In 14 Jahren hat Sergio Marchionne den Autobauer vom Abgrund weggezogen und zu neuem Glanz verholfen. Nach einer Schulter-Operation kam es zu schweren Komplikationen. Seine Posten wurden am Wochenende neu besetzt.
Rom/Turin - Er steht auf der Bühne und zieht den Reißverschluss seines schwarzen Pullovers auf. Darunter trägt Sergio Marchionne ein kariertes Hemd und: Eine blaue Krawatte. Wenn er es schaffe, Fiat bis Ende 2018 schuldenfrei zu bekommen, werde auch er zu einem solchen Accessoire greifen, hatte er einst versprochen. Am 1. Juni war es soweit. Doch nur wenige Wochen später gibt es einen Wechsel an der Spitze von Fiat Chrysler (FCA).
Am Samstag verkündete der Konzern, dass Sergio Marchionne von all seinen Ämtern zurücktritt. Die Sorge um den Manager ist aus den Statements deutlich herauszulesen. Marchionne hatte sich Ende Juni in Zürich einer Operation an der rechten Schulter unterzogen. In der vergangenen Woche war es zu unerwarteten Komplikationen gekommen, der Gesundheitszustand des 66-Jährigen verschlechtere sich zunehmend, heißt es in der Mitteilung von FCA. Laut Medienberichten liegt Marchionne noch immer im Universitätsspital Zürich. Die Zeitung „Corriere della Sera“ berichtet, er könne nicht selbstständig atmen und zeige keine Reaktionen mehr. Marchionne hatte geplant, bis 2019 auf seinen Posten bei Fiat Chrysler zu bleiben. Bei Ferrari, dessen Präsident und Vorstandschef Marchionne bis zum Wochenende ebenfalls war, war eine Ablösung dagegen vorerst nicht geplant.
John Elkann, Angehöriger der Industriellen-Familie Agnelli, die die Mehrheit an der Fiat-Gruppe hält, wandte sich am Sonntag per E-Mail an die Mitarbeiter des Konzerns. „Das ist ohne Zweifel der schwerste Brief, den ich je schreiben musste“, schreibt Elkann, Fiat-Präsident und nun Nachfolger Marchionnes im Amt des Präsidenten von Ferrari. „Ich habe ihn in einem der dunkelsten Momente der Geschichte von Fiat kennengelernt und dank seines Intellekts, seiner Konsequenz und seiner Führungsqualität haben wir es geschafft, die Firma zu retten“, schreibt er über Machionne, der als Workaholic gilt.
Marchionne rettet Fiat vor der Pleite
Marchionne wird 2004 Verwaltungsrat-Vorsitzender von Fiat und rettet den italienischen Autobauer in den kommenden Jahren vor der Pleite. Zunächst verhandelt er mit General Motors (GM) und erreicht, dass sich der amerikanische Autobauer für 1,55 Milliarden Dollar (knapp 1,3 Milliarden Euro) aus einer im Jahr 2000 unterschriebenen Verpflichtung, Fiat zu übernehmen, freikauft. Mit dem Geld geht Marchionne die Sanierung des Konzerns an. Er richtet ihn neu aus, baut die Bürokratie ab und halbiert die Entwicklungszeiten für neue Modelle. Er verspricht, die Arbeitsplätze in den italienischen Fabriken zu halten und macht Italien zum Drehpunkt der Produktion von Premium-Modellen. In der FCA-Fabrik im süditalienischen Melfi werden die Exportschlager Fiat 500X und der Jeep Renegade produziert, der erste Jeep, der in Europa hergestellt wird.
Ein weiterer Erfolg Marchionnes ist die Wiederbelebung der Marke Alfa. „Gruppen von Ingenieuren verbringen Wochen in geheimen Hallen auf dem Land und kreieren die neuen Alfas, die in der Lage sein werden, die Konkurrenz aus Deutschland zu schlagen“, sagte Marchionne einmal in einem Interview mit der Zeitung „La Repubblica“. Das Ergebnis: Die Erfolgs-Modelle Giulia und Stelvio. Als einer der größten Verdienste des Italo-Kanadiers gilt jedoch die Fusion von Fiat und Chrysler. 2014 fädelt Marchionne die Übernahme des US-Rivalen ein, der zu dieser Zeit ebenfalls wirtschaftlich schwer angeschlagen ist.
Seit der Fusion stieg der Wert der Chrysler-Aktie um fast 350 Prozent, so stark wie bei keinem anderen Unternehmen aus der Branche. Und auch die Luxus-Marke Ferrari bringt Marchionne erfolgreich an die Börse.
Nachfolger sind bereits gefunden
Die Arbeit, die der 66-Jährige bislang im Alleingang erledigt hat, wird künftig auf mehrere Köpfe verteilt. Neuer Präsident von Ferrari wird John Elkann, Vorstandschef wird Louis Carey Camilleri, der zuvor leitende Positionen beim Tabakmulti Philip Morris innehatte. Die Führung von Fiat Chrysler übernimmt Mike Manley. Der 54jährige Engländer war bislang für die Marke Jeep verantwortlich. Seit seinem Einstieg vor neun Jahren hat er die Verkaufszahlen von 300 000 auf 1,4 Millionen im vergangenen Jahr steigern können. Dennoch tritt Manley in große Fußstapfen. Fiat ist inzwischen elfmal so viel wert wie zum Amtsantritt Marchionnes. „Sergio Marchionnes Zeit als Chef von Fiat ist schon jetzt Legende“, sagte Analyst Max Warburton von der Beratungsgesellschaft Bernstein Anfang des Jahres.
Manleys Aufgabe ist es nun, den Industrie-Plan 2018 bis 2022, den Marchionne Anfang Juni in Turin in seinem schwarzen Pullover und der blauen Krawatte vorgestellt hat, in die Tat umzusetzen. Die Strategie sieht eine weitere Konzentration auf die Marken Alfa, Maserati, Ram und vor allem Jeep, und die Lancierung zehn neuer Modelle vor. Die Personalentscheidungen würden zwar den persönlichen Schmerz nicht lindern, so John Elkann, „aber sie garantieren den Unternehmen zumindest ein Maximum an Kontinuität und die Wahrung der Unternehmens-Kultur.“