Der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi übergibt Christine Lagarde die Glocke, mit der die neue EZB-Chefin bei Sitzungen zur Ordnung rufen kann. Foto: dpa

Die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde wird den Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi fortsetzen – zumindest vorerst.

Frankfurt - Das größte Lob hatte Mario Draghi (72) seiner Nachfolgerin schon am vergangenen Donnerstag ausgesprochen. Er müsse ihr keine Ratschläge geben. Wer, wenn nicht Madame Christine, wisse schon, was sie tun müsse, fragte der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) auf seiner letzten Pressekonferenz. Das war mehr als das Schmeicheln eines charmanten Italieners für eine ebenso charmante Französin. Draghi und Christine Lagarde kennen sich seit vielen Jahren, sind sich unzählige Male begegnet, auf Gipfeltreffen der G7-Staaten, beim Internationalen Währungsfonds und nun schließlich noch einmal bei der EZB. Sie habe zwar an der Sitzung teilgenommen, aber nicht an der Diskussion, erzählte Draghi am Donnerstag.

Seite an Seite mit Macron

Warum auch hätte sich die erfahrene Politikerin zu Wort melden sollen auf dieser letzten Sitzung des EZB-Rats unter Mario Draghi? Schließlich wird es Lagarde sein, die vom 1. November an die Geschicke der europäischen Geldpolitik lenken wird. Warum also den vorhandenen Riss im Rat verstärken? Christine Lagarde weiß genau, was sie erwartet. Sie kennt die Kritiker der ultralaxen Geldpolitik, die „Super-Mario“ bis zuletzt, auch in seiner Abschiedsrede, verteidigt. Und sie kennt die Befürworter der Niedrigzinsen und der Geldschwemme, die vor allem den Interessen der südeuropäischen Länder der Währungsgemeinschaft entgegenkommen.

An diesem Montag, an dem es um den Abschied von Mario Draghi geht, sitzt sie Seite an Seite mit „ihrem“ Präsidenten, Emmanuel Macron, mit dem sie sich einig ist darin, dass es den Euro weiter geben, dass die gemeinsame Währung ein starkes Symbol für ein starkes Europa sein soll. Kritiker könnten das enge Miteinander von Macron und „Madame Christine“ aber auch als fatales Zeichen deuten: die Europäische Zentralbank ist als politische unabhängige Institution gegründet worden, die sich vor allem um die Stabilität der Preise kümmern soll. Doch mit Christine Lagarde, so die Kritik, sterbe der letzte Rest der Tradition der Notenbank. Schon der Italiener Mario Draghi, der bei seinem Amtsantritt noch als Preuße bezeichnet wurde, hatte die Erwartungen vieler deutscher Stabilitätsanhänger enttäuscht. Von unerlaubter Staatsfinanzierung war teilweise die Rede, weil Draghi Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder ankaufte. Von der Erfüllung des Mandats der Europäischen Zentralbank sprach dagegen der Notenbankpräsident. Bundeskanzlerin Angela Merkel dankte dem Italiener, er habe den Euro durch unruhige See navigiert, lobte sie.

Politisierung des IWF vorangetrieben

Wie wird sich die Französin entscheiden? Schon beim Internationalen Währungsfonds IWF habe sie die Politisierung des Fonds vorangetrieben, mahnt etwa Thomas Mayer, der Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Gründer des Flossbach von Storch Research Instituts. Andere Analysten wiederum sehen die politische Erfahrung der 63-Jährigen als ehemalige französische Ministerin als Vorteil. Vielleicht, so meinen sie, könne Lagarde die Staaten noch stärker zu Strukturreformen drängen als Draghi dies gekonnt habe.

Geldpolitisch jedoch scheinen auch für die neue EZB-Chefin die Spielräume nicht so groß zu sein wie sich das einige der EZB-Ratsmitglieder wünschen würden. Bundesbank-Chef Jens Weidmann etwa, der sich zum sichtbarsten Kritiker Draghis, zum „Oppositionsführer“ entwickelt hat, sieht die anhaltende Geldschwemme mit Sorge, rät schon seit Monaten zur geldpolitischen Wende – und wird auch bei Christine Lagarde für seine Erzeugung kämpfen. Pikant dabei: auch Weidmann wurde lange Zeit als neuer EZB-Präsident gehandelt.

Viel diplomatisches Geschick

Aber, das betonen Kenner der Französin, Madame verfüge über viel diplomatisches Geschick. Bei einem der wenigen öffentlichen Auftritte im Zusammenhang mit ihrer neuen Funktion, Anfang September vor dem Währungs- und Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments, versprach die wortgewandte Französin zudem unter anderem, sich künftig um eine klarere Sprache zu bemühen „damit die Bürger verstehen, wofür die EZB steht“. Man traut ihr zu, den Riss im Rat schnell kitten zu können.

Die Sorgen der Wirtschaft und der Bevölkerung in den Euro-Staaten aber wird auch sie so schnell nicht zerstreuen können. Draghi hat selbst auf seiner letzten Pressekonferenz noch einmal betont, dass die Zinsen noch auf Jahre hinaus niedrig bleiben werden, wenn sich das Umfeld nicht verändert. Hier, das weiß Christine Lagarde genau, kann sie nicht viel bewegen, wenn sie nicht die Glaubwürdigkeit der EZB und damit auch die ihres Freundes Mario aufs Spiel setzen will.

Glockenübergabe

Kurz nach 16 Uhr überreicht Draghi seiner Nachfolgerin dann die große Glocke, mit der der Präsident zur Ordnung rufen kann. In acht Jahren habe er sie nie benutzt, sagt Draghi – und beide lachen.