Der scheidende DGB-Vorsitzende Michael Sommer (rechts) und sein Nachfolger Reiner Hoffmann Foto: dpa

Reiner Hoffmann wird ein DGB-Chef sein, der nicht auf die Pauke haut. Seine Organisation steht derzeit ganz gut da. Der Neue hat es dennoch nicht leicht, weil sich die Einzelgewerkschaften immer seltener einig sind.

Reiner Hoffmann wird ein DGB-Chef sein, der nicht auf die Pauke haut. Seine Organisation steht derzeit ganz gut da. Der Neue hat es dennoch nicht leicht, weil sich die Einzelgewerkschaften immer seltener einig sind.

Berlin - Mittagessen mit der Kanzlerin, weite Reisen, viele beifallumbrandete Reden. DGB-Chef zu sein ist ein Traumjob. Ein Traumjob? Sich von den Chefs der mächtigen Einzelgewerkschaften gängeln zu lassen, einen Laden voller unterschiedlicher Interessen zusammenzuhalten, immer wieder übergangen zu werden. Das ist die Kehrseite. Die muss man mögen. Reiner Hoffmann nimmt sie jedenfalls in Kauf. Er ist am Montag zum neuen Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds gewählt worden. Die Delegierten des DGB-Kongresses in Berlin statteten den 58-jährigen mit einem Ergebnis aus, das kein schlechtes Startkapital ist: 93 Prozent der Stimmen. Damit kann man erst mal arbeiten.

Der Neue bedankte sich artig und sagte zunächst einmal das, was man so sagt, wenn man plötzlich an der Spitze der Gewerkschaftsbewegung steht: Dass er sich für mehr Mitbestimmung einsetzen will. Dass er den DGB für jüngere Arbeitnehmer attraktiver machen und für ein sozialeres Europa eintreten will. Nichts davon kann überraschen. Die Zurückhaltung hat natürlich vor allem damit zu tun, dass Hoffmann erst heute in einer großen Rede seine programmatischen Leitlinien vorstellen will. Aber sie ist auch eine Stilfrage.

Wenn Hoffmann eines nicht erfüllt, dann das Bild des klassischen Arbeiterführers. Er ist Diplom-Ökonom. In Brüssel hat er beim Europäischen Gewerkschaftsbund gearbeitet, dann war er Chef des wichtigen Landesbezirks Nordrhein seiner Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Er hat also theoretische (Wissenschaft) und praktische (Tarifpolitik) Erfahrung. So jemand braucht nicht inhaltliche Schwäche durch laute Töne zu überspielen. Einen Lautsprecher braucht der DGB derzeit ohnehin nicht. Die Organisation steht nicht schlecht da. Der Mitgliederschwund ist gestoppt. Und „nach langer schwerer Zeit“, wie es der gestern ausgeschiedene Michael Sommer pathetisch formulierte, haben die Gewerkschaften auch wieder politisches Gewicht.

Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse sind angekommen

Die große Koalition bemüht sich gerade mit viel Aufwand darum, alte gewerkschaftliche Forderungen umzusetzen: Mindestlohn, Rente mit 63, die Mietpreisbremse. Sommer kann man kaum widersprechen, wenn er in seiner Rede auf dem Kongress behauptete, dass es dem DGB gelungen sei, „diese Themen prominent in den Bundestagswahlkampf einzuführen.“ Klingt fast so, als stünde Hoffmann eine vergleichsweise ruhige Amtszeit bevor.

Ruhiger vielleicht als zu Zeiten des Kampfs gegen die Agenda 2010, die den Gewerkschaftsbund in eine Zerreißprobe zwischen Fundamentalopposition und Kompromiss-Suche stürzte. Aber heikel bleibt der Job allemal. Und undankbar. Dort, wo sich Gewerkschaftsführer Beifall und Streicheleinheiten abholen – an der Streikfront –, ist der DGB-Chef gar nicht zuständig. Hoffmann muss die Kontakte zur Politik pflegen. Das klingt beschaulich, birgt aber Fallen.

