerloch. Er interessiert sich für das aktuelle Weltgeschehen und dessen geschichtliche Einordnung.

„Die Bundeswehr erweckt bei mir den Eindruck, ich bleibe stehen“

Francesco Blandini hält eine europäische Armee für sinnvoller als eine nationale. Foto: Lichtgut

Ich persönlich wäre nie auf die Idee gekommen, zum Bund zu gehen. Denn wenn man Lebensentscheidungen trifft, sollten sie ja irgendwie sinnstiftend sein – sodass ich das Gefühl habe, im Leben voranzukommen. Die Bundeswehr erweckt bei mir aber immer den Eindruck, ich bleibe stehen. Nach einem Jahr beim Bund kann ich vielleicht mit einer Waffe umgehen, aber das ist keine Fähigkeit, auf der ich später aufbauen kann. Das bringt mich nicht weiter.

Außerdem: Jetzt eingezogen zu werden, wäre für meinen Lebenslauf total nervig. Ich müsste mein Studium und meine politische Aktivität unterbrechen, die ist nämlich an meinen Wohnort gebunden. Aber selbst wenn es mich nicht mehr trifft, stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen hat das für die Jahrgänge nach mir? Denen gegenüber hätte ich plötzlich einen riesigen Wettbewerbsvorteil, weil sie ein Jahr weniger Erfahrung haben als ich, obwohl sie gleich alt sind.

Junge Menschen fühlen sich nicht gehört

Das Gefühl, das bei den jungen Menschen dadurch ankommt, ist: „Ah, jetzt kriegen wir’s schon wieder ab.“ Bei Corona: Wir kriegen es ab. Beim Klima: Wir kriegen es ab. Bei der Rente: Wir kriegen wir es ab. Natürlich könnte man jetzt sagen, das ist Demokratie, es leben nun einmal mehr ältere als junge Leute Menschen in diesem Land, aber es fühlt sich trotzdem schlecht an. Es ist eine Debatte, die alte Leute mit mittelalten Leuten führen, die beide nicht davon betroffen sind. Dann darf sich keiner wundern, wieso junge Menschen, die sich von der Politik nicht gehört fühlen, extreme Parteien wählen.

Ich will damit aber nicht sagen, dass wir nicht verteidigungsfähig sein sollten. Das stelle ich überhaupt nicht infrage. Es wäre doch viel sinnvoller, wenn man das Ganze als gesamteuropäisches Projekt aufzieht. Es ist viel teurer und ineffizienter, jede Armee national einzeln zu vertreten. Zumal es ja schon einen europäischen Freiwilligendienst gibt (als Pendant zum deutschen Zivildienst, Anm. der Redaktion). Ich hätte mehr Verständnis für eine europäische Armee – auch im Sinne des europäischen Gedankens.

Franceso Blandini (18) studiert in Stuttgart Politikwissenschaft und Kunst auf Lehramt. Er ist Mitglied im Stuttgarter Jugendrat, Vertreter des Gremiums in den Sitzungen des Gemeinderats und Sprecher des Jugendrats Stuttgart-West.

„Ich persönlich finde die Idee eines Pflichtjahres gut“

Jonas Bosch sieht auch Vorteile in einer Wehrpflicht. Foto: Lichtgut

Ich persönlich finde die Idee des Pflichtjahres gut, weil ich glaube, dass man dabei viel mitnehmen kann. Es muss ja nicht unbedingt ein Dienst an der Waffe sein, es geht auch um den Sozialdienst. Mich damit zu befassen, was ich für meine Gesellschaft tun kann, kann mir ja auch viel zurückgeben.

Ob ich tatsächlich einen Wehrdienst absolvieren wollte, kann ich wahrscheinlich erst sagen, wenn mir die Entscheidung unmittelbar bevorsteht. Aber die Bundeswehr ist ja heutzutage nicht mehr nur Dienst an der Waffe. Und ich glaube, es ist ein Vorteil, wenn man sich ein Jahr lang intensiv damit beschäftigt, was mein Land für mich bedeutet. Was bin ich bereit zu tun für die Sicherheit, die sich unsere Vorfahren erkämpften? Und für diese stabile Demokratie, die wir aktuell noch haben? Zu sehen, wie die Bundeswehr von innen funktioniert, ist vielleicht auch eine Möglichkeit, mit dem einen oder anderen Vorurteil aufzuräumen.

Anreize für junge Menschen schaffen

Anderseits glaube ich, dass das Jahr in der heutigen Zeit, in der man sich relativ schnell entscheiden muss, was man mit seinem Leben machen möchte, auch ein Nachteil sein kann. Besonders, wenn die jungen Menschen nicht aus wohlhabenden Familien kommen – und nicht das Privileg haben, lange nach ihrem beruflichen Weg zu suchen.

Zumal wir Jugendlichen ja sowieso viel länger arbeiten und um unsere Renten fürchten müssen. Mir wäre es deshalb wichtig, dass man sich für die Zeit Rentenpunkte anrechnen lassen kann. Und wenn es beim freiwilligen Wehrdienst bleibt, wäre es sicher auch motivierend, wenn diejenigen, die ein Jahr geleistet haben, einen verbesserten Zugang zu Studienplätzen bekämen. Ich denke, dass solche Anreize die Akzeptanz für einen Wehrdienst steigern könnten.

Jonas Bosch (17) besucht das Wilhelms-Gymnasium in Stuttgart-Degerloch und ist Mitglied im Stuttgarter Jugendrat.

Dieser Artikel erschien erstmals am 23. Juni 2025 und wurde aus aktuellem Anlass am 15. Oktober aktualisiert.