Foto: Heinz Heiss

Hinter der Weissenhofsiedlung am Killesberg steckt ein besonderes Credo des modernen Bauens.

S-Nord - Ein weißer Quader, der schwerelos über dem Osthang des Killesbergs schwebt, Einbaumöbel aus Stahlbeton, eine nackte Glühbirne: Effizienz ist die Reduktion auf das unbedingt Nötige, und was effizient ist, ist auch schön. So lautete das Credo des Neuen Bauens, welches in den 1920er Jahren von Deutschland ausgehend seinen Siegeszug um die Welt antrat. Die Stuttgarter Weissenhofsiedlung ist eines seiner bedeutendsten Exponate.

Im Sommer 1927 zeigte der Deutsche Werkbund mit seiner Ausstellung „Die Wohnung“ die erste geschlossene Präsentation des Neuen Bauens, oft fälschlicherweise als Bauhausstil bezeichnet. Die Gewerbehallen in der Stadtmitte präsentierten die Einrichtung der Wohnung, die städtischen Ausstellungshallen zeigten die „Internationale Plan- und Modellausstellung Neuer Baukunst“, während am Weissenhof neben einem Experimentiergelände, auf dem Baustoffe und neue Konstruktionssysteme demonstriert wurden, 21 Häuser als begehbare Exponate errichtet wurden. Allerdings handelte es sich dabei nicht um temporäre Ausstellungsbauten, sondern um Häuser, die im Rahmen des Wohnungsbauprogramms der Stadt Stuttgart errichtet wurden, um nach dem Ende der Ausstellung vermietet zu werden.

Die Stuttgarter waren nicht begeistert

Bis dahin war es jedoch ein steiniger Weg. Zunächst sollten progressive Architekten um den Vizepräsidenten des Deutschen Werkbundes Ludwig Mies van der Rohe mit den konservativeren Baumeistern der Stuttgarter Schule zusammenarbeiten. Das konnte nicht gut gehen. Nachdem deren führender Kopf Paul Bonatz den Bebauungsplan seines Kollegen mit den Worten beschimpft hatte, er erinnere „eher an eine Vorstadt Jerusalems als an Wohnungen für Stuttgart“, kam es zum Bruch zwischen den Beteiligten.

Schließlich bauten einige der bedeutendsten Vertreter der Avantgarde wie Le Corbusier, Mart Stam, Hans Poelzig, Adolf Rading, Walter Gropius, Bruno und Max Taut, Peter Behrens und Hans Scharoun. Deren Bauten lockten eine halbe Million Besucher nach Stuttgart. „Nur die Stuttgarter waren nicht begeistert“, sagt die Architektin und Architekturhistorikerin Inken Gaukel. „Aber die Mieten waren günstig, die Aussicht war schön und so wurde die Siedlung schließlich halbherzig angenommen.“ Bis auf das Doppelhaus von Le Corbusier, das erst zwei Jahre nach Ende der Ausstellung zum halben Preis vermietet werden konnte.

Zweckmäßige Erfüllung der Bedürfnisse

Das ist auch kein Wunder. Besonders radikal hat der Schweizer Avantgardist hier Effizienz und Normierung als Prinzipien industrieller Architektur umgesetzt. Schließlich sollte das Neue Bauen dem neuen Menschen dienen und der war vor allem mobil. An allen Orten der Welt die gleichen Typen möblierter Häuser vorzufinden, wäre da schon praktisch, war der Gedanke. Da alle Menschen dieselben Bedürfnisse haben und da die zweckmäßigste Erfüllung dieser Bedürfnisse zugleich die schönste ist, müssen schließlich auch alle Menschen das gleiche schön finden, so die Theorie, an die der Baumeister offenbar wirklich glaubte. Der jederzeit mögliche Umzug mit zwei Koffern würde zugleich die geistige Freiheit erhöhen. „Das war nicht nur Architektur, sondern eine neue Gesellschaftsvision“, sagt Inken Gaukel.

Um den vorhandenen Platz optimal zu nutzen, ersann Le Corbusier multifunktionale Grundrisse, bei denen derselbe Raum nachts als Schlafzimmer und tags als Wohnzimmer diente. Ein standardisiertes Bett, das tagsüber im Einbauschrank, einem schlichten Klotz aus Stahlbeton, verstaut wird, drei Stühle und ein Tisch, die zwischen Tag und Nacht mit einem Handgriff verschoben werden. Eine normierte Wohnung für den normierten Menschen der modernen Massengesellschaft ohne individuelle Einrichtungswünsche. Nur der normierte Mieter war bis heute nicht zu finden. Stattdessen hat das Weissenhofmuseum in Le Corbusiers Bau seinen Sitz.