Bestes Beispiel ist das hochaktuelle Thema Tarifeinheit. Tapfer hatte Michael Sommer gegenüber der Politik immer wieder das verkündet, was er für einen Glaubenssatz jedes aufrechten Gewerkschafters halten musste: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag.“ Die Wiederbelebung dieser alten Beschwörungsformel schien dringlich, da sich immer mehr kampfstarke Spartengewerkschaften aus der Solidarität verabschiedeten und sich für die eigene kleine Klientel dicke Scheiben vom Tarifkuchen abschnitten – zuletzt war das bei der Lufthansa zu beobachten.

Brav hat sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) an die Umsetzung einer Reform gemacht. Ihr Plan ist es, dass nur noch die größte Gewerkschaft in einem Betrieb die Tarifverträge aushandeln darf. Doch je klarer die Probleme bei der Umsetzung zu Tage treten, desto mehr bröckelt die Front der Einzelgewerkschaften. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat längst die Seiten gewechselt. Auch weil ihr aufgefallen ist, dass sie selbst mancherorts in der Minderheitenposition sein könnte.

Solche Schwenks untergraben die Autorität des DGB-Chefs in seinen Gesprächen mit der Regierung. Hoffmann muss auf solche Volten immer wieder gefasst sein.

Manchmal sind sie unauffälliger, bleiben aber gleichwohl unbequem. Zum Beispiel bei der Rente. Die Rente mit 63 ist ein altes Kampfziel des DGB, der sich hier vor allem von der mächtigen IG -Metall treiben lässt. Aber der Jubel bei den Einzelgewerkschaften wird immer leiser, seit klar ist, welche Belastungen für die Beschäftigten über die Sozialbeiträge noch damit verbunden sein können.

Die Gefechtslage ist unübersichtlich geworden

Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft haben zudem herausgefunden, dass viele ihrer Mitglieder kaum etwas von der Rente mit 63 haben, anders als die Metaller. Und plötzlich ist die Gefechtslage unerwartet unübersichtlich.

Das ist ziemlich spannend. In den Gewerkschaften wächst langsam die Erkenntnis, dass die gut verdienende Facharbeiter-Mittelschicht – das Rückgrat der Mitgliedschaft – immer stärker belastet wird. Das ist der Hintergrund dafür, warum Hoffmann ankündigte, sich für „mehr Steuergerechtigkeit“ einzusetzen. Er will „eine Steuerentlastung für kleine und mittlere Einkommen“, gegenfinanziert durch Steuererhöhungen „an anderer Stelle“.

Diese Gegenfinanzierung hat SPD-Chef Sigmar Gabriel gerade vom Tisch genommen. Hoffmann ist – wie sieben von acht Einzelgewerkschaftschefs – Sozialdemokrat. Er weiß also, mit wem er zu reden hat. Die Zeiten der offenen Konfrontation zwischen Schröder-SPD und Gewerkschaften sind vorbei. Wunden sind geblieben.

Katja Mast ist die Chefsozialpolitikerin in der SPD-Bundestagsfraktion. Sie wies gegenüber den Stuttgarter Nachrichten darauf hin, dass die SPD als Volkspartei „nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer vertritt“. Klar sei aber, „dass bei gleichen Interessen der Einfluss der Gewerkschaften steigt, wenn die SPD regiert“. Bestes Beispiel sei der Mindestlohn. Sie freue sich nun darauf, gemeinsam „die Mitbestimmung in den Betrieben voranzubringen“.

Das muss bei den Arbeitgebern nicht die Urangst vor Klassenkämpfen befeuern. Hoffmann ist Mitglied einer Gewerkschaft, die schon immer auf Sozialpartnerschaft setzte und das Absingen der Kampflieder gerne der IG-Metall überließ. Der neue Chef des DGB sitzt im Aufsichtsrat der Bayer AG. Das will er weiterhin bleiben. Er setzt auf kontinuierliche Entwicklung, nicht auf Revolutionen. Er ist Langstreckenläufer. Keine schlechte Qualifikation für den neuen Job